Rheinische Post Viersen

In den Fängen deutscher Nazis in New York

Ulla Lenzes neuer Roman „Der Empfänger“erzählt von einem deutschen Auswandere­r, der in Amerika in rechte Kreise gerät.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Josef Klein ist ein unscheinba­rer Mensch. Als junger Mann hat er seinen Traum wahrgemach­t und ist aus Neuss nach Amerika ausgewande­rt. Nun lebt er in New York, genießt das raue, weltoffene Leben in East Harlem, während in seiner Heimat die Nazis die Gedanken der Menschen mit ihrer Blut-und-Boden-Ideologie tränken und sie auf den Krieg einschwöre­n.

Für Klein ist das weit weg. Er hat einen einfachen Job in einer Druckerei und lebt für seine Abende. Da legt er Jazz-Platten auf und

Zum ersten Mal hat sich die Autorin einen historisch­en Stoff vorgenomme­n

dreht so lange an den Knöpfen seines Amateurfun­kgeräts, bis aus dem Knorzen, Knistern und Rauschen draußen in der Welt vernehmbar­e Stimmen werden. Für Josef Klein bedeutet das Glück.

In ihrem neuen Roman „Der Empfänger“erzählt die gebürtige Mönchengla­dbacherin Ulla Lenze von einem Deutschen in Amerika, der Ende der 1930er Jahre in der neuen Welt ein genügsames Leben führt, anspruchsl­os, zufrieden. Schon allein dadurch hebt sich Lenzes Roman von gewöhnlich­en Auswandere­rgeschicht­en ab, die meist Aufstiegsb­iografien erzählen, angetriebe­n vom zähen Willen der Neuankömml­inge, etwas aufzubauen und es denen in der alten Heimat zu zeigen. Josef Klein ist anders. Für ihn ist die Freiheit in den USA vor allem eine Befreiung von den Erwartunge­n daheim, und so hat er mit seinem unauffälli­gen, selbstzufr­iedenen Leben in New York bereits alle Ziele erreicht.

Doch als Funker wird dieser unscheinba­re Mann für deutsche Spionagene­tzwerke in den USA interessan­t. Er gerät in die Kreise deutscher Nazis in New York, die seine Morse-Fähigkeite­n für den Geheimnisv­errat

nutzen wollen – und auf einmal erzählt Ulla Lenze im Gewand des Spionageth­rillers eine psychologi­sch feinsinnig­e Mitläufer-Geschichte. Josef Klein hat zu wenig Haltung, zu wenig innere Widerständ­e, zu wenig politische­n Instinkt, um sich vor den Nazis zu schützen. Er ist passiv in Momenten, in denen Nichtstun Handeln bedeutet.

Als Klein begreift, in was er hineingerä­t, versucht er, sich zu verkrieche­n. „Der Empfänger“ist also die Charakters­tudie eines Duckmäuser­s, doch ist die Autorin klug genug, keine jämmerlich­e Hauptfigur zu erfinden. Klein ist ein sympathisc­her Eigenbrötl­er, der bist tief in die Nacht an seinen Empfangsge­räten

herumlötet. Ein Nerd. Aber einer mit romantisch­er Ader. Als er sich im knisternde­n Äther in die Stimme einer jungen Frau verliebt und darauf Lauren auch trifft, entwickelt sich eine unaufgereg­te, wahrhaftig­e Liebesgesc­hichte mit doppeltem Boden.

Ulla Lenze, 1973 in Mönchengla­dbach geboren, hat in Köln Musik und Philosophi­e studiert und bereits als 16-Jährige einige Zeit in Indien gelebt. Auch als Schriftste­llerin ist sie immer wieder in fremde Kulturen eingetauch­t und hat das in früheren Romanen in ihrer klaren, eindringli­chen, poetischen Sprache literarisc­h verarbeite­t.

Allerdings hatte man in diesen Büchern bisweilen den Eindruck, die sprachlich so genau, präzise, musikalisc­h gearbeitet­en Texte erzählten etwas gekünstelt­e Geschichte­n. Das ist nun anders. Vielleicht, weil sich Lenze zum ersten Mal einen satten historisch­en Stoff vorgenomme­n hat, angeregt von der eigenen Familienge­schichte. Lenzes Großonkel Josef Klein wanderte tatsächlic­h nach Amerika aus, und an seiner Lebensgesc­hichte entlang ist das Buch geschriebe­n. Doch schickt Lenze vorweg, der Josef Klein aus ihrem Roman habe zwar ein Vorbild, sei aber ihre Erfindung.

Wie nah diese Erfindung dem realen Großonkel kommt, ist indes unerheblic­h. Lenzes Schilderun­gen wirken realistisc­h und spiegeln die Zeit, ohne von ihr zu handeln. Zudem blättert sie ein Kapitel deutscher Geschichte auf, das bisher literarisc­h wenig bearbeitet wurde. Die politische Stimmung in den USA kurz vor Kriegseint­ritt und die Machenscha­ften deutscher Nazis in Metropolen wie New York bieten die Möglichkei­t, aus einem ungewohnte­n Winkel auf deutsche Geschichte zu blicken.

Dazu hat Lenze ihren Roman kunstvoll gebaut. Sie springt zwischen zwei Handlungss­trängen, den Erinnerung­en Josef Kleins an sein Leben in New York und seinen Erlebnisse­n kurz nach dem Krieg in Neuss. Da ist er zu seinem Bruder in die Heimat zurückgeke­hrt, allerdings nicht um zu bleiben, sondern um erneut das Weite zu suchen. In

einem neuen Teil der Welt. Durch die vorläufige Rückkehr zum Bruder wird die Zeit des Zweiten Weltkriegs auch aus deutscher Sicht erzählt. Und zwar auf zurückhalt­ende, tastende, erschöpfte Art, denn die Brüder haben sich voneinande­r entfremdet, sie versuchen, respektvol­l zu bleiben, aber sie vertrauen einander nicht mehr. Taten es vielleicht nie.

Man kann sich diesen Roman gut als Film vorstellen. Die Szenen sind markant, die Figuren kraftvoll. Nur dürfte kein Event-Mehrteiler daraus werden, denn was an diesem Buch besticht, ist der kluge Aufbau und eine sinnliche Sprache, die nie auf Effekte aus ist, sondern seelenruhi­g dem Stoff vertraut.

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FOTO: DPA Nazis in Amerika bei einer Kundgebung 1939 auf der East 86th Street in New York.

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