„Wir befürchten viele Insolvenzen“
Der Hauptgeschäftsführer der IHK spricht über die dramatische Lage der Unternehmen in der Corona-Krise und fordert Hilfen.
Herr Steinmetz, die Coronovirus-Pandemie hat auch Einfluss auf Mönchengladbach und die Region. Wie empfindet die IHK die Situation?
STEINMETZ Es ist eine absolute Ausnahmesituation. Bei uns gehen jeden Tag mehrere Hundert Anrufe ein, viele der Anrufer schildern dramatische Zustände, weil sämtliche Aufträge wegbrechen, es massive Umsatzeinbußen gibt und ihre Existenz gefährdet ist. Es geht natürlich auch darum, wie man Mitarbeiter schützen und auch in dieser Situation noch im Markt präsent sein kann. Aber insbesondere bei kleinen Unternehmen und Solo-Selbstständigen geht es um die Frage der Existenz. Auch bei größeren Unternehmen hören wir von Einbrüchen. Die Lage ist dramatisch.
Wie gehen Sie damit um? STEINMETZ Weil der Informationsbedarf so groß ist, haben wir eine Hotline eingerichtet, bei der eine zehnköpfige Gruppe vor allem aus Juristen und Betriebswirtschaftlern montags bis samstags als Ansprechpartnern zur Verfügung steht. (Details siehe Infokasten, d. Red.) Wir werden unseren Mitgliedsunternehmen jetzt auch weiter verstärkt Webinare zu Corona-Themen anbieten.
Welche Branchen sind in der Region besonders betroffen?
STEINMETZ Das zieht sich über alle Branchen und auch Größen von Unternehmen. Besonders hart trifft es aktuell Gastronomie, Tourismus, Einzelhandel, Dienstleistungen und den Veranstaltungsbereich.
In einer Blitzumfrage vor zehn Tagen haben 53 Prozent der Unternehmen in Ihrem Bezirk angegeben, Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren. Wie groß ist der Anteil jetzt?
STEINMETZ Wir machen nicht täglich Blitzumfragen. An den massiven Reaktionen auf unsere Angebote, wie das Webinar zu Corona, an dem 200 Unternehmen teilgenommen haben, können wir absehen, dass der Wert inzwischen deutlich höher liegt.
Gibt es auch Unternehmen, die profitieren?
STEINMETZ Online- und Lieferdienste. Auch die Baumärkte waren am Wochenende voll, vermutlich weil jetzt viele die freie Zeit für Heimwerken nutzen.
Bringdienste wie Picnic oder Online-Händler wie Amazon spüren gerade eine erhöhte Nachfrage. Werben sie in der Region verstärkt um Mitarbeiter?
STEINMETZ Ja, aber das ist sicherlich nur vereinzelt und für die Dauer der Krise. In der Fläche kann ich das nicht bestätigen.
Haben Sie Sorge vor einer Weltwirtschaftskrise und Rezession? STEINMETZ Auf jeden Fall. Die Vorzeichen sind da und alarmierend. Das betrifft große Teile der Welt und wird auch auf unsere Region Auswirkungen
haben. Wir haben schon jetzt einen starken Konjunktureinbruch, der weltweit spürbar sein wird. Wir müssen uns Sorgen machen, dass viele Unternehmen in dieser Lage in die Insolvenz geraten und viele Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit gehen müssen.
Haben wir schon Kurzarbeit in der Region?
STEINMETZ Ja, und immer mehr Unternehmen denken darüber nach. Wir gehen davon aus, dass sich in den nächsten Tagen die Zahl der Anträge auf Kurzarbeit erheblich erhöhen wird. Wir haben den beiden Arbeitsagenturen in unserem Bezirk Unterstützung zugesagt, indem wir den Unternehmen bei der Antragsstellung helfen.
Was wünschen Sie und die Ihnen angeschlossenen Unternehmen sich von Land und Bund?
STEINMETZ Die zugesagten Kredite werden in dieser Situation alleine nicht helfen. Denn viele Betriebe haben Kosten, aber keine Erträge. Da hilft kein Kredit, den sie letztlich nicht zurückzahlen können. Die Unternehmen brauchen Zuschüsse, die sie nicht zurückzahlen müssen, also einen Notfallfonds. Sonst wird es vielen Betrieben nicht gelingen, die nächsten Wochen zu überstehen.
Sie haben am Montag an einer Videokonferenz mit dem Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium teilgenommen. Was haben Sie von ihm „verlangt“?
STEINMETZ Dass die bisherigen Instrumente ergänzt werden. Wir brauchen beispielsweise neben dem bereits erwähnten Notfallfonds auch Steuerstundungen, unbürokratisches und schnelles Kurzarbeitergeld sowie die Übernahme der Kosten von Auszubildenden. Auch das ist an uns herangetragen worden. Denn die Auszubildenden werden die ersten sein, von denen sich die Unternehmen trennen. Was wir auch brauchen, ist Tempo. Denn die Betroffenen können nicht Wochen bis Ende April warten, bis solche Maßnahmen umgesetzt werden, das muss in Tagen passieren.
Wird das in einem durchbürokratisierten Land wie unserem gelingen?
STEINMETZ Allen Beteiligten sind die Hemmnisse der Bürokratie klar und auch, dass wir jetzt rasch Bewegung brauchen. Es gibt ein großes Verständnis für den Ernst der Lage. Das ist gut. Aber messen wird man das erst an der tatsächlichen Umsetzung und Bereitstellung können. Insofern ist diese Situation auch eine große Chance, um bürokratische Hürden abzubauen und die Digitalisierung nach vorne zu treiben.
Wie groß ist denn das Entgegenkommen von Finanzämtern, wenn es etwa um Steuerstundungen geht?
STEINMETZ Um das zu beurteilen, ist die Situation noch zu frisch. Klar ist aber, dass die Maßnahmen schnell zur Verfügung stehen müssen.
Sehen sie auch die Chance, dass es durch diese Krise zu einer Rückbesinnung auf regionale und lokale Produktion gibt?
STEINMETZ Nein, das glaube ich nicht. Die internationalen Beziehungen und Verflechtungen sind zu fortgeschritten und eng. Und sie sind ja – von der aktuellen Situation abgesehen – auch eine große Chance für die Wirtschaft.
Viele Menschen, die täglich zur Arbeit gehen, wissen nicht, wie sie ihre Kinder betreuen können, weil Kitas und Schulen geschlossen sind. Wie kulant können und sollten sich Unternehmen zeigen? STEINMETZ Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten in dieser Situation an einem Strang ziehen. Auf beiden Seiten sind Flexibilität und Kreativität gefragt. Unternehmen können zum Beispiel die Homeoffice-, Urlaubsund Arbeitszeitregelungen großzügiger gestalten.
Caterer, Kleinbetriebe und Künstler sind ohne Aufträge. Es gibt die Forderung, ihnen für ein Jahr ein bedingungsloses Grundeinkommen zu zahlen. Was halten sie
davon?
Steinmetz Ich bin kein großer Fan von Grundeinkommen. Denn in unserem Sozialsystem stehen in solchen Fällen Unterstützungsleistungen zur Verfügung. Damit kommt man gut zurecht.
Wie verhalten sich gerade Banken mit ihren Kreditlinien gegenüber Betrieben, die von der Corona-Krise stark betroffen sind?
Steinmetz Unsere Forderung und Erwartung ist, dass Banken und Geldinstitute großzügig und unbürokratisch damit umgehen. Die Bewährungsprobe kommt in den nächsten Tagen. Im Moment ist das noch mehr Appell und Erwartung. Was wir im Moment brauchen, sind nicht nur schöne Worte, sondern Fakten.