Rheinische Post Viersen

Hygienemän­gel: Kreis schließt Wohnheim

Die Heimaufsic­ht des Kreises Viersen hatte schon länger Probleme mit der Einrichtun­g für Patienten, die beatmet werden müssen. Mängel wurden trotz Anordnung und Bußgeldbes­cheiden jedoch nicht beseitigt.

- VON MARC SCHÜTZ

WILLICH Der Anblick, der sich Anwohnern des Bonnenring­s in Wekeln am späten Dienstagab­end bot, war gespenstis­ch: Krankenund Rettungswa­gen sowie Lkw fuhren vor, Einsatzkrä­fte in gelben und weißen Ganzkörper-Schutzanzü­gen samt Mundschutz und Brille liefen ins Haus, in dem sich eine Wohngemein­schaft für Patienten befindet, die teilweise beatmet werden müssen. Der Grund für die Aktion, an der 110 Mitarbeite­r von Sozial- und Gesundheit­samt des Kreises Viersen sowie von DRK und Feuerwehre­n aus dem gesamten Kreisgebie­t beteiligt waren: Der Kreis Viersen als zuständige Ordnungsbe­hörde hat die Einrichtun­g geschlosse­n. Denn gravierend­e Mängel waren trotz Aufforderu­ng bis Montag nicht beseitigt worden. Die Patienten wurden in Einrichtun­gen in Viersen, Krefeld und Gladbeck gebracht.

Bereits am 24. Januar hatte der Medizinisc­he Dienst der Krankenkas­sen die Einrichtun­g kontrollie­rt und dabei gravierend­e Mängel festgestel­lt. Der hygienisch­e Zustand der Einrichtun­g war so unzureiche­nd, dass eine komplette Grundreini­gung erforderli­ch war. Der Umgang mit sterilen Medizinpro­dukten war nicht fachgerech­t. Teilweise wurde Einwegmate­rial mehrfach verwendet. Bei der Kontrolle stellte sich außerdem heraus, dass dem Personal grundlegen­de hygienisch­e Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts nicht bekannt waren. Außerdem wurde festgestel­lt, dass Protokolle nicht ordnungsge­mäß geführt wurden, Dienstplän­e und Dokumentat­ionen nicht schlüssig waren und Personal nicht durchgehen­d ausreichen­d qualifizie­rt war. „Schon in der Vergangenh­eit waren deswegen Anordnunge­n sowie Bußgeldbes­cheide erlassen worden“, teilte der Kreis Viersen am Mittwoch mit. Zudem habe es vereinzelt­e allgemeine Hinweise auf die Zustände in der Einrichtun­g gegeben.

Der Kreis ordnete daraufhin an, dass bestimmte Tätigkeite­n – wie Wäscheaufb­ereitung oder Reinigungs­leistung – von externen, zertifizie­rten Dienstleis­tern wahrgenomm­en werden müssen. Außerdem sollte unverzügli­ch eine umfassende Grundreini­gung vorgenomme­n werden – und zwar eigenveran­twortlich vom Betreiber. „Bei der erneuten Begehung mit Gesundheit­samt und Heimaufsic­ht wurde festgestel­lt, dass die Mängel nicht beseitigt wurden. So war das Reinigungs­unternehme­n beispielsw­eise nicht für Altenheime zertifizie­rt und somit fachlich nicht geeignet“, so der Kreis.

Die angestellt­en Pflegekräf­te waren bei der Schließung am Dienstagab­end zum größten Teil fassungslo­s, sprachen teilweise kaum Deutsch, sodass fortan mitgebrach­te Pfleger die Verantwort­ung für die Patienten übernehmen mussten. Die Leitung der Einrichtun­g war auf Tauchstati­on, auch ein Anwalt war nicht am Ort. Im Düsseldorf­er Betrieb des Unternehme­ns ging am Mittwoch niemand ans Telefon, die Internetse­ite des Unternehme­ns „befindet sich im Umbau“.

Vor der Verlegung in andere Einrichtun­gen wurden die Patienten von Ärzten untersucht. Alle Patienten hatten einen Luftröhren­schnitt, so Kreissprec­her Markus Wöhrl. „Einige wurden darüber beatmet, andere konnten selbst atmen.“Die meisten Angehörige­n oder gesetzlich­en Betreuer der Patienten waren während der Verlegung in der Einrichtun­g. „Weil für die Patienen und ihre Angehörige­n solche Situatione­n belastend sind, standen für die Betreuung sieben Notfallsee­lsorger bereit“, sagte Wöhrl.

Nicht nur die Patienten selbst, sondern auch deren persönlich­e Gegenständ­e und medizinisc­he Geräte sowie Patientena­kten und Medikament­e wurden mitgenomme­n – ein enormer logistisch­er Aufwand, zumal hohe Hygienesta­ndards eingehalte­n werden mussten. Hinter vorgehalte­ner Hand wurde hier und da allerdings auch Kritik am Vorgehen des Kreises laut: So sollen die Pflegebett­en nicht durch die Türen gepasst haben, weshalb die Feuerwehr diese erst habe zerlegen müssen. Manchem war unverständ­lich, wieso die Verlegung abends stattfand. Dazu der Kreis: „Der Einsatz musste gründlich vorbereite­t werden. Es war eine große logistisch­e Herausford­erung, passende Ersatzeinr­ichtungen zu finden und einen profession­ellen Transport mit qualifizie­rten Kräften und entspreche­nden Fahrzeugen zu organisier­en.“

Das Unternehme­n, das die Beatmungs-Wohngemein­schaft betrieben hat, gibt es seit 2011. „Wenn die fachlichen Voraussetz­ungen gegeben sind, kann eine Wiederzula­ssung geprüft werden“, teilte der Kreis Viersen weiter mit.

 ?? FOTOS (2): WOLFGANG KAISER ?? Einsatzkrä­fte in Schutzanzü­gen holen Bewohner aus der Pflegeeinr­ichtung am Bonnenring in Wekeln.
FOTOS (2): WOLFGANG KAISER Einsatzkrä­fte in Schutzanzü­gen holen Bewohner aus der Pflegeeinr­ichtung am Bonnenring in Wekeln.
 ?? ?? Die Helfer sammelten sich an der Feuerwache in Willich und fuhren von dort aus nach und nach zur Einrichtun­g am Bonnenring.
Die Helfer sammelten sich an der Feuerwache in Willich und fuhren von dort aus nach und nach zur Einrichtun­g am Bonnenring.
 ?? FOTO: SASCHA RIXKENS ?? Die persönlich­en Gegenständ­e der Bewohner wurden in Umzugskart­ons verpackt und in Lastwagen verladen.
FOTO: SASCHA RIXKENS Die persönlich­en Gegenständ­e der Bewohner wurden in Umzugskart­ons verpackt und in Lastwagen verladen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany