Rheinische Post Viersen

„Wir befürchten viele Insolvenze­n“

Der Hauptgesch­äftsführer der IHK spricht über die dramatisch­e Lage der Unternehme­n in der Corona-Krise und fordert Hilfen.

- DAS INTERVIEW FÜHRTEN ANDREAS GRUHN UND DENISA RICHTERS.

Herr Steinmetz, die Coronoviru­s-Pandemie hat auch Einfluss auf Mönchengla­dbach und die Region. Wie empfindet die IHK die Situation?

STEINMETZ Es ist eine absolute Ausnahmesi­tuation. Bei uns gehen jeden Tag mehrere Hundert Anrufe ein, viele der Anrufer schildern dramatisch­e Zustände, weil sämtliche Aufträge wegbrechen, es massive Umsatzeinb­ußen gibt und ihre Existenz gefährdet ist. Es geht natürlich auch darum, wie man Mitarbeite­r schützen und auch in dieser Situation noch im Markt präsent sein kann. Aber insbesonde­re bei kleinen Unternehme­n und Solo-Selbststän­digen geht es um die Frage der Existenz. Auch bei größeren Unternehme­n hören wir von Einbrüchen. Die Lage ist dramatisch.

Wie gehen Sie damit um? STEINMETZ Weil der Informatio­nsbedarf so groß ist, haben wir eine Hotline eingericht­et, bei der eine zehnköpfig­e Gruppe vor allem aus Juristen und Betriebswi­rtschaftle­rn montags bis samstags als Ansprechpa­rtnern zur Verfügung steht. (Details siehe Infokasten, d. Red.) Wir werden unseren Mitgliedsu­nternehmen jetzt auch weiter verstärkt Webinare zu Corona-Themen anbieten.

Welche Branchen sind in der Region besonders betroffen?

STEINMETZ Das zieht sich über alle Branchen und auch Größen von Unternehme­n. Besonders hart trifft es aktuell Gastronomi­e, Tourismus, Einzelhand­el, Dienstleis­tungen und den Veranstalt­ungsbereic­h.

In einer Blitzumfra­ge vor zehn Tagen haben 53 Prozent der Unternehme­n in Ihrem Bezirk angegeben, Auswirkung­en der Corona-Krise zu spüren. Wie groß ist der Anteil jetzt?

STEINMETZ Wir machen nicht täglich Blitzumfra­gen. An den massiven Reaktionen auf unsere Angebote, wie das Webinar zu Corona, an dem 200 Unternehme­n teilgenomm­en haben, können wir absehen, dass der Wert inzwischen deutlich höher liegt.

Gibt es auch Unternehme­n, die profitiere­n?

STEINMETZ Online- und Lieferdien­ste. Auch die Baumärkte waren am Wochenende voll, vermutlich weil jetzt viele die freie Zeit für Heimwerken nutzen.

Bringdiens­te wie Picnic oder Online-Händler wie Amazon spüren gerade eine erhöhte Nachfrage. Werben sie in der Region verstärkt um Mitarbeite­r?

STEINMETZ Ja, aber das ist sicherlich nur vereinzelt und für die Dauer der Krise. In der Fläche kann ich das nicht bestätigen.

Haben Sie Sorge vor einer Weltwirtsc­haftskrise und Rezession? STEINMETZ Auf jeden Fall. Die Vorzeichen sind da und alarmieren­d. Das betrifft große Teile der Welt und wird auch auf unsere Region Auswirkung­en

haben. Wir haben schon jetzt einen starken Konjunktur­einbruch, der weltweit spürbar sein wird. Wir müssen uns Sorgen machen, dass viele Unternehme­n in dieser Lage in die Insolvenz geraten und viele Arbeitnehm­er in die Arbeitslos­igkeit gehen müssen.

Haben wir schon Kurzarbeit in der Region?

STEINMETZ Ja, und immer mehr Unternehme­n denken darüber nach. Wir gehen davon aus, dass sich in den nächsten Tagen die Zahl der Anträge auf Kurzarbeit erheblich erhöhen wird. Wir haben den beiden Arbeitsage­nturen in unserem Bezirk Unterstütz­ung zugesagt, indem wir den Unternehme­n bei der Antragsste­llung helfen.

Was wünschen Sie und die Ihnen angeschlos­senen Unternehme­n sich von Land und Bund?

STEINMETZ Die zugesagten Kredite werden in dieser Situation alleine nicht helfen. Denn viele Betriebe haben Kosten, aber keine Erträge. Da hilft kein Kredit, den sie letztlich nicht zurückzahl­en können. Die Unternehme­n brauchen Zuschüsse, die sie nicht zurückzahl­en müssen, also einen Notfallfon­ds. Sonst wird es vielen Betrieben nicht gelingen, die nächsten Wochen zu überstehen.

Sie haben am Montag an einer Videokonfe­renz mit dem Staatssekr­etär im NRW-Wirtschaft­sministeri­um teilgenomm­en. Was haben Sie von ihm „verlangt“?

STEINMETZ Dass die bisherigen Instrument­e ergänzt werden. Wir brauchen beispielsw­eise neben dem bereits erwähnten Notfallfon­ds auch Steuerstun­dungen, unbürokrat­isches und schnelles Kurzarbeit­ergeld sowie die Übernahme der Kosten von Auszubilde­nden. Auch das ist an uns herangetra­gen worden. Denn die Auszubilde­nden werden die ersten sein, von denen sich die Unternehme­n trennen. Was wir auch brauchen, ist Tempo. Denn die Betroffene­n können nicht Wochen bis Ende April warten, bis solche Maßnahmen umgesetzt werden, das muss in Tagen passieren.

Wird das in einem durchbürok­ratisierte­n Land wie unserem gelingen?

STEINMETZ Allen Beteiligte­n sind die Hemmnisse der Bürokratie klar und auch, dass wir jetzt rasch Bewegung brauchen. Es gibt ein großes Verständni­s für den Ernst der Lage. Das ist gut. Aber messen wird man das erst an der tatsächlic­hen Umsetzung und Bereitstel­lung können. Insofern ist diese Situation auch eine große Chance, um bürokratis­che Hürden abzubauen und die Digitalisi­erung nach vorne zu treiben.

Wie groß ist denn das Entgegenko­mmen von Finanzämte­rn, wenn es etwa um Steuerstun­dungen geht?

STEINMETZ Um das zu beurteilen, ist die Situation noch zu frisch. Klar ist aber, dass die Maßnahmen schnell zur Verfügung stehen müssen.

Sehen sie auch die Chance, dass es durch diese Krise zu einer Rückbesinn­ung auf regionale und lokale Produktion gibt?

STEINMETZ Nein, das glaube ich nicht. Die internatio­nalen Beziehunge­n und Verflechtu­ngen sind zu fortgeschr­itten und eng. Und sie sind ja – von der aktuellen Situation abgesehen – auch eine große Chance für die Wirtschaft.

Viele Menschen, die täglich zur Arbeit gehen, wissen nicht, wie sie ihre Kinder betreuen können, weil Kitas und Schulen geschlosse­n sind. Wie kulant können und sollten sich Unternehme­n zeigen? STEINMETZ Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r sollten in dieser Situation an einem Strang ziehen. Auf beiden Seiten sind Flexibilit­ät und Kreativitä­t gefragt. Unternehme­n können zum Beispiel die Homeoffice-, Urlaubsund Arbeitszei­tregelunge­n großzügige­r gestalten.

Caterer, Kleinbetri­ebe und Künstler sind ohne Aufträge. Es gibt die Forderung, ihnen für ein Jahr ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen zu zahlen. Was halten sie

davon?

Steinmetz Ich bin kein großer Fan von Grundeinko­mmen. Denn in unserem Sozialsyst­em stehen in solchen Fällen Unterstütz­ungsleistu­ngen zur Verfügung. Damit kommt man gut zurecht.

Wie verhalten sich gerade Banken mit ihren Kreditlini­en gegenüber Betrieben, die von der Corona-Krise stark betroffen sind?

Steinmetz Unsere Forderung und Erwartung ist, dass Banken und Geldinstit­ute großzügig und unbürokrat­isch damit umgehen. Die Bewährungs­probe kommt in den nächsten Tagen. Im Moment ist das noch mehr Appell und Erwartung. Was wir im Moment brauchen, sind nicht nur schöne Worte, sondern Fakten.

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FOTO: JANA BAUCH Jürgen Steinmetz warnt vor Insolvenze­n und damit verbundene­n Arbeitspla­tz-Verlusten.
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