Schweden bleibt beim Sonderweg
Das öffentliche Leben ist nach wie vor nicht so stark eingeschränkt. Daran will die Regierung in Stockholm vorerst auch nichts ändern.
STOCKHOLM (ap) Menschenmengen schlendern in Stockholm am Wasser entlang, genießen die Sonne und Cocktails. In vielen Teilen der Welt löst ein solches Szenario derzeit Befremden aus. Nicht so in Schweden, das in der Corona-Krise nach wie vor einen Sonderweg verfolgt. Anders Tegnell, der oberste Epidemiologe des Landes, zeigt sich nicht besorgt.
Der 63-Jährige tritt täglich vor die Presse und informiert ruhig und präzise über die Infektionen. Er ist der Kopf hinter dem schwedischen Ansatz, nicht wie die anderen Länder in Europa das öffentliche Leben weitgehend stillzulegen. Stattdessen sind die Schulen für die kleineren Kinder weiterhin geöffnet, ebenso Restaurants und die meisten Geschäfte. Untersagt sind lediglich Zusammenkünfte von mehr als 50 Menschen, in den weiterführenden Schulen und in den Universitäten findet kein Unterricht statt, und ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen sind aufgefordert, die Öffentlichkeit zu meiden. Ein solches Vorgehen sei deutlich nachhaltiger, sagt Tegnell.
Obwohl die meisten Geschäfte geöffnet sind und Unternehmen normal weiter arbeiten, bekommt das Land doch die wirtschaftlichen Folgen des Virus zu spüren. In der vergangenen Woche meldeten sich nach Angaben der Handelskammer 25.350 Schweden arbeitslos. Das war ein größerer Anstieg als während der Finanzkrise 2008.
Im Nachbarland Dänemark wird dagegen schon darüber diskutiert, die Auflagen zu lockern. Die Regierung dort verhängte vor vier Wochen einen strengeren Lockdown, schloss die Grenzen, Schulen und Geschäfte. Damit habe das Land eine Tragödie wie in Italien und Spanien verhindert, ist sich die Regierung sicher. Und man könne langsam zu einem Alltagsleben zurückkehren. Zunächst sollen dann Kindergärten und Grundschulen wieder öffnen.
Wessen Vorgehen besser ist, darüber herrscht keine Einigkeit. Über Wochen entwickelten sich die Zahlen der Infizierten und Erkrankten im Verhältnis zur Einwohnerzahl in beiden Ländern ähnlich. In Dänemark waren die wirtschaftlichen
Folgen härter, während in Schweden die Zahl der Todesopfer durch Covid-19 stark anstieg. In Schweden mit zehn Millionen Einwohnern gab es bislang 1033 registrierte Todesfälle, in Dänemark waren es 285 bei 5,8 Millionen Einwohnern.
Weltweit wurden nach Zählung der Johns-Hopkins-Universität bislang an die zwei Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert, mehr als 120.000 Menschen starben nach einer Infektion. Experten glauben aber, dass die tatsächlichen Zahlen viel höher sind, unter anderem, weil die Testkapazitäten begrenzt sind, die Todesfälle unterschiedlich gezählt werden und manche Regierung die Lage bewusst beschönigt.
Nach einem deutlichen Anstieg der Opferzahlen in Schweden schlug Ministerpräsident Stefan Löfven ein Notstandsgesetz vor, das eine schnelle Schließung von öffentlichen Einrichtungen und des Nahverkehrs erlaubt, sollte das nötig werden. Er forderte die Schweden auf, sich auf möglicherweise Tausende Todesfälle vorzubereiten.