„Ich bin zutiefst dankbar für die Zeit am Rhein“
Die Ära des Ballettchefs geht zu Ende. Er wechselt nach Wien. Eine Gala zum Abschied musste wegen Corona abgesagt werden.
DÜSSELDORF 2009 wurde der Schweizer Choreograf und Tänzer Ballettdirektor an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg und formte eine Compagnie, die internationale Aufmerksamkeit erringen konnte. Nun wechselt Schläpfer (60) nach Wien und wird Direktor des Staatsballetts und der Ballettakademie.
Hat sich in Ihrem Leben ein Ritual herausgebildet, das Ihnen beim Abschiednehmen hilft?
SCHLÄPFER Als Privatmensch brauche ich keine ritualisierten Abschiede. Das hat mit dem Älterwerden zu tun: Es fällt mir leichter, die Dinge zu nehmen, wie sie sind. Aber ich bin auch eine öffentliche Person, und nach außen ist es schon wichtig, dass etwas, das gewesen ist, gefeiert und gewürdigt wird. Darum habe ich ein großes Bedürfnis, auch stellvertretend für mein Team, zum Publikum zu sprechen. Ich habe das Ballett am Rhein ja nicht alleine aufgebaut, das hat ein Kreis von Leuten gemacht – gemeinsam mit dem Publikum. Wir überlegen gerade, welche Form das noch finden kann, vielleicht digital. Es gibt ja auch Tänzer, die jetzt ihre Karriere beenden und deren Schaffen ohne alle Dramatik gewürdigt werden sollte.
Wie gehen Sie persönlich mit der Pandemie um?
SCHLÄPFER Am Anfang war ich wie gelähmt, weil alles, was wir für das Saisonende künstlerisch erarbeitet haben, Schritt für Schritt abgesagt werden musste. Übergänge sind immer komplex, es gibt immer ein Zerrieseln dessen, was gewesen ist. Das ist auch absolut gesund – in der Kunst wie im Leben. Das Traurige an Corona ist, dass die Beziehungen nun schleichend zerbröckeln, weil wir eben keinen Schlusspunkt setzen können. Aber ich will das nicht kritisieren, die Absage war absolut notwendig. Die Pandemie betrifft uns alle. Und sie hat mich nicht überrascht.
Wieso nicht?
SCHLÄPFER Wir müssen umdenken, was das aus- und benutzen unserer Lebensgrundlage angeht. Müll, Klimawandel, Überbevölkerung, es gibt ja so viele Themen, bei denen wir von Lösungen weit entfernt sind. Auch vor der Gefahr, dass so ein Virus überspringen könnte, warnen Experten schon lange. Und hinter der Pandemie tickt die ökologische Katastrophe weiter. Wenn wir das nicht wirklich ernst nehmen, haben wir ein Problem. Mich treibt zum Beispiel um, dass es nicht mehr regnet. Unser Verhältnis zur Natur ist nicht mehr gesund.
Tanz ist unter anderem ein Wechselspiel von Nähe und Distanz. Beschäftigt Sie das vor dem Hintergrund von Corona neu?
SCHLÄPFER Gerade bin ich fast nur Manager, mich treiben andere Dinge um: Wann können wir wieder spielen? Können Tänzer aus dem Ausland, die ich für Wien engagiert habe, einreisen? Ich höre ja auch viel von Kollegen etwa aus den USA. Dort sind großartige Compagnien dabei zu kollabieren, weil sie keine öffentliche Förderung erhalten. Aber auch für die Tänzer hier ist die Situation wirklich hart. Sie sind eben keine Sportler, die primär für körperliche Höchstleistung trainieren. Sie sind Künstler, sie brauchen einen Grund, um zu tanzen.
Sie haben dem Choreografen Hans van Manen eine Heimat in Düsseldorf und Duisburg geboten. Überlegen Sie, wo Ihr eigenes Werk einmal eine Heimat finden wird? SCHLÄPFER Ja. Meine Werke sind alle im Tanzarchiv in der Schweiz einsehbar. Was sich hier entwickelt, wird sich zeigen. Es muss ein Bedürfnis
geben, meine Arbeiten weiter zu sehen. Und die Compagnie müsste weiter in Teilen auf Repertoire ausgerichtet bleiben. Das ist in der Oper leichter als beim Tanz. Vor allem, weil wir in meiner Zeit hier so viele Uraufführungen herausgebracht haben, dass die Leute sich daran gewöhnt haben, Neues zu sehen. Es ist nicht leicht, Repertoire zu feiern wie eine Premiere, obwohl eine Wiederaufnahme nie eine Reprise ist, sondern etwas Neues. All diese Fragen muss aber mein Nachfolger, Demis Volpi, beantworten. Wir sind in einem guten, freundschaftlichen Kontakt und suchen nach einer Form, wie die Verbindung bleiben kann, ohne dass es hier eine zweite Schläpfer-Depandance gibt. Die künstlerische Freiheit auch für ihn steht für mich an erster Stelle, allein diese gilt es zu verteidigen.
Haben Sie schon ein neues Zuhause in Wien?
SCHLÄPFER Ja, aber ich habe meine Wohnung nur digital gesehen. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass man einen Ort hat.
Was werden Sie vermissen? SCHLÄPFER Es gehört zum Menschen, dass er immer erst weiß, was er hatte, wenn er es nicht mehr hat. Im Moment ist das für mich noch abstrakt. Aber ich habe mit meinem Fahrrad tatsächlich schon eine Tour durch die Stadt gemacht, um mich bewusst von Orten zu verabschieden, die mir wichtig waren: das Balletthaus, die Rheinbrücken, Hamm, wo ich gewohnt habe. Düsseldorf/ Duisburg war für mich eine wichtige Zeit, Deutschland war eine wichtige Zeit, die Auseinandersetzung mit diesem Land hat mich geprägt.
Was meinen Sie damit konkret? SCHLÄPFER Es gibt in Deutschland einen enormen Mut, hinzuschauen, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, nicht zu beschönigen. Vielleicht gibt es in Europa im Moment kein anderes Land, das mit so viel Mut und Diversität für den Demokratiegedanken eintritt.
Auch Deutschland ringt wieder um die Fähigkeit zur Selbstkritik.
SCHLÄPFER Ja, aber den Menschen, vor allem der Jugend, ist auch wieder bewusst, dass man für etwas einstehen muss. Dass Freiheit nie selbstverständlich ist. Dass auch das hohe intellektuelle Niveau, das es in diesem Land noch gibt, nicht selbstverständlich bleibt. Und dass es darunter gären kann. Deutschland ist wach geworden, es hat gemerkt, dass es sich mit Kräften wie der AfD auseinandersetzen muss. Das geschieht in anderen Ländern zu wenig.
Sind Sie ein Mensch, der Erinnerungen sammelt? Nehmen Sie zum Beispiel Fotos mit nach Wien? SCHLÄPFER Überhaupt nicht. Ich bin prinzipiell kein Sammler. Ich werfe in Abständen alle Dinge über mich weg. Ich empfinde sie energetisch als bindend. Ich trage lieber Dinge in mir.
Aber Ihr Haus in Hamm war angefüllt mit Dingen, die Wände waren wild bemalt.
SCHLÄPFER Ja, aber in Abständen muss ich mich häuten. Dann müssen Sachen weg. Ich brauche das als Katharsis. Es ist eine gute Übung, sich Raum zu verschaffen, nicht mehr so gebunden zu sein. Natürlich ist das etwas Äußerliches. Man ist nicht frei. Aber es verändert einen, wenn man weggibt. Vielleicht wäre das anders, hätte ich Kinder und Familie. Dann geht man mit Erinnerungsstücken anders um. Aber das hat sich in meinem Leben nicht ergeben.
Wenn Sie Ihre Zeit am Rhein mit einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das?
SCHLÄPFER I would say: magic. Das klingt vielleicht zu leicht, aber es war eine magische Zeit – das Aufblühen der Compagnie, was wir erreichen durften – künstlerisch war das ein Geschenk. Und was nicht passiert ist, hat auch mit mir zu tun. Das sehe ich genauso. Das ist das Schöne, wenn man sich gut verabschieden kann: Man wird weich. Gelassen. Ich bin für meine Zeit am Rhein zutiefst dankbar.