Das unterschätzte Virus
Ursula von der Leyen räumt ein, dass die Politik das Coronavirus anfangs nicht ernst genug genommen hat. Schon 2012 gab es aber eine Risikoanalyse des Robert-Koch-Instituts. Sie ist zum Teil Wirklichkeit geworden.
Die Lektüre ist unheimlich. Es ist die Drucksache 17/12051 des Deutschen Bundestags, der Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz. Das Robert-Koch-Institut und weitere Bundesbehörden haben die Gefahren und Maßnahmen zusammengetragen für ein außergewöhnliches Seuchengeschehen mit der Verbreitung eines neuartigen Virus. Es beginnt in Asien, wo der Erreger auf Märkten von Wildtieren auf Menschen überspringt– und die Gefahr erst Wochen später in ihrer Dimension erkannt wird. Da ist das Virus schon auf dem Weg und erreicht Deutschland.
Die Inkubationszeit beträgt drei bis fünf Tage, kann sich aber in einem Zeitraum von zwei bis 14 Tagen bewegen. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich über Tröpfcheninfektion, aber auch Schmierinfektionen. Zu den Symptomen gehören Fieber, trockener Husten, Atemnot, Schüttelfrost, Kopfschmerzen. Kinder und Jugendliche überstehen die Infektion recht schnell während ältere Patienten schwer erkranken. Neben Einhaltung von Hygienemaßnahmen und dem Tragen von Schutzausrüstung können nur noch scharfe Maßnahmen wie und Isolierung und Quarantäne der Erkrankten und Ansteckungsverdächtigen getroffen werden. Schulschließungen, Absagen von Großveranstaltungen, Einschränkungen im Luftverkehr. Einen Impfstoff gibt es nicht. Wird er erst in drei Jahren gefunden, ist mit drei Erkrankungswellen zu rechnen.
Das Gruselige an dieser Risikoanalyse ist: Sie stammt aus dem Jahr 2012, nicht 2020. Aber sie beschreibt Szenarien, die heute eingetroffen sind. Und Grundlage für die Analyse damals ist „der hypothetische, jedoch mit realistischen Eigenschaften versehen Erreger Modi-SARS“, der mit dem SARS-Coronavirus „in fast allen Eigenschaften identisch ist“. Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-Koch-Instituts
und in diesen Tagen täglich mit dem Präsidenten des RKI, Lothar Wieler, in Pressekonferenzen zu sehen, sagt, die aktuelle Situation könne nicht mit der Schilderung von 2012 verglichen werden: „Bei dem damaligen Szenario Modi-SARS handelte es sich nicht um eine Vorhersage der Entwicklung und der Auswirkungen eines pandemischen Geschehens, sondern um ein Maximalszenario ausgelöst durch einen fiktiven Erreger, um das theoretisch denkbare Schadensausmaß einer Mensch-zu-Mensch übertragbaren Erkrankung mit einem hochvirulenten Erreger zu illustrieren.“
Die Illustration ist aber eindrucksvoll gelungen und trifft auf die Maßnahmen zu, die die Bundesregierung mit Ländern und Kommunen beschlossen hat: Isolierung, Quarantäne, Verzicht nicht nur auf Großveranstaltungen. In dem damaligen Maximalszenario mit denkbarem Schadensausmaß wurde allerdings eine Todesquote von zehn Prozent der Infizierten angenommen: „Für den gesamten zugrunde gelegten Zeitraum von drei Jahren ist mit mindestens 7,5 Millionen Toten als direkte Folge der Infektion zu rechnen.“In Deutschland. Aufgrund der Überlastung der Mediziner und Pfleger sei eine angemessene Versorgung aller Patienten nicht möglich.
Professor Wieler ist ein besonnener Mensch. Seine Stimme bleibt ruhig, auch wenn er Dramatisches vorträgt. Wie am Mittwoch. Wenn die Bevölkerung die von der Politik angeordneten Maßnahmen zur Reduzierung der sozialen Kontakte nicht umsetze, „ist es möglich, dass wir in zwei bis drei Monaten bis zu zehn Millionen Infizierte in Deutschland haben mit einer entsprechenden erheblichen Überlastung des Gesundheitswesens.“Insofern ähneln sich die Beschreibungen von damals und heute wieder. Ganz wichtig aber: Die Zahl der Todesfälle liegt in Deutschland derzeit im Promillebereich.
Bei aller Beratung, die Politiker von
„Europa und die Regierungsspitzen hätten sich viel früher austauschen müssen“Katrin Göring-Eckardt Grünen-Fraktionschefin