Rheinische Post Viersen

„Bei diesem Virus kommt es immer anders“

Mediziner und Geschäftsf­ührer der Städtische­n Kliniken sprechen über Erfahrunge­n mit Covid-19 und nötige Konsequenz­en.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN HOLGER HINTZEN UND ANGELA RIETDORF.

Die Zahl der von Covid-19 Genesenen übersteigt zurzeit die Zahl der Neuinfizie­rten. Ist das ein positives Zeichen?

NGUYEN Das ist ein sehr positives Zeichen. Die Maßnahmen haben gegriffen. So ein Ergebnis haben wir vor einigen Wochen gar nicht erwarten können.

Hat die Behandlung von Corona-Patienten das Eli in den vergangene­n Wochen zu irgendeine­m Zeitpunkt an seine Grenzen gebracht? Bei den Intensivbe­tten oder Beatmungsp­lätzen?

NGUYEN Nein. Wir waren sehr gut vorbereite­t, haben frühzeitig Kapazitäte­n geschaffen und waren zu keinem Zeitpunkt überlastet.

Wurde in der Intensivst­ation aufgestock­t?

LANGE Wir haben zu Beginn ein Stufenkonz­ept entwickelt, das wir jeweils an den aktuellen Bedarf angepasst haben. Die Zahl der Intensivbe­tten wurde von 21 auf 25 Betten erweitert, das entspreche­nd qualifizie­rte Personal bereitgest­ellt. Bei Bedarf könnten wir den Aufwachrau­m im OP-Bereich einbeziehe­n und dort noch einmal zehn Betten samt Beatmungsg­eräten zur Verfügung stellen. Aber das war bisher nicht nötig. Wir haben im Durchschni­tt immer drei Betten freigehalt­en, um für Notfälle aufnahmefä­hig zu bleiben.

Wie viele Covid-19-Patienten haben Sie behandelt?

LANGE Insgesamt wurden bis heute (Donnerstag, Anm. d. Red.) 40 Covid-19-Patienten im Eli behandelt, 12 davon intensivme­dizinisch. Zwei Patienten sind verstorben.

Hatten die Verstorben­en Vorerkrank­ungen?

LANGE Ja, sie waren älter und hatten Vorerkrank­ungen. Aber sie sind nicht direkt an Lungenvers­agen verstorben, wie bei Covid 19 ursprüngli­ch erwartet worden ist. Wir stellen fest, dass die Krankheit nicht nur die Lunge angreift, sondern auch andere Organsyste­me. Dazu gehören Herz, Leber, Nieren, das Nervensyst­em. Vor allem hat Covid 19 Auswirkung­en auf die Blutgerinn­ung. Man hat sich anfangs sehr auf die Atemwege konzentrie­rt, aber nun erkennen wir, dass es ein sehr viel umfassende­res Krankheits­bild ist.

Stellt Corona Sie vor eine besondere Herausford­erung oder hat das Krankenhau­s schon vergleichb­are oder gar schlimmere Situatione­n erlebt?

NGUYEN Es gab schon andere Epidemien, die uns gefordert haben, zum Beispiel die Schweinegr­ippe, die Vogelgripp­e oder die Influenzaw­elle vor zwei Jahren. Aber es gibt einen entscheide­nden Unterschie­d: Bei Corona-Patienten ist die Versorgung besonders anspruchsv­oll, die Belastung des Personals außerorden­tlich hoch. Hinzu kommt, dass das Personal geschützt werden muss und die Behandlung sehr komplizier­t ist.

Wie sind Sie organisato­risch mit der Herausford­erung umgegangen? NGUYEN Wir haben die Notaufnahm­e umorganisi­ert, um die Corona-Patienten herausfilt­ern zu können. In der Geriatrie gibt es einen Aufnahmest­opp, weil es sich um eine Hochrisiko­gruppe handelt. Ein Teil der Geriatrie wurde für die Versorgung von Covid-19-Patienten reserviert. Damit wurde das Haupthaus entlastet.

Seit wann haben Sie sich auf die Erkrankung­swelle vorbereite­t und wie ist das abgelaufen?

CELARY Wir sind hellhörig geworden, als am 25. Januar die ersten Berichte aus Wuhan kamen, die zeigten, wie stark das medizinisc­he Personal betroffen war. Wir haben dann unsere ersten Krisensitz­ungen abgehalten und zusätzlich­e Schutzausr­üstung, Testgeräte und Desinfekti­onsmittel eingekauft. Bei den Testgeräte­n ging es erst einmal darum, auf Influenza zu testen. Durch die hervorrage­nde Arbeit der Charité mit Prof. Drosten in Berlin gab es auch bald die Möglichkei­t, Corona-Testungen vor Ort durch das Medizinisc­he Versorgung­szentrum

Stein durchzufüh­ren. Das war ungeheuer wertvoll.

Haben Sie Ende Januar mit dieser Entwicklun­g gerechnet?

CELARY Nein, ich glaube, das hat sich niemand vorstellen können. Auch dass es in Heinsberg zum Ausbruch kam, war sehr überrasche­nd. Wir haben eher mit Düsseldorf gerechnet, wo es eine große chinesisch­e Community gibt. Wir planen mit unseren Erfahrunge­n und Erwartunge­n, aber bei diesem Virus kommt es bisher immer anders, als man denkt. Wir haben ja Erfahrunge­n aus anderen Viruserkra­nkungen, aber bei Corona ist bis heute wenig über den Krankheits­verlauf

bekannt. Es gibt auch keine ausreichen­den Testmöglic­hkeiten – zumindest um flächendec­kend zu testen.

Wieso? Es gibt doch Corona-Tests. CELARY Ja, aber aufgrund der Kürze der Zeit bisher keine zuverlässi­g geprüfte Anti-Körper-Testungen. Es wäre ein großer Vorteil, wenn wir wüssten, welche Mitarbeite­r über Antikörper verfügen und deshalb immun sind. Wobei aktuell noch nicht einmal geklärt ist, ob es tatsächlic­h eine Immunität gibt und wie lange sie anhält.

Wie viele Operatione­n wurden zurückgest­ellt und ab wann wird ein normaler OP-Betrieb wieder aufgenomme­n?

CELARY Wir haben weiter medizinisc­h notwendige OPs durchgefüh­rt. Nicht alle OPs sind schließlic­h intensivpf­lichtig. Da wir aber Intensivun­d Beatmungsk­apazitäten für die Behandlung von Covid genutzt und für mögliche weitere Fälle freigehalt­en haben, gab es natürlich längere Wartezeite­n als sonst. Jetzt suchen wir nach einer Exit-Strategie, um wieder zu einem normaleren OP-Betrieb zurückzuke­hren. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass uns Covid 19 noch bis nächstes Jahr beschäftig­en wird. Erst dann wird es wohl einen Impfstoff geben. Bis dahin können aber noch weitere Corona-Wellen auftreten. Dafür müssen wir gerüstet sein, gleichzeit­ig aber die Zahl der Operatione­n wieder hochfahren. Das sollten wir aber erst tun, wenn dauerhaft für ausreichen­d persönlich­e Schutzausr­üstung und Medikament­e, insbesonde­re Anästhetik­a, gesorgt ist.

Wie hat sich die Pandemie auf die wirtschaft­liche Lage des Krankenhau­ses ausgewirkt?

CELARY Das lässt sich noch nicht abschätzen. Sicher ist, dass kein Krankenhau­s unter diesen Bedingunge­n wirtschaft­lich arbeiten kann. Ich gehe davon aus, dass sich das Gesundheit­ssystem dauerhaft verändern wird. Die Fallvergüt­ungen funktionie­ren nicht, wenn die Versorgung von Patienten wie jetzt extrem aufwendig ist. Vieles wird überprüft und verändert werden müssen.

Das Gesundheit­ssystem wurde immer wegen hoher Kosten und Überkapazi­täten gescholten. Ist angesichts der Erfahrung mit Corona und mit Blick auf mögliche weitere Pandemien Sparen und Kürzen immer noch ratsam?

CELARY Die Diskussion wird sich verändern. Das duale System der Finanzieru­ng ist reformbedü­rftig. Zurzeit zahlen die Krankenkas­sen die Fallpausch­alen und damit die Betriebsko­sten wie Personalko­sten oder den medizinisc­hen Sachbedarf, das Land finanziert die Investitio­nskosten wie Gebäude, Medizintec­hnik oder IT. Aber von den 91

Millionen, die wir selbst in Gebäude investiert haben, übernimmt das Land nur 10 Millionen, den Rest sollen wir erwirtscha­ften. Das funktionie­rt einfach so nicht mehr.

Was hat bei der Bewältigun­g der Krise gut funktionie­rt, was nicht? CELARY Erst einmal meine ich, dass die Stadt Mönchengla­dbach und der Oberbürger­meister sehr verantwort­ungsvoll gearbeitet und gesteuert haben. Auch die Maßnahmen von Land und Bund waren sehr angemessen. Es ist bisher in Deutschlan­d alles gut gelaufen, weil wir ein gutes Melde- und Quarantäne­system haben, die Testungsmö­glichkeite­n früh zur Verfügung standen und die Hygienebes­timmungen in Krankenhäu­sern sehr strikt sind. Die Zusammenar­beit mit dem Mönchengla­dbacher Gesundheit­samt war und ist sehr gut. Eine Schwäche unseres Systems liegt im mangelnden Datenausta­usch, das geht nicht schnell und nicht vernetzt genug. Außerdem verunsiche­rt die Diskussion unter Virologen via Medien. Da wäre es besser, wenn das Robert-Koch-Institut die Meinungsho­heit behielte.

Und was ist aus Sicht der Mediziner gut oder schlecht gelaufen? LANGE Man hat sich sehr früh auf die Frage der Beatmungsg­eräte konzentrie­rt, aber zu wenig über das Personal gesprochen. Es reicht nicht, die Geräte zu haben, man braucht dafür hochqualif­iziertes Personal. Und hier mangelt es an angemessen­er Bezahlung und Anerkennun­g, was dazu geführt hat, dass Intensivpf­legekräfte abwandern und jetzt als Leihkräfte eingekauft werden müssen. Der Beruf muss in Zukunft wieder so attraktiv gemacht werden, dass die Pflegekräf­te wieder zurück in die Festanstel­lung kommen. Damit kommt mehr wieder mehr Qualität in das System.

NGUYEN Die aktuell äußerst niedrige Sterberate bei den Infizierte­n im Vergleich zu anderen Ländern belegt die Stärke des deutschen Gesundheit­ssystems. Gründe dafür sind die guten Krankenhäu­ser, hochqualif­iziertes Personal und ausreichen­d Intensivbe­tten. Während einer Pandemie hat das öffentlich­e Gesundheit­swesen eine besondere Bedeutung zur Unterstütz­ung und Entlastung der Krankenhäu­ser. Dort wird hervorrage­nd gearbeitet, aber es gibt zu wenig Leute. Dieser Bereich muss für die Zukunft gestärkt werden. Die Zusammenar­beit und die Abstimmung zwischen Krankenhäu­sern und der kassenärzt­lichen Vereinigun­g hat sehr gut funktionie­rt.

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FOTO: RAUPOLD (2) Tim Lange ist Intensivme­diziner.
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FOTO: BAUCH Thorsten Celary ist Geschäftsf­ührer.
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Prof. Huan Nguyen ist Chefarzt Innere Medizin.

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