Der Dichter unter den Köchen
Nigel Slater schreibt sehr persönliche und literarisch wertvolle Kochbücher. Jetzt ist ein neuer Band des Briten erschienen.
LONDON Kurz mal überlegen: Wie intim doch die Beziehung zwischen Kochbuchautoren und Lesern ist! Man nimmt schließlich nicht bloß auf, was sie schreiben, man verinnerlicht es geradezu. Ganz buchstäblich. Welche anderen Schriftsteller haben solch eine Wirkung?
Es besteht also ein besonderes Verhältnis zwischen Kochbuchautor und Leser, ein freundschaftliches, und der allerbeste Freund ist so gesehen der Engländer Nigel Slater. Er ist der Dichter unter den Köchen, seine Texte klingen mindestens so gut, wie seine Mahlzeiten schmecken. Wasser kocht bei ihm „enthusiastisch“, Walderdbeeren gleichen „Diamantsternen“. Bei Slater steht weniger als ein Buchstabe zwischen Gericht und Gedicht.
Er ist 61 Jahre alt und daheim eine Institution. Seit mehr als 20 Jahren schreibt er eine Kochkolumne in der Zeitung „The Observer“, sein Leben wurde unter dem Titel „Toast“mit Helena Bonham Carter verfilmt, und seine Bücher sind auch hierzulande Bestseller. Das schönste ist sicher „Das Wintertagebuch: Rezepte, Notizen und Geschichten für die kalten Monate“. Darin erzählt er erst mal, wie sehr er seit Kindertagen den Winter mag. Damals sei er „eingemummelt in Dufflecoat und Fäustlinge“durch den Schnee gestiefelt, und besonders fein ist seine ganz persönliche Nuancierung der Euphoriegefühle beim „In-die-Kälte-Hinausgehen“und „Aus-der-Kälte-Heimkommen“. Jedenfalls möchte man danach gleich eine ganze Staffel „Der Doktor und das liebe Vieh“schauen. Außerdem beschließt man, als Weihnachtsritual künftig nicht mehr bloß Charles Dickens zu lesen, sondern auch die 16 Seiten, die Slater der Zubereitung des „Christmas Cake“widmet.
Soeben ist das neue Buch von Slater erschienen, „Greenfeast: Frühling/Sommer“heißt es, und darin empfiehlt er grüne Gerichte, vegetarische also, und zwar genussvolle, das ist ihm wichtig. Er führe ein Notizbuch, verrät er, darin vermerke er alles, was er über den Tag hinweg esse, jeden Snack; auch die Marshmallows zwischendurch. Und als er neulich darin geblättert habe, habe er bemerkt, dass er sich zuletzt fast ausschließlich vegetarisch ernährte. So leitet er den Leser nun an, dicke Bohnen mit neuen Kartoffeln
und Tomaten zu kombinieren, Rote Bete mit Curryblättern und Knusperzwiebeln zu servieren, Misosuppe mit geröstetem Knoblauch und Ingwer zu verfeinern und Fenchel mit Radieschen und Joghurt zu mischen. Jedes Rezept ist indes nur Empfehlung. Haltet euch nicht so genau daran, ruft er den Lesern zu, die Angaben sollen schließlich keine Zwangsjacke für die Kreativität sein.
Man hört Slater sprechen, wenn man ihn liest. Er spricht mit ruhiger Stimme, und vielleicht liegt es daran, dass man so viel über ihn weiß, aber man stellt ihn sich als sehr gelassene, geradezu weise Person vor. Seine Mutter starb, als er sieben war, der Vater wenige Jahre später, danach zog er aus der Provinz in Herefordshire in die große Stadt. Nun lebt er in einem 200 Jahre alten Townhouse im Norden Londons. In seinem schmalen und langgezogenen Garten baut er Obst und Gemüse an, und morgens macht er sich als Erstes einen Kaffee und schaut mit der Tasse in der Hand den Pflanzen beim Wachsen zu.
„Gott der kulinarischen Entschleunigung“hat die Zeitung „Der Standard“ihn genannt, und tatsächlich ist Slater zu lesen enorm beruhigend. Im neuen Buch beschreibt er seine aus Esche gefertigten Schalen, aus denen er zum Frühstück stets Porridge isst, und diese Stelle ist die höhere Form der Meditation. „Die stille, beseligende Freude, einen Holzlöffel über eine Holzschale zu bewegen.“Herrlich. Jedes Jahr verbringt Slater übrigens einen Monat in Japan. Das merkt man.
Nigel Slater ist ein unprätentiöser, heiterer Ratgeber, über dessen Kopf immer eine klitzekleine Wolke von Melancholie schwebt. Blätterteig muss man nicht selbst machen, findet erst, den kann man ruhig zukaufen. „Gäste freuen sich im Zweifel mehr über einen entspannten Gastgeber als über ein selbstgebackenes Brot.“Und zum Kochen empfiehlt er mindestens ein Glas Wein, was ja allein schon sehr sympathisch
ist: „Alles schmeckt ein bisschen besser, wenn man beschwipst ist.“Das „Wintertagebuch“beginnt denn auch mit Anleitungen zum Mixen: Brandy mit Aprikose, Orange und Anis etwa.
Alles ist gut an diesem Kerl. Allerdings besteht die Gefahr, dass man seine Gerichte beim Nachkochen anbrennen lässt. Weil man so vertieft in seine Bücher ist.