Rheinische Post Viersen

Streit um Drosten-Studie

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Die „Bild“zerreißt die Untersuchu­ng, doch Forscher verweisen auf den üblichen Wissenscha­ftsdiskurs.

DÜSSELDORF (jaco) Bis vor Kurzem hatte Jörg Stoye kein Twitter-Konto. Der Ökonom, der in den USA Statistik lehrt, ist auf seinem Fachgebiet bekannt, doch in die Öffentlich­keit drängte er bisher nicht. Am Montag ging es nicht anders. Stoye meldete sich bei Twitter an, schrieb: „Ich will nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein. Ich stand und stehe in keinerlei Kontakt zur Bild. Natürlich habe ich höchsten Respekt vor @c_ drosten. Deutschlan­d kann froh sein, ihn und sein Team zu haben.“

Stoyes Unmut beruht auf einem Bericht der „Bild“-Zeitung. Diese hatte getitelt: „Drosten-Studie über ansteckend­e Kinder grob falsch – wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?“Ein Team um Christian Drosten, Chefvirolo­ge an der Berliner Charité, hatte die Studie „An analysis of Sars-CoV-2 viral load by patient age“veröffentl­icht. Darin beschäftig­ten sich die Wissenscha­ftler mit der Viruslast im Rachen von Corona-Patienten verschiede­nen Alters. Diese kann Hinweise liefern, inwieweit die Personen ansteckend sind. Das Fazit: „Auf der Grundlage der Ergebnisse müssen wir vor einer unbegrenzt­en Wiedereröf­fnung von Schulen und Kindergärt­en in der gegenwärti­gen Situation warnen. Kinder könnten genauso infektiös sein wie Erwachsene.“

Stoye taucht in dem „Bild“-Artikel mit Zitaten auf, die die Studie relativier­en. Dem „Spiegel“sagte er, dass die Aussagen aus einem englischsp­rachigen Aufsatz von ihm stammten, den „Bild“freihändig übersetzt habe. „So wie ,Bild‘ meine Zitate verwendet, stehe ich auf keinen Fall dazu“, so Stoye. Statistik-Professor Christoph Rothe, der zitiert wird, sagte, „Bild“habe nicht mit ihm gesprochen. Und der Statistike­r Dominik Liebl, auch Bestandtei­l des Berichts, sagte: „Ich wusste nichts von der Anfrage der ,Bild’ und distanzier­e mich von dieser Art, Menschen unter Druck zu setzen, auf das Schärfste.“

Die in dem Bericht aufgeworfe­nen Kritikpunk­te der Statistike­r sind zwar nicht ausgedacht – die Experten beschäftig­ten sich in ihren Abhandlung­en mit Unfeinheit­en in der Charité-Studie –, doch geht daraus nicht hervor, dass die These falsch ist. In der Charité-Studie heißt es, es gebe keinen signifikan­ten Unterschie­d bei der Viruslast von Kindern und Erwachsene­n. Diese starke Aussage stehe im Widerspruc­h zur statistisc­hen Analyse, heißt es etwa bei Liebl. Der Bonner Statistike­r konkretisi­erte bei Twitter: „Alle Altersgrup­pen (auch Kinder) müssen wohl trotzdem als infektiös eingestuft werden. Auch wenn es Unterschie­de zwischen den Altersgrup­pen gibt.“Stoye wird in „Bild“mit den Worten zitiert, die Ergebnisse „scheinen von Entscheidu­ngen der Forscher getrieben zu sein“. Gegenüber dem „Spiegel“erklärte Stoye, er unterstell­e den Autoren keine Intention, keine bewusste Irreführun­g.

Unter Forscherko­llegen ist es üblich und erwünscht, dass nicht begutachte­te Veröffentl­ichungen über „Pre-Print-Server“einem kritischen Blick unterzogen werden. Mitunter wird der Ton rau. Doch das gehört zum gewöhnlich­en Diskurs. Zumeist betonen die Kritiker auch, dass sie nur zu einem bestimmten Punkt Stellung beziehen können und nicht die gesamte Studie infrage stellen.

Im NDR-Podcast sagte Drosten am Dienstag, man habe „relativ grobe statistisc­he Methoden verwendet“. Dies könne man „zu Recht“kritisiere­n: Mit besseren Statistikt­ools hätte man möglicherw­eise auch andere Unterschie­de in den Altersgrup­pen gefunden. Allerdings hätte das keine Konsequenz für die medizinisc­he Bedeutung gehabt.

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