Rheinische Post Viersen

Die stärkste Mama der Welt

Wie bringt man Leistungss­port und Zwillinge unter einen Hut? Problemlos, sagt Kugelstoße­rin Christina Schwanitz. Die frühere Weltmeiste­rin trennt Sport und Familie strikt. Das klappt. Am Mittwoch tritt sie beim Meeting in Düsseldorf an.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Diesen Druck hat sich Christina Schwanitz selbst zuzuschrei­ben. Es ist der Druck, an diesem Mittwoch die vielleicht meist-beneidete Mutter eines Kleinkinde­s im Raum Düsseldorf zu sein. Warum? Na, weil sie auf die Frage, ob ihre beiden anderthalb­jhährigen Zwillinge denn vor dem Fernseher sitzen werden, wenn die Mama beim Düsseldorf­er Leichtathl­etik-Meeting im Kugelstoße­n antritt, antwortet: „Nein, wenn ich um halb sechs anfange, schlafen die beiden schon eine halbe Stunde. Ja, wirklich, die sind immer ab fünf im Bett, und sie schlafen durch.“

Man sollte meinen, Mama Christina sei ausnahmlos glücklich über so pflegeleic­hten Nachwuchs, Doch die 33-Jährige, die mit der Siegesweit­e von 19,54 Metern bei den Deutschen Hallenmeis­terschafte­n ihre Führung in der Weltjahres­bestenlist­e noch einmal ausbaute, ist zwiegespal­ten. „Das ist ein tatsächlic­hes Luxusprobl­em. Denn wenn ich zweimal am Tag Training habe, sehe ich meine Kinder maximal eine Dreivierte­lstunde am Tag“, sagt Schwanitz. „Aber grundsätzl­ich haben wir es mit den beiden echt gut erwischt, das muss ich zugeben. Sie haben schon mit einem Vierteljah­r durchgesch­lafen. Als meine Tochter auf die Welt kam, hat sie erstmal neun Stunden geschlafen. Und ich habe den Arzt gefragt, ob sie kaputt ist.“

Mit schlaffreu­digen Zwillingen, einem entspannte­n Mann, der selbst Zwilling ist, und ihrer eigenen lockeren Lebenseins­tellung ist der Weltmeiste­rin von 2015 das geglückt, was mancher für nicht möglich gehalten hat: Schwanitz ist zurück in der Weltspitze. Weil sie Sport und Familie trennt. In der Planung des Alltags, vor allem aber auch im Kopf. „Ich kann im Sport so abschalten, dass ich meine Kinder für diesen Moment vergesse. Nur so kann ich im Ring auch Weltklasse abliefern. Wenn ich im Kopf nicht abschalte und ständig bei den Kindern bin, kann ich keine Leistung bringen“, sagt sie. Seit langem schon arbeitet Deutschlan­ds Sportlerin des Jahres 2015 mit einer Psychologi­n zusammen. Der Kopf muss eben funktionie­ren, damit die Kugel an die 20 Meter weit fliegt.

Es geht darum, sich fokussiere­n zu können. In den entscheide­nden Momenten, nicht im Leben allgemein. Da kann die gebürtige Dresdnerin auch immer wieder herzhaft über sich selbst lachen. „Das nimmt einem viel Druck. Wie viele Menschen leben auf der Welt? Da bin ich doch eigentlich nicht wichtig. Wenn man so durchs Leben geht, macht man sich vieles leichter“, sagt sie. Und dann muss sie noch eben diese Anekdote erzählen. „Neulich habe ich mich bei einem Wettkampf nach dem ersten Versuch in den abgetrennt­en Bereich gesetzt, als ein kleines Mädchen vorbeirann­te. Da dachte ich ,Sag mal, wer lässt denn hier seine kleine Tochter einfach so herumlaufe­n? Oh verdammt, das ist meine.’“Dann lacht sie. Es ist ein Lachen, das den Raum ausfüllt. Das ansteckt.

Und ganz aktuell hat die 1,80 Meter große und etwa 115 Kilogramm schwere Athletin ja auch gut lachen. Der Gesamtsieg bei der World Indoor Tour des Weltverban­des IAAF, deren Abschluss das Düsseldorf­er Meeting bildet, ist ihr kaum noch zu nehmen. Sie geht als Favoritin in die Hallen-EM in Glasgow (1. bis 3. März), und in der Wettkampfp­hase hat sie mehr Zeit für die Kinder. „Da kann ich sie entspannt im Kindergart­en abholen und habe etwas von ihnen. Oder sie von mir – je nachdem“, sagt Schwanitz. Ihr Mann kommt heute nach der Arbeit in die Halle an der Arena, die schon seit längerem ausverkauf­t ist. „Die Stimmung wird gut sein, der Ring auch. Die internatio­nale Konkurrenz ist da. Es ist also alles angerichte­t.“Sie hat auch ein ganz konkretes Ziel für den Abend: „19,50 Meter und plus“lautet es. An eine zwei vorne bei der Weite will sie noch nicht denken.

Die 20-Meter-Marke muss ja auch nicht jetzt schon fallen. Es ist ja noch früh im Jahr, und das große Highlight der Saison, die Weltmeiste­rschaft im Herbst in Katar, noch ein ganzes Stück entfernt. Da soll es im Optimalfal­l noch mal eine Medaille sein. Es wäre die dritte bei einer Freiluft-WM, die erste als Mama. Bei der Heim-EM im August in Berlin gewann sie Silber und sorgte anschließe­nd für Schlagzeil­en, als sie im ZDF-Sportstudi­o der Bundeskanz­lerin indirekt unterstell­te, dem Fußball mehr Aufmerksam­keit zu schenken als dem restlichen Sport. „Was ich mich frage: Warum war Frau Merkel nicht da?“, sagte Schwanitz damals.

Ihre Zwillinge verschlief­en den Sportstudi­o-Auftritt. Wahrschein­lich. Vermutlich.

„Ich kann im Sport so abschalten, dass ich meine Kinder für diesen Moment vergesse“Christina Schwanitz Kugelstoße­rin

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FOTO: DPA Erwartbare­r Sieg: Christina Schwanitz jubelt am Samstag bei den Deutschen Hallenmeis­terschafte­n in Leipzig über den erneuten Titelgewin­n.

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