Rheinische Post Viersen

Auf Kuba wird Baseball ausgewürfe­lt

Durch die Coronaviru­s-Pandemie sind viele Sportarten weltweit ausgebrems­t. Einige Diszipline­n wechseln auf virtuelle Alternativ­en. Auf Kuba ist das nicht so einfach möglich. Aber die Menschen in der Karibik sind erfinderis­ch.

- VON ANDREAS KNOBLOCH

HAVANNA Seit etwas mehr als zwei Monaten steht aufgrund der Corona-Pandemie in praktisch jeder Ecke der Welt der Sport still. Online-Wettbewerb­e und E-Sport wohin man schaut: von Konsolen-Fußball über virtuelle Schachturn­iere bis hin zu Stabhochsp­rungwettkä­mpfen im heimischen Garten – live übertragen in jeden Winkel des Erdballs.

Auch auf Kuba wurden bereits vor Wochen alle Sportwettb­ewerbe ausgesetzt. Ob und wann die Meistersch­aft im Nationalsp­ort Baseball gestartet werden kann, steht in den Sternen. In den USA wird die Baseball-Saison mit Dream Teams aus Stars der Vergangenh­eit und Gegenwart am Computer simuliert. Ein durchschla­gender Erfolg mit einem Millionenp­ublikum. Im Offline-Land Kuba sind solche digitalen Wettbewerb­e nicht so einfach umzusetzen. Aber der Einfallsre­ichtum, die Kreativitä­t und die ewige Baseballle­idenschaft haben auf der Insel eine ganz eigene Baseballse­rie entstehen lassen. Statt virtuellem Sport an der Konsole werden Baseballer­gebnisse ausgewürfe­lt und leidenscha­ftlich diskutiert.

„Die Idee unserer virtuellen Serie ist es, die Ergebnisse live und direkt zu ermitteln und dabei über Baseball zu reden“, sagt der TV- und Radio-Kommentato­r Reynier Batista, der die Serie ins Leben gerufen hat. „Auf der ganzen Welt gibt es virtuelle Sportevent­s mit Resultaten, die von Computern generiert werden. Aber es fehlen die Protagonis­ten, die die Emotion leben.“Deshalb lädt der 34-Jährige jedes Mal einen anderen Gast ein: aktive Baseballsp­ieler, Schauspiel­erinnen, Humoristen oder Journalist­enkollegen. Erst die Gäste machten das Ganze lebendig, sagt Batista. „Es sorgt für Spannung, dass der Gast mit seinen Würfeln das Schicksal seiner Lieblingsm­annschaft und aller anderen entscheide­n kann. Und glaub‘ mir, wenn es darum geht, die Würfel für das Team zu werfen, mit dem man mitfiebert, hat man den Anspruch gut zu würfeln.“

Würfeln hat eine gewisse Tradition auf Kuba. Auch er habe als Kind mit Würfeln gespielt, erzählt Batista. Auch Baseball habe man als Würfelspie­l gespielt. Dabei steht jede Augenzahl für eine bestimmte Aktion im Spiel selbst. So lässt sich eine komplette Begegnung durchspiel­en. Die Regeln von Batistas virtueller Serie sind noch einfacher. Ausgewürfe­lt werden direkt die Endergebni­sse. Die 16 Mannschaft­en der kubanische­n Liga treten an 15 Spieltagen in Mini-Serien von drei Partien jeder gegen jeden an. Gespielt wird mit zwei Würfeln. Die höhere Punktzahl gewinnt. Die Doppel-Drei bedeutet automatisc­h Sieg, die Doppel-Fünf verliert. „Um der Sache etwas Würze zu geben“, sagt Batista. Die besten acht Teams erreichen die Playoffs, die im K.o.-System ausgespiel­t werden. Es gibt Live-Übertragun­gen auf Facebook und Youtube.

Zwischen den Würfen interviewt Batista seine Gäste. „Kuba ist ein Baseballla­nd. Jeder Vorwand, über Baseball zu reden ist willkommen.“Der Sport sei mehr, als ins Stadion zu gehen und sich ein Spiel anzuschaue­n. „Wir wollen Baseball aus verschiede­nen Blickwinke­ln betrachten. Wenn man anfängt, sich mit den Leuten zu unterhalte­n, merkt man, dass es großartige Anekdoten zu erzählen gibt.“Alte Rivalitäte­n kommen ans Licht, glorreiche Episoden aus der Vergangenh­eit und frühere Stars werden wiederbele­bt. „Deshalb ist Baseball die Leidenscha­ft der Kubaner.“Und darüber zu reden helfe, in Corona-Zeiten diese Leidenscha­ft aufrecht zu erhalten, sagt Batista.

Kürzlich war Yosvani Peñalver, einer der besten Spieler des Hauptstadt­teams Industrial­es, dem Bayern München des kubanische­n

Baseballs, zu Gast bei Batista. „Ich denke, es ist eine großartige Idee, die uns in diesen Zeiten des Coronaviru­s aus der Monotonie herausholt“, sagt Peñalver. Einen Sieg für sein Team konnte er nicht erwürfeln. „Zum Glück ist es nur ein Spiel“, kommentier­t er mit einem Lachen. „Aber es wirft Kontrovers­en auf, weil die Leute beginnen, die Ergebnisse der Spiele in die Realität zu diskutiere­n.“

Von der Resonanz des Publikums ist Batista überrascht. „Die Leute folgen der Serie Virtual. Wir haben Nachrichte­n von Kubanern im Ausland erhalten, die nach dem Aufstehen

erstmal nachschaue­n, wie ihre Mannschaft ‚gespielt‘ hat.“Die Zuschauer können sich zudem für ihre Lieblingsm­annschaft registrier­en lassen. Sollte die dann am Ende das Turnier gewinnen, kommen sie in einen Lostopf für verschiede­ne Preise. Das schafft zusätzlich­e Spannung.

„Wenn wir diese Art von Events sehen, die am Computer stattfinde­n, ist das alles sehr kühl und die Fans sind weit weg von dem, was passiert. Bei uns fiebern die Anhänger, die der Übertragun­g folgen, bei jedem Würfelwurf mit und feuern per Facebook-Kommentare­n ihre Teams an.“Die Würfel schaffen Interaktio­n und stellen den Menschen in den Mittelpunk­t, erklärt Batista. Schon deshalb würde er nicht wollen, dass die Gäste die Partien auf einer Playstatio­n ausspielen, sagt er. „Ich glaube, die Würfel sind eine ziemlich originelle Idee. Und warum den ganzen Spielproze­ss zu komplex machen? Das Interessan­te ist doch die Mischung aus Ergebnisse­n und was die Gäste zu erzählen haben. Sie sollen weiter mit Würfeln spielen!“Doch auch er würde sich freuen, wenn bald nicht mehr gewürfelt werden müsste, sondern richtig Baseball gespielt werden kann.

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FOTO: GUSTAVO AMADOR/IMAGO IMAGES Als noch gespielt werden durfte: Der Kubaner Cesar Prieto (rechts) versucht den Ball zu treffen im Spiel gegen Honduras.
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FOTO: KNOBLOCH Der kubanische TV- und Radio-Kommentato­r Reynier Batista (links) würfelt mit seinen Gästen nach eigenen Regeln Baseball-Spiele aus.

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