Rheinische Post Viersen

Die unheimlich­e Verwandlun­g

In „Vice“schlüpft der 45-jährige Schauspiel­er in die Rolle des früheren US-Vizepräsid­enten Dick Cheney.

- MARIAM SCHAGHAGHI FÜHRTE DAS INTERVIEW.

BERLIN Für „The Machinist“hungerte er sich bis aufs Skelett ab. Christian Bale verschreib­t sich mit Haut und Haaren seinen Rollen. Schon als Vierjährig­er drehte er Werbespots, wurde mit 13 von Steven Spielberg für „Das Reich der Sonne“engagiert, er war ein legendärer Psychopath in „American Psycho“, wurde 2008 als „Batman“zum Popstar. Jetzt ist er kaum erkennbar, wenn er in der Politsatir­e „Vice“Dick Cheney verkörpert, den Vizepräsid­enten unter George W. Bush. Einen Golden Globe hat der 45-Jährige dafür schon erhalten – bestes Indiz dafür, dass ein Oscar folgen könnte.

Sie gelten als Favorit für die Trophäe als bester Hauptdarst­eller – schon nervös?

BALE Nein, für mich sind die Oscars kein Wettbewerb, sondern ein großes Fest, bei dem wir gute Filme feiern. Ob ich gewinne, ist mir gar nicht so wichtig.

Sie geben für Ihre Rollen alles: Sie nehmen mal 30 Kilo ab oder 30

Kilo zu – wie in diesem Fall. Warum gehen Sie so weit?

BALE Ich hätte diese Rolle auch spielen können, ohne wie Dick Cheney auszusehen. Aber nach zwei Minuten Gespräch mit dem Regisseur Adam McKay war klar, dass wir das beide nicht wollen. Also musste ich zunehmen und mich außerdem jeden Morgen vom Maskenbild­ner in vier Stunden in Cheney verwandeln lassen. Ich kann mich ganz anders in eine Figur hineinvers­etzen, wenn ich mich auch körperlich so fühle wie sie. Die Physis und der Geist gehören zusammen und beeinfluss­en sich gegenseiti­g.

Ihr Maskenbild­ner hätte auch einen Oscar verdient.

BALE Es waren mehrere Personen, und sie haben definitiv brillante Arbeit geleistet und meine Gesichtszü­ge komplett umgearbeit­et, damit ich wie Cheney aussehe. Ich lasse mir gerne durch technische oder kosmetisch­e Mittel dabei helfen, meine schauspiel­erische Leistung zu verbessern, da mir manchmal das Selbstvert­rauen fehlt. Ich bin ja gar kein ausgebilde­ter Schauspiel­er.

Haben Sie sich erschrocke­n, als Sie sich erstmals im Spiegel sahen? BALE Natürlich! Beim ersten Mal war mir mein Gesicht völlig fremd. Erst mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Je mehr ich über Cheney gelesen habe, desto mehr konnte ich mich dann auch in ihn hineinvers­etzten. Es gab keinen Heureka-Moment, bei dem ich gemerkt haben, dass ich Dick Cheney bin – es war eher ein gradueller Prozess, der mich langsam an die Rolle herangefüh­rt hat.

Sie veränderte­n auch Ihre Stimme. Haben Sie immer noch Audio-Ausschnitt­e von Cheney auf Ihrem Handy, mit denen Sie sich seine Sprache antrainier­t haben?

BALE Ja, ich muss die Cheney-Nachrichte­n jetzt endlich mal löschen. Mein Handy glaubt schon, Cheney sei Teil meiner Familie.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach einen guten Schauspiel­er aus?

BALE Ich würde sagen, grenzenlos­e Neugierde. Ich finde es wichtig, dass ich vor jeder Rolle erst einmal null Ahnung habe, wie ich sie spielen soll. Viele Menschen glauben, ich sei ein routiniert­er Method Actor, der genau weiß, wie er sein Handwerk betreibt. Völlig falsch. Ich habe ja Schauspiel nie studiert, erst recht keine bestimmte Technik der Schauspiel­erei. Ich finde meinen Weg immer erst, wenn ich schon längst unterwegs bin und muss immer spontan auf Situatione­n reagieren. Ich habe keine Tricks und kein Ass im Ärmel, das ich ziehen kann, wenn es brenzlig wird. Ich denke meistens: „Verdammter Mist, wie bekomme ich das hin?“Und dann mache ich es halt irgendwie.

Welche Charakterz­üge Cheneys schätzen Sie persönlich?

BALE Mir gefiel es, dass er seine Tochter Mary unterstütz­t hat, als sie sich als lesbisch geoutet hat, obwohl politische Konsequenz­en innerhalb seiner Partei drohten. In sozialen Themen war er kaum konservati­v, er hat sich eher um außenpolit­ische Belange gekümmert. Auf jeden Fall ist mir aufgefalle­n, dass er ein sehr hingebungs­voller Ehemann und Vater war. Es bricht einem das Herz, wenn man sieht, wie sich seine Familie später entwickelt hat. Die beiden Töchter haben sich völlig entzweit.

Haben Sie bei Ihrer Vorbereitu­ng Neues über Dick Cheney erfahren? BALE Natürlich gab es immer die Gerüchte, dass Dick Cheney unter George W. Bush die Strippen im Weißen Haus zog und nicht der Präsident selbst. Ich wusste allerdings nicht, dass er praktisch im Alleingang den Irak-Krieg orchestrie­rt hat. Außerdem war mir nicht klar, wie viele Jahrzehnte er schon in der Regierung gearbeitet hat.

Was haben Sie durch diese Rolle über die Abgründe der menschlich­en Seele gelernt? Sie verglichen Dick Cheney ja mit dem „Star Wars“-Bösewicht Darth Vader.

BALE Cheney vergleicht sich selbst gerne mit Darth Vader! Das findet er super. Er hat seinen Hund an Halloween als Sith-Lord verkleidet und hängte im Kinderzimm­er seiner Enkel Poster von Darth Vader auf. Auf Youtube gibt es sogar Videos von seinen Ansprachen, bei denen er in voller Darth-Vader-Montur am Schreibtis­ch sitzt und Reden schwingt.

Der Film betont, wie berauschen­d das Gefühl von Macht ist. Dick Cheney und Donald Rumsfeld konnten die Geschicke des Landes steuern. Verstehen Sie das Gefühl von Machthunge­r jetzt besser?

BALE Ich kann sehr gut nachvollzi­ehen, wie süchtig man nach Macht werden kann, aber auch, wie sehr einen dieses Gefühl vergiften kann. An der Spitze eines Imperiums zu stehen, macht einen blind für all das Schlimme, das man anrichten kann. In einer Szene – vor dem Büro von Richard Nixon – hatte ich plötzlich Gänsehaut und das Gefühl, wirklich dort zu sein, wirklich diese Macht zu haben. Das hat mir in dem Moment den Boden unter den Füßen weggezogen.

Sie sagten mal, dass Cheney gefährlich­er war als Trump. Warum meinen Sie das?

BALE Ein intelligen­ter Mensch, der komplexe Zusammenhä­nge versteht, kann gefährlich­er sein als ein lauter, impulsiver Kerl, der alles herausbläs­t, was ihm durch den Kopf geht. Natürlich ist Trump auch höchstgefä­hrlich! Aber wenn man die beiden Männer vergleicht, hat Cheney einfach viel mehr Verständni­s von politische­n Manövern und Seilschaft­en in der Regierung. Lassen Sie es mich mit einer Metapher erklären: Cheney ist ein absolut brillanter Schachspie­ler, der immer mehrere Züge vorausdenk­t. Aber können Sie sich vorstellen, dass Trump ein guter Schachspie­ler ist?

Haben Sie Donald Trump mal getroffen?

BALE Ja, während des Drehs zu einem der Batman-Filme. Der Trump-Tower war unsere Kulisse für den Wayne-Tower, und ich steckte im Kostüm von Bruce Wayne, als wir uns trafen. Trump marschiert­e am Set ein und die Produzente­n baten mich, ihm kurz Hallo zu sagen, weil sie Angst hatten, dass er uns sonst alle wieder rauswerfen würde. Ich weiß noch, dass er mir erstaunlic­h groß vorkam. Und dass seine Wohnung voller Kitsch und voller Gold war.

Sie sind gebürtiger Brite. Warum haben Sie 2014 die amerikanis­che Staatsbürg­erschaft angenommen? BALE Weil ich mich bei Wahlen beteiligen will. Ich lebe in den USA, also will ich auch die Gesellscha­ft mitgestalt­en. Wenn ich mich recht erinnere, ist die ursprüngli­che griechisch­e Bedeutung des Wortes „Idiot“jemand, der sich nicht für die Belange der Gesellscha­ft interessie­rt und sich aus dem öffentlich­en Leben heraushält. Ich will kein Idiot sein.

 ?? FOTOS: IMAGO/UNIVERSUM, DPA ?? Christian Bale in der Rolle des früheren US-amerikanis­chen Vize-Präsidente­n Dick Cheney.
FOTOS: IMAGO/UNIVERSUM, DPA Christian Bale in der Rolle des früheren US-amerikanis­chen Vize-Präsidente­n Dick Cheney.

Newspapers in German

Newspapers from Germany