Der Arbeitsminister will Beschäftigte vor zu harten Einbußen schützen und ist zu Gesprächen über eine Anhebung des Kurzarbeitergeldes bereit. Wenn nötig, würden die Hilfsmaßnahmen noch ausgeweitet.
BERLIN In Zeiten von Corona haben wir auch dieses Interview telefonisch geführt – von drei verschiedenen Standorten aus. Das klappt erstaunlich gut und spart Zeit. Aber zum Schluss sagte der Minister, er freue sich darauf, wenn man sich wieder ganz normal gegenüber sitzen kann. Wir auch.
Herr Heil, die Regierung muss in der Corona-Krise abwägen zwischen Gesundheitsschutz und Wohlstandssicherung. Wann ist für Sie die Grenze erreicht, von der an die wirtschaftlichen Verluste durch den Stillstand des öffentlichen Lebens zu hoch sind?
HEIL Als Christ sage ich, es gibt nichts Heiligeres als das Menschenleben. Man muss aber kein Christ sein, um das Grundgesetz zu kennen, und da steht an erster Stelle, die Würde des Menschen ist unantastbar. Wir kümmern uns gleichzeitig um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise mit massiven Hilfen für Wirtschaft und Arbeitnehmer. Wir sind der Krise nicht hilflos ausgeliefert. Glücklicherweise hat unser Land alle Voraussetzungen und die Rücklagen, diese wirtschaftlich schwierige Zeit zu überstehen. Aber: Der Schutz von Leben und Gesundheit hat immer Vorrang, im Zweifelsfall auch vor wirtschaftlichen Interessen.
Wer wird das am Ende bezahlen? Ihre Parteichefin hat eine einmalige Vermögensabgabe vorgeschlagen. Wie stehen Sie dazu?
HEIL Nach der Krise wird darüber zu reden sein, wie wir die Lasten fair verteilen. Denn es wird hohe wirtschaftliche Verluste geben. Es wird Unternehmen mit Gewinn- und Umsatzeinbrüchen und Beschäftigte
mit Lohneinbußen geben. Auch die Staats-Ressourcen werden geringer. Jetzt geht es erstmal darum, die Schutzpakete umzusetzen, die wir gerade erst beschlossen haben.
Gehört ein höherer Spitzensteuersatz für Reiche zur Solidarität?
HEIL Als Arbeitsminister konzentriere ich mich jetzt auf die Umsetzung der Schutzpakete. Aber nach der Krise werden wir uns grundsätzlich fragen, ob wir nicht dauerhaft mehr für Gesundheit und Pflege ausgeben müssen. Die Wirtschaft muss wieder angekurbelt werden. Und wir dürfen dann nicht vergessen, wer derzeit die eigentlichen Leistungsträger sind. Das sind vor allem die vielen Helden des Alltags, in der Pflege oder an der Ladenkasse. Der Zusammenhalt der Gesellschaft, den wir jetzt erfahren, muss auch nach der Krise gelten.
Gehört für Sie die Entprivatisierung von Krankenhäusern dazu? HEIL Über die Trägerstruktur von Krankenhäusern muss in den Kommunen entschieden werden. Grundsätzlich gilt: Wir haben aber eine staatliche Gewährleistungsverantwortung. Wir müssen den öffentlichen Bereich stärken. Einige Krankenhäuser sind kaputtgespart worden. Wir müssen einfach darauf reagieren, dass Gesundheit kein rein marktwirtschaftliches Gut sein kann.
Bei all den Hilfen der Bundesregierung bekommen die mittelgroßen Unternehmen mit elf bis 249 Mitarbeitern keine direkte Staatshilfe, viele erhalten aber auch keinen KfW-Förderkredit. Muss hier nachgesteuert werden?
HEIL Wir haben alle Arbeitsplätze im Blick. Von Soloselbstständigen bis zu den großen Unternehmen. Die Hilfen laufen jetzt an. Bund und Länder werden, wo immer es notwendig ist, nachsteuern.
Viele Unternehmen wollen aus Kostengründen das Kurzarbeitergeld für ihre Beschäftigten nicht aufstocken. Wie wollen Sie Arbeitgeber überzeugen, es doch zu tun? HEIL Es gibt bereits viele tarifvertragliche oder betriebliche Vereinbarungen, das Kurzarbeitergeld von 60 oder 67 Prozent für Arbeitnehmer mit Kindern auf 80, 90 oder 100 Prozent des Lohns aufzustocken. Aber es gibt auch Branchen, in denen das schwierig oder umstritten ist. Der Staat übernimmt aber auch 100 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeitende. Ich werde mit Arbeitgebern und Gewerkschaften darüber reden, wie sie diesen Vorteil an die Beschäftigten weitergeben können, aber auch darüber, ob wir das Kurzarbeitergeld noch einmal anheben können.
Welche Zusage erwarten Sie denn konkret von den Arbeitgebern?
HEIL Ich setze auf einen fairen Lastenausgleich zwischen Unternehmen, Beschäftigten und dem Staat. Es geht vor allem darum, diejenigen, die ohnehin schon niedrige Löhne und Gehälter haben, vor unzumutbaren Lohneinbußen zu schützen. Und wir müssen darüber reden, dass wir über die Krise hinaus, etwa in der Pflege oder im Einzelhandel, zu besseren Löhnen kommen.
Können Sie als Bundesarbeitsminister überhaupt Daumenschrauben ansetzen, damit die Gehälter im Einzelhandel und in der Pflege verbessert werden und die Anerkennung für die Beschäftigten über die Krise hinaus erhalten bleibt? HEIL Wir haben ja schon den Bonus, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser Krise bekommen, bis zu 1500 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei gestellt. Grundsätzlich müssen wir als Gesellschaft begreifen, dass Verkäuferinnen und Pfleger besser bezahlt werden. Wir können sie nicht mit Applaus oder Merci-Schokolade abspeisen. Aber die Löhne sind Sache der Tarifvertragsparteien. Ich kann die Tarifverträge im Einzelhandel oder in der Pflege als Arbeitsminister für die gesamte Branche für allgemeinverbindlich erklären und damit fairen Wettbewerb herstellen. Dafür müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften aber sozial gerechte und repräsentative Tarifverträge abschließen.
Die IG BAU fordert ein Kündigungsverbot für Reinigungskräfte in dieser Krise, in der teilweise auf Gebäudereinigung verzichtet wird. Wie stehen Sie dazu?
HEIL Mein Appell an die Arbeitgeber in dieser Situation ist klar: Schmeißt die Leute nicht raus! Ihr habt die erleichterten Regeln für Kurzarbeit, mit denen wir Brücken über diese Krise bauen. Wenn es nötig ist, bauen wir die auch noch länger.
Vermuten Sie Trittbrettfahrer unter Firmen, die Kurzarbeit anzeigen? HEIL Die Voraussetzungen werden von der Bundesagentur für Arbeit überprüft. Ich gehe davon aus, dass kaum jemand freiwillig Kurzarbeit anmeldet, wenn genügend Arbeit da ist. Gegen Schwarze Schafe werden wir aber vorgehen.
In dieser Krise sind Union und SPD wieder zusammenrückt. Erholt sich die große Koalition ausgerechnet an der Corona-Pandemie?
HEIL Es zeigt sich, dass wir eine handlungsfähige Regierung haben und eine krisenfeste Demokratie. Die Beschlüsse sind parteiübergreifend und über Grenzen zwischen Bund und Ländern hinweg gefasst worden. Es ist ein gutes Signal für die Gesellschaft, dass sich nicht nur viele Menschen anständig verhalten, sondern auch die meisten politisch Verantwortlichen wissen, was die Stunde geschlagen hat.
Können Sie sich vorstellen, dass Sie nach 2021 Arbeitsminister bleiben? HEIL Aber Hallo! Das entscheiden aber die Wählerinnen und Wähler. Schönes Schlusswort.
Nein! Das Interview ist noch nicht zu Ende… dass Sie Arbeitsminister wieder in einer der großen Koalition sein werden, weil es sich doch so schön mit der Union regieren lässt? HEIL Ich spekuliere nicht, erst recht nicht in diesen Zeiten.