Exit-Strategie – ein schwieriger Begriff
Es klingt nach durchdachtem, planvollem Vorgehen: Exit-Strategie. Doch die Bedeutung des Begriffs ist nicht eindeutig – und für den Umgang mit der Corona-Pandemie kann die Politik kaum auf Erfahrungswerte zurückgreifen.
Die Debatte um die Exit-Strategie erreicht mit der Schaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten an diesem Mittwoch einen ersten Höhepunkt. Natürlich ist das drastische Herunterfahren von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft auch ein wichtiges Thema für Ökonomen. Doch wer außerhalb von Corona-Zeiten einen Wirtschaftsprofessor nach der besten Exit-Strategie fragt, wird mit der Antwort fremdeln. Denn Ökonomen verstehen unter einer Exit-Strategie zunächst vor allem die kluge Planung von Entscheidungen, um möglichst großen Gewinn beim Verkauf einer Firmenbeteiligung zu machen.
Insofern liegt die Exit-Strategie der Politik weit von der reinen Lehre der Wirtschaft entfernt. Es sei denn, der „Gewinn“wird nicht auf die finanziellen Kosten der Corona-Bekämpfung bezogen. Denn die zieht erst einmal keinen Gewinn, sondern vermutlich einen Verlust von rund einer Billion Euro allein für Deutschland nach sich. Ein Gewinn wäre im übertragenen Sinne eine sich verbessernde Gesundheit der Menschen. Aber um diesen Gewinn zu maximieren, bräuchte es das Gegenteil von Lockerungen, die als Hoffnung mit der Exit-Strategie verbunden sind: Das Ziel von gesundheitlichem Zugewinn ließe sich nicht durch einen Ausstieg, sondern durch einen Einstieg in mehr Einschränkungen erreichen. Das ist erkennbar nicht gemeint.
Exit-Strategie ist insbesondere bei Unternehmensgründungen oft Teil des Plans: Wer sein Geld und seine Kraft in ein neues Projekt steckt, geht mit der Erwartung ans Werk, ein dynamisches Wachstum zu erleben. Experten schneidern vor diesem Hintergrund individuelle Exit-Strategien zusammen und empfehlen, sich schon frühzeitig Gedanken zu machen, wie die Beteiligten den geschaffenen Mehrwert optimal nutzen. Die in der Regel vorgeschlagenen Optionen reichen vom Aufkauf durch ein anderes Unternehmen über die Ablösung der Investoren, das Herauskaufen der Gründer bis hin zum Börsengang. Wenn die Idee in einem Fehlschlag endet, ist auch die Liquidation eines Start-ups Teil einer Exit-Strategie.
Exit bezieht sich in diesem Zusammenhang stets auf eine Art Ausgang. So wie weltweit die Hinweisschilder mit der Aufschrift „Emergency Exit“auf den nächstgelegenen Notausgang verweisen. Doch das Englische kennt auch die Wortkombination Exit Pipe – dann handelt es sich um ein Abflussrohr. In jedem Fall liegen die Ursprünge im lateinischen Wort exire. Damit wird eine Bewegung des Herausgehens oder Verlassens bezeichnet. Es fand jedoch auch im Militärischen eine andere Bedeutung, wenn das Ausrücken von Truppen damit gekennzeichnet wurde. Dann ging das Herausgehen nahtlos über in ein Ankommen, denn es bedeutete auch, dass Soldaten ins Feld zogen.
Schillernd ist die Verwendung des Begriffes von der Exit-Strategie schon seit Jahrhunderten in der Sicherheitspolitik. Zogen die Römer – mit dem Wort exire – noch in einen Krieg hinein, wollen die Deutschen zwei Jahrtausende später per Exit-Strategie wissen, wie sie aus einer Militärmission wieder herauskommen. Es hat Tradition in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, das Fehlen einer Exit-Strategie zu beklagen.
Als US-Präsident Barack Obama 2009 das Afghanistan-Kontingent auf 100.000 Soldatinnen und Soldaten erhöhte und zugleich ankündigte, damit die Voraussetzungen für einen früheren Abzug zu schaffen, bemängelten die Grünen, dass Deutschland keine Exit-Strategie für seine Beteiligung am Afghanistan-Einsatz habe. Seinerzeit kündigte der damalige Außenminister Guido Westerwelle von der FDP an, noch im Verlauf der Wahlperiode eine Abzugsperspektive zu liefern. Ein Jahrzehnt später ist es die FDP, die der Bundesregierung vorwirft, bei ihrer Afghanistan-Politik immer noch keine Exit-Strategie zum Teil des Mandates gemacht zu haben.
Dabei hat die Bundeswehr selbst erlebt, wie man beim Einsteigen in eine Verpflichtung bereits den Ausstieg mitdenken kann. Die usbekischen Verhandlungspartner freuten sich nämlich nicht nur darüber, dass die Bundeswehr den Flughafen in Termez zum Materialumschlagplatz für das deutsche Afghanistan-Kontingent nutzen wollte. Sie erlaubten den Deutschen auch, für die Crews und weitere Personen auf dem Weg von und nach Deutschland am Rande eine feste Unterkunft zu bauen. Allerdings musste die – für Militärverhältnisse ungewöhnlich – nicht wie ein Kasernenbau, sondern wie ein Hotel errichtet und ausgestattet sein. So kam die Ukraine durch Einbau einer Exit-Strategie zu einem eigenen Flughafenhotel, ohne selbst dafür zahlen zu müssen.
Die Beispiele zeigen, warum es auch im Umgang mit den Corona-Gefahren so schwer ist, mit dem Begriff Exit-Strategie eine klare Vorstellung von den nächsten Schritten zu liefern. Ökonomen verbinden damit eine Bandbreite unterschiedlicher Vorgehensarten, an deren Ende möglichst viel Geld in der Tasche desjenigen landet, der aus einer Beteiligung oder einem Besitz aussteigt. Sicherheitspolitiker tun sich schwer, außer dem Einstieg in einen Einsatz, dem Durchhalten und den ungefähren Zielen auch Möglichkeiten zum Beenden der Verpflichtung mitzudenken. Dabei endet jedes Mandat in der Regel automatisch nach einem Jahr. Freilich wird es dann kurz vor dem Auslaufen jeweils um ein weiteres verlängert.
Auch die Freiheitsbeschränkungen zum Gesundheitsschutz sind terminiert. Das betonte das Verfassungsgericht, als es das Gottesdienst-Verbot für zulässig erklärte. Aber wird der Endtermin in der Corona-Krise wirklich ernst genommen? Die Vermutung liegt nahe, dass es die Regierungschefs bei ihren Schaltkonferenzen zu Corona wie bei den Bundeswehrmandaten halten werden: Auf vielen Feldern dürften die Einschränkungen verlängert werden, vielleicht in jeweils veränderter Form.
Die Beispiele zeigen, warum es so schwer ist, mit dem Begriff eine Vorstellung von nächsten Schritten zu liefern