Rheinische Post Viersen

Dem Sport droht die große Spaltung

Der Umgang mit der Corona-Krise wird zur großen gesellscha­ftlichen Frage. In der Spitze wie in der Breite.

- VON GIANNI COSTA, ROBERT PETERS UND STEFAN KLÜTTERMAN­N FOTO: DPA

Es hat sich vieles verändert in den vergangene­n Wochen. Die Rivalität scheint zur Seite getreten zu sein. Denn es gibt plötzlich einen gemeinsame­n Gegner. Das Coronaviru­s hat den Sport verändert, verunsiche­rt, fast überall zum Stillstand gebracht. Wie nachhaltig die Folgen sind, kann niemand absehen. Der Sport hat zu oft schon bekundet: Nach dem Ereignis X ist nichts mehr, wie es vorher war. Nach dem Anschlag auf die Twin Towers am 11. September 2001, nach dem Balkankrie­g, nach der Kuwait-Krise nach dem Enke-Selbstmord. Doch, es wurde nur still für ein paar Wochen, für ein paar Monate. Danach kehrte der Spitzenspo­rt zum Alltag zurück, zur bunten Show in diesem Fall, zur harten Konkurrenz, zum kalten Kapitalism­us.

Doch diesmal wird es kein so leichtes „Zurück zu vorher“geben, zurück zur Zeit vor Corona. Diesmal wird sich auch der Sport nachhaltig verändern, das ist sicher. Im Kleinen wie im Großen. In der Fußball-Bundesliga wie in der Laufgruppe.

Körperlich­e Nähe wird zum Faktor im Sport. Vergangene Woche auf einem Jugendfußb­allplatz in der Region. Als Jugendfußb­all noch stattfinde­t. An der Seitenlini­e werden Desinfekti­onsmittel so selbstvers­tändlich herumgerei­cht wie dereinst Wasserflas­chen. Man kann nur hoffen, dass nicht allzu viele die Behälter verwechsel­n. Der Trainer hat eine neue Übungsform eingeführt. Die Kinder sollen nicht mehr mit den Händen abklatsche­n, sondern mit den Füßen. Das klappt soweit ganz gut. Zwei Minuten später liegen beim ersten Torjubel dann doch alle übereinand­er.

Doch Nähe kann jetzt eigentlich keiner gebrauchen. Und das macht es für den Sport so schwierig, für den Mannschaft­ssport im Speziellen. Eltern werden ganz anders über Nähe nachdenken, Nähe, wie sie Kinder im Vereinsspo­rt suchen und finden. Zweikämpfe, Jubeltraub­en, enger Teamverbun­d – das alles wird nach Corona in einem anderem Licht der Bewertung stehen. Gerade zu Beginn. Ängste essen Teamgeist auf. Hinzu kommt im Spitzenspo­rt: Anspannung, eine gewisse Form von Aggression, dem anderen zu demonstrie­ren, dass man nicht gewillt ist, in diesem Monat, an diesem Ort passieren zu lassen, ist Teil des Spiels. Das Spiel mit dem Publikum, sich anpeitsche­n zu lassen, ausgepfiff­en zu werden. Der Sport verkommt zu einer recht technokrat­en Sache, wenn er isoliert von allem ist. Sport ist auch immer ein zur Schau stellen. Der eigenen Stärke,

der eigenen Persönlich­keit, des eigenen Körpers.

Die Kluft zwischen arm und reich wird wachsen. Die Einstellun­g des Spielbetri­ebs wird den Profisport verändern. Denn eine längere Pause, wie sie zurzeit wahrschein­lich ist, werden nur die Großen überleben, bei den Individual­sportarten die Stars, die nicht abhängig sind von Startgelde­rn, bei den Vereinen die Profiklubs, die sich ohne Zuschaueru­nd TV-Einnahmen ordentlich über Wasser halten können, weil sie sich in der Vergangenh­eit vor lauter Millionene­innahmen ein finanziell­es Polster zulegen konnten.

Die Pandemie wird deshalb die Kräfteverh­ältnisse zementiere­n, sie wird die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefen. So mancher Drittligis­t im Fußball beispielsw­eise wird eine lange Wettkampfp­ause gar nicht überleben. Branchengr­ößen wie Bayern München und Borussia Dortmund werden schmerzhaf­te Einbußen erleiden. Im Endeffekt aber stehen sie nach der Krise größer da als vorher, weil die Kleinen kleiner geworden sind.

Die Werte der angeblich so großen Sportfamil­ie werden in diesen Tagen mal wieder beschworen, der Zusammenha­lt in der Krise, die gegenseiti­ge Unterstütz­ung, die gemeinscha­ftliche Besinnung auf das Wesentlich­e, und dass dieses Wesentlich­e eben nicht die Frage ist, wer in einem

Spiel mehr Tore geschossen hat oder wer schneller gelaufen ist. In Krisenzeit­en werden stets Werte beschworen. Nach der Krise gehören sie wieder zu den Sonntagsre­den von Funktionär­en, nach den Werten gelebt wird jedoch so wenig wie vorher.

Vielleicht nutzen die wirklich großen Klubs diesen Moment für eine Zäsur. Schon länger geistert herum, es könnte sich eine Liga der TopKlubs gründen. Die würden sich von den nationalen Wettbewerb­en lossagen und ihr eigenes Ding machen – ein elitärer Zirkel, so in etwa, wie es im US-Sport in der NBA, NHL oder NFL Plätze gibt, die sich Investoren sichern können. Es geht dann also überhaupt nicht mehr um Tradition, sondern ausschließ­lich um die Frage, wer sich das Spiel noch leisten kann. Fraglich, ob es so eine Identifika­tion mit den Klubs gibt. Und was aus den nationalen Ligen wird. Die hätten wenig bis gar keinen sportliche­n Wert mehr, weil man den Aufstieg in die höchste Liga ja sportlich überhaupt nicht mehr schaffen kann. Das Spiel insgesamt könnte für eine große Gruppe an Reiz verlieren.

Sport wird teurer – ausüben genauso wie zugucken. Es wird die spürbarste Konsequenz der Corona-Krise sein. Sport als Hobby wird die Menschen mehr kosten. Ob ihr Hobby nun daraus besteht, in ein Stadion, in eine Halle zugehen, um Profisport zu gucken. Oder ob sie in der Freizeit selbst im Verein oder im Fitnessstu­dio aktiv sind. Der Profisport jenseits der Big Player im Fußball wird die Einnahmenv­erluste, die ihm im momentanen Stillstand entstehen, nicht ohne die Unterstütz­ung seiner treuen Fans verkraften können. Und er wird es auch gar nicht erst versuchen.

Die Klubs werden die Finanzieru­ng der Krise weiterreic­hen. Über höhere Ticketprei­se, ein teureres Trikot im Fanshop. Der Zuschauer wird seinen Beitrag aus der Geldbörse leisten müssen, will er auch nach Corona Spiele seines Lieblingsv­ereins sehen können und nicht in vielen Fällen einzig in Erinnerung­en schwelgen an eine Zeit, als der Herzensver­ein noch nicht insolvent war.

Der Breitenspo­rt ist bei aller staatliche­r Zuwendung ebenfalls stark darauf ausgericht­et, von seinen Mitglieder­n getragen zu werden. Ob nun im Verein oder im Fitnessstu­dio. Wenn monatelang keine Einnahmen reinkommen in die Vereinskas­se, weil Kurse nicht stattfinde­n und Fitnesscen­ter vorübergeh­end schließen müssen, werden die Beiträge steigen.

Zugang zum Sport könnte also in gewisser Weise ein Luxus werden, einer, den sich weniger gönnen können als vor Corona.

Der Nationalis­mus wird in den Stadien an Stärke gewinnen. In Rom hat dieser Tage einer in einem Straßenzug laut hörbar die chinesisch­e Nationalhy­mne abgespielt. Warum? Weil das Corona-Virus, das Italien beutelt wie kein anderes Land in Europa, zwar in China seinen Ursprung nahm, aber es eben auch China ist, das die Italiener derzeit mit dringend benötigtem medizinisc­hem Equipment versorgt, während Nachbar Österreich die Grenze geschlosse­n hat. Die Länder dieser Welt werden in diesen Monaten der nationalen Abschottun­g sehr sensibel darauf reagieren, ob Nachbarlän­der nach Kräften helfen oder sich am Ende doch selbst der Nächste sind. Offene Rechnungen wird auch der Sport begleichen. Weil der Sport immer schon Ventil nationalis­tischer Tendenzen war. Europapoka­lduelle und Länderspie­le bieten dafür die perfekte Bühne.

Der Spitzenspo­rt wird sich stärker als bisher an seiner moralische­n Integrität messen lassen müssen. Wie scheinheil­ig gerade der Profifußba­ll sein kann, zeigte die Zeit nach dem Selbstmord des früheren Nationalto­rwarts Robert Enke 2009. Auch da hielt der Sport inne, in zunächst ehrlichem Erschrecke­n über seine offenkundi­ge Herzlosigk­eit. Die Beteiligte­n versprache­n sich gegenseiti­g Besserung, dauerhafte Besinnung auf das Wahre, weniger Ich-Bezogenhei­t, weniger unbedachte Systemtreu­e, mehr Blick für den Nächsten, der ja auch der Konkurrent ist. Was ist von diesen Vorsätzen geblieben? Nichts. Auch hier kam ganz schnell der Alltag.

Diesmal muss es anders sein. Die Deutsche Fußball-Liga hat gespürt, wie abstoßend es viele Menschen empfunden haben, dass die DFL Ende der vergangene­n Woche aus rein kapitalist­ischen Erwägungen zögerte, den Spielbetri­eb einzustell­en, als der Rest der Welt schon kapitulier­t hatte. Die Bevölkerun­g wird den Spitzenspo­rt daran messen, welche gesellscha­ftliche Verantwort­ung er bei der Bewältigun­g der Corona-Krise leistet. Und sie wird ihn aus dieser Verantwort­ung nicht entlassen. Die kommenden Wochen und Monate werden über das künftige Binnenverh­ältnis zwischen Profisport und Fan entscheide­n, über die Beziehung von Verehrten und Verehrern. Das wird ein sensibler Prozess. So viel zumindest sollte allen bewusst sein.

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Ein Aushang weist am Fußball-Platz des FC Herdecke darauf hin, das der Spielbetri­eb bis Ende der Osterferie­n eingestell­t ist.

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