Seltene Nana von Niki de Saint Phalle
VIERSEN Sie hat mit Farbbeuteln auf Gipsabdrücke geschossen und damit die Farbgebung auf dem Bild (fast) dem Zufall überlassen. Sie hat „Nanas“gebaut: pralle, ausladend weibliche, bunt bemalte Gestalten, die sich gerne in öffentlichen Räumen aufhalten, ebenso provokant wie humorvoll. Vielen Menschen sind sie bekannt. Gar nicht weit weg von Viersen, nämlich in Duisburg, kann man eine dieser überlebensgroßen Frauen bewundern.
Die Nanas sind das Markenzeichen der Künstlerin Niki de Saint Phalle, die mit bürgerlichem Vornamen Catherine Marie-Agnès Fal heißt. Die drallen Frauenkörper sind ein drastischer Gegenentwurf zu einem nicht unumstrittenen Schönheitsideal der 1960er Jahre: der Twiggy, einem spindeldürren Fotomodell aus England. Die Nanas vertreten eher die matriarchalische Seite der Frau. Die Frau als Urmutter taucht hier auf, Assoziationen an die Venus von Willendorf liegen nahe.
Als Grafikerin ist Niki de Saint Phalle eher unbekannt. Die Grafische Sammlung der Stadt Viersen allerdings besitzt einen Siebdruck von Niki de Saint Phalle, sodass man das Glück hat, sie auch einmal von dieser anderen Seite kennenzulernen. „Audrey“heißt das Kunstwerk und der Untertitel lautet „Nana pomme de terre“, also Nana als Kartoffel. Es ist 60 x 40 Zentimeter groß und im Jahr 1968 entstanden. Anders als bei ihren knallbunten Skulpturen beschränkt sich Niki de Saint Phalle bei „Audrey“farblich auf rot, schwarz und weiß. Aus diesen wenigen Tönen entwickelt sie eine überbordende Welt aus floralen Mustern und Bordüren.
Die Komposition wirkt, als habe sich eine Frau in eine ausladende runde Form hineinbegeben, aus der heraus sie die Welt genau betrachtet. In dieser Form wächst und drängt es organisch nach Außen – der Untertitel „Nana als Kartoffel“kommt schließlich nicht von ungefähr.
„Ich umarmte die Kunst als Erlösung und Notwendigkeit“, so sagte sie einmal über sich als Künstlerin und beschrieb damit, wie die Kunst ein Ventil für erlittene Traumata,
für ihre Wut, ihren Zorn wurde. Sind die Schießbilder noch mit einer gewissen Aggression verbunden, tobt sich Niki de Saint Phalle bei den Nanas lustvoll und spielerisch aus – sowohl plastisch wie zeichnerisch.
Niki de Saint Phalle lebte von 1930 bis 2002. Geboren als Tochter französisch-amerikanischer Eltern in Frankreich, wuchs sie in den USA auf. Mit 18 Jahren heiratete sie den amerikanischen Schriftsteller Harry Matthews, doch die Ehe ging auseinander. 1955 lernte sie den Künstler Jean Tinguely kennen. 16 Jahre später heirateten sie. Niki de Saint Phalle erhielt die Schweizer Staatsbürgerschaft. Als Künstlerin war sie Autodidaktin. Ihre Nanas entstanden ab 1965, zu Beginn aus Draht und Textilien, später dann aus Polyesterharz. Sie gehörte als einzige Frau zu der Künstlergruppe der „Nouveau Réalistes“.
Diese neuen Realisten taten sich 1960 zusammen. Ihr Ziel war eine besondere Nähe zum Realen, das heißt, die Wirklichkeit sollte Einzug in das Kunstwerk erhalten. Dies geschah in Form von Collagen und Assemblagen. Damit sind die neuen Realisten eine parallele Kunstströmung zu der amerikanischen Pop Art.