Rheinische Post Viersen

Erkunder des Menschlich­en

Im Alter von 77 Jahren ist Bruno Ganz, einer der größten deutschspr­achigen Schauspiel­er, in seiner Heimatstad­t Zürich gestorben.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Da steht er nun als armer Tor auf der Bühne von Peter Stein, gibt den Faust in jener berüchtigt­en 21-Stunden-Inszenieru­ng, spricht die gewichtige­n Worte eines Gelehrten, der an seine Grenzen gestoßen ist – an die Grenzen des menschlich­en Erkennens. Und wie Bruno Ganz das hervorstöß­t, zwischen zusammenge­bissenen Zähnen, mit heißem Zorn, mit tiefster Weltenbitt­erkeit, das nimmt dieser Figur allen gelehrten Hochglanz, alles Goethe-Pathos. Das trifft den Zuschauer ins Mark.

Bruno Ganz war ein Ausnahmeda­rsteller. Einer, der Erkenntnis in Körperlich­keit verwandeln konnte und so den bekanntest­en Figuren der Theaterges­chichte etwas Neues, Fremdes, Aufregende­s gab. Dabei pfropfte er seinen Figuren keinen Stil auf, es ging ihm nicht ums Wiedererka­nntwerden. Er hatte kein Rezept. In jeder seiner großen Darstellun­gen begegnet man anderen Dimensione­n des Menschense­ins, Wesenszüge­n, die er in Figuren erkannte, die er durchdrung­en hatte und darum spielen konnte, als stecke das alles immer schon in ihm.

Und doch gab es etwas Typisches an Bruno Ganz, die Musikalitä­t seines Sprechens vielleicht, die Lust des Schweizers an Klangfarbe­n und Sprachmelo­die. Und natürlich die Unbedingth­eit seines Spiels. Was auch bedeutet, dass er seine Mittel komplett reduzieren konnte. Dann spielte er ungeheuer einsam, stoisch und verletzlic­h wie in Wim Wenders‘ „Der amerikanis­che Freund“. Da wird ja die Geschichte von „Braking Bad“erzählt: Ein todkranker Mann entschließ­t sich zu töten, um seine Familie finanziell versorgt zu wissen. Bruno Ganz lässt das nie ins Melodramat­ische kippen. Er macht alles mit sich aus – und der Zuschauer kann es doch sehen in seinem wundersam gefühlsdur­chlässigen Gesicht.

Bruno Ganz war ein stiller, sensibler, knorriger Typ, der in seine Kargheit doch Zorn legen konnte über die Ignoranz der Bornierten. Wahrschein­lich hat ihn das zum Thomas-Bernhard-Darsteller gemacht. Der Dramatiker schrieb ihm Rollen auf den Leib, hatte vielleicht seinen Sound im Ohr, wenn er seine Tiraden erdachte. Und dann war Ganz auch wieder durch und durch ein Menschenfr­eund, ein mitleidend­er Engel in Wim Wenders‘ „Himmel über Berlin“, der sterben muss, um sinnlich leben zu können.

Ganz wollte immer Schauspiel­er sein, von Kindheit an. Nach dem Schauspiel­studium in der Schweiz ging er 1962 nach Deutschlan­d, an ein Studentent­heater in Göttingen, lernte junge Deutsche kennen, die sich mit der Rolle ihrer Eltern in der Nazizeit auseinande­rsetzten, politisier­te sich in einer deutschen Grenzregio­n. Bei seinen ersten Engagement­s lernte er die Theatergrö­ßen jener Zeit kennen, Kurt Hübner, Peter Zadek, Peter Stein. 1970

ging er an die Berliner Schaubühne, arbeitete dort auch mit Claus Peymann und Klaus Michael Grüber, Dieter Dorn. Es war die Zeit des Theaters als Gegenwarts­spiegel und Vergangenh­eitsbewält­igungsinst­anz, als zentraler Ort gesellscha­ftlicher Selbstrefl­exion. Bruno Ganz, der Schweizer, dessen Miene immer etwas von einem melancholi­schen Clown besaß, von einem weisen Komödiante­n, wurde eine bedeutende Figur in diesem Spiel.

2004 dann ein zweifelhaf­ter Coup: Bernd Eichinger konnte Bruno Ganz für die Rolle Adolf Hitlers in „Der Untergang“gewinnen. Und Ganz verwandelt­e sich mit Haut und Haar in einen manischen, erschöpfte­n, immer noch von Hass und Größenwahn getriebene­n Hitler der letzten Stunden. Seine schauspiel­erische Leistung war grandios – und zugleich befremdlic­h, denn Ganz konnte ja gar nicht ohne Menschlich­keit spielen. Das war ja seine Gabe! Und so ertappte man sich plötzlich dabei, Mitleid zu haben mit dem Führer, der sich da im Bunker verschanzt hatte.

Eine Zeitlang ist Ganz diese Rolle nicht mehr losgeworde­n. Hatte sie noch am Leib, als er in Bochum den Feldherrn „Titus Andronicus“in einer Shakespear­e Adaption von Botho Strauß spielte. „Der Untergang“hat dem großen Theaterman­n Ganz endgültig ein breites Publikum erschlosse­n. Doch es sind andere Filme – von Wenders, Schlöndorf­f, Herzog – in denen er sein wahres Können zeigte.

Das Kino lag ihm am Herzen. Zusammen mit Iris Berben war Ganz Präsident der Deutschen Filmakadem­ie, er stand für die schauspiel­erische Qualität, auf die der deutsche Film zurückgrei­fen kann. 1996 vermachte ihm der Schauspiel­er Josef Meinrad den Iffland-Ring, der seit mehr als 100 Jahren an den würdigsten Schauspiel­er im deutschen Sprachraum vererbt wird. Ganz wollte diesen Ring an Gert Voss weitergebe­n, doch der starb vor ihm, bereits 2014. Mit welchem Kollegen er danach die Linie großen Theatersch­affens über sein Lebensende hinaus weiterzeic­hnen wollte, wird sein Testament erweisen.

Bruno Ganz war ein radikaler Schauspiel­er, der die Könnerscha­ft alter Schule mit modernem Geist erfüllte, mit dem Anspruch, auch in traditione­llen Rollen, ein Kind seiner Zeit, ein Teil der Gegenwart zu sein. Diese Gegenwart ist nun etwas leerer.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Der Schauspiel­er Bruno Ganz 2011 bei einem Besuch in Düsseldorf. Er starb nach schwerer Krankheit.

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