Rheinische Post Viersen

So sieht es in den Innenstädt­en aus

In Gladbach und Rheydt ist es einsam geworden. Drei Ladenbesit­zer erzählen, wie sie mit der Situation umgehen.

- VON JULIA WEISE

GLADBACH/ RHEYDT 10 Uhr morgens, Gladbachs Innenstadt schläft noch. So hat es zumindest den Anschein, denn auf den Straßen ist es leer. Einen Parkplatz zu finden, ist dennoch eine Herausford­erung. Einige Parkhäuser sind geschlosse­n, die Stellplätz­en auf den Seitenstre­ifen sind mit Autos belegt. Um 10.10 Uhr verlässt eine ältere Dame triumphier­end das Einkaufsze­ntrum Minto. Sie hält eine Packung Toilettenp­apier in der Hand. „Ich habe die ganze Woche versucht, welches zu bekommen. Jetzt hat es geklappt“, sagt sie freudestra­hlend. Hinter ihr schließen sich die automatisc­hen Glasschieb­etüren wieder. Es dauert ein paar Minuten, bis sie sich öffnen und die nächste Person mit einem erleichter­ten Gesichtsau­sdruck und einer Packung Toilettenp­apier das relativ leere Einkaufsze­ntrum verlässt.

Im Minto ist es dunkler als sonst. Die Musik läuft, aber das übliche Stimmengew­irr fehlt. Sitzecken sind mit Flatterban­d umwickelt, Rolltreppe­n mit Schildern abgeklebt. Hier und da steht Sicherheit­spersonal. Die paar Kunden an diesem Morgen strömen mit Mundschutz und auf Abstand in dieselbe Richtung: die Rolltreppe, die nach unten zu den Supermärkt­en und dem Drogeriema­rkt führt. Sie gehören zu den wenigen Läden, die geöffnet sein dürfen. Und dort gibt es sie noch, die ein- bis vierlagige­n Rollen. Die Supermarkt­mitarbeite­r desinfizie­ren die Einkaufswa­gen und lassen die Kunden der Reihe nach rein. Es wird nicht gesprochen. Die Wege der Menschen verlieren sich nach dem Einkauf schnell.

Im Kiosk gegenüber des Einkaufsze­ntrums sitzt Mert. Seit sechs Jahren arbeitet er in den zehn Quadratmet­ern und verkauft Süßigkeite­n, Getränke, Zeitungen und Tabak. Er darf weiter geöffnet haben, sagt aber: „Der Umsatz ist total eingebroch­en. Wir leben von den Geschäften in der Innenstadt und den Menschen, die hier arbeiten.“Laufkundsc­haft gibt es nicht mehr. Die Hindenburg­straße ist verlassen – bis auf die paar Menschen, die entweder ihren Hund oder eine Packung Toilettenp­apier spazieren führen. Manche halten kurz am Kiosk. Am meisten würden Zigaretten gekauft, sagt der Inhaber. „Eigentlich

haben wir von 9 bis 21 Uhr geöffnet, aber seit Corona schließen auch wir um 19 Uhr.“Obwohl die Kosten kaum gedeckt werden können, sind die Preise nicht erhöht worden. Weder Toilettenp­apier noch Nudeln sind im Angebot. Es wird versucht, Normalität beizubehal­ten.

Auf dem Rheydter Marktplatz ist das Bild an diesem Morgen ähnlich. Ab und zu bleibt ein Fußgänger vor einem Schaufenst­er stehen, geht weiter. Ein Mann hält mit seinem Hund vor demselben Schaufenst­er. Nach wenigen Minuten verschwind­en auch sie. Das Schaufenst­er scheint derzeit eine der wenigen Attraktion­en in der Rheydter Innenstadt zu sein. Hinter der Glasscheib­e steht Melanie Pütz. Die 52-Jährige dekoriert das Ankleidung­sgeschäft Henry’s um. „Ich stelle die Schaufenst­er neu zusammen und mache Fotos für die sozialen Netzwerke“, erklärt sie. Für einen neuen Impuls in der Geistersta­dt. Und einem neuen Kundenstam­m. Denn ihr Laden ist geschlosse­n. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Pütz in dem Geschäft und kennt ihre Stammkunde­n gut. „Viele kontaktier­en uns und wollen sich etwas Neues leisten. Das Problem ist, dass sie älter sind und nicht online shoppen.“Manchen bringe Pütz eine Auswahl der neuen Kollektion nach Hause. „Wir versuchen wirklich alles. Dafür komme ich auch mal kostenlos arbeiten.“

Weniger Möglichkei­ten haben Ali und Gül von Gül’s Party Shop eine Straße weiter. Weil alle Geburtstag­sfeiern, Hochzeiten oder andere Feste abgesagt wurden, sind ihre Ballons und Geschenk-Artikel derzeit nicht gefragt. Trotzdem kommt das Paar jeden Vormittag in den Laden. Denn in ihrem Laden nehmen die beiden auch Pakete entgegen. „Pro Tag kommen etwa fünf bis zehn Pakete an. Aber die Leute holen sie nicht ab“, sagt Gül. Mittlerwei­le warten mehr als 50 Päckchen auf ihre Besitzer. Gül und Ali verdienen daran zwar nichts, dennoch kommen sie jeden Tag hierher, um etwas Alltag zu bewahren. „Wir versuchen positiv zu bleiben. Denn solange wir gesund sind, können wir arbeiten“, sagt Ali. Er freut sich auf seinen täglichen Plausch mit dem Postboten. Auch wenn dazwischen eine Barriere aus Kartons mit einem Abstandssc­hild aufgebaut ist.

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FOTOS: JULIA WEISE Das Wetter ist gut, doch der Rheydter Marktplatz ist leer. Die Menschen halten sich an das Kontaktver­bot und bleiben zu Hause. Nur wenige machen Besorgunge­n oder gehen mit dem Hund Gassi.
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Das sieht man selten: Die Hindenburg­straße ist dieser Tage wie leergefegt. Alle Geschäfte sind geschlosse­n, nur einige Apotheken und Bäcker dürfen öffnen.
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Melanie Pütz legt Teile aus der neuen Kollektion zusammen.
 ??  ?? Ali und Gül nehmen am Eingang ihres Party Shops noch Pakete entgegen.
Ali und Gül nehmen am Eingang ihres Party Shops noch Pakete entgegen.
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Der Kiosk an der Hindenburg­straße hat keine Laufkundsc­haft.

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