Rheinische Post Viersen

„Rasse“soll schnell aus dem Grundgeset­z verschwind­en

Auch in Deutschlan­d ist Rassismus kein Randphänom­en. Er ist offenkundi­g, er grenzt aus, er verletzt. Vier Betroffene aus der Region schildern ihre Erfahrunge­n. In der Rassismus-Debatte fordern mittlerwei­le Politiker mehrerer Fraktionen, den Gesetzeste­xt a

- VON JAN DREBES

ch bin gebürtiger Düsseldorf­er. Meine Eltern sind in Kairo geboren und in Deutschlan­d eingebürge­rt. Ich wurde wohl schon immer als „anders“identifizi­ert, aber das war nicht unbedingt immer negativ. Im Kindergart­en sagte die Erzieherin: Ach, ich hätte so gerne deinen schönen Teint und die großen braunen Augen. Rückblicke­nd erkenne ich, dass ich damals als besonders wahrgenomm­en wurde. Ich sage auch absichtlic­h besonders, weil es nicht negativ war. In der Summe der persönlich­en Erfahrunge­n, die negativ sind, ist man häufig so sensibel, dass man Dinge, die gar nicht böse gemeint sind, trotzdem böse versteht. Das war im Kindergart­en tatsächlic­h viel Sympathie und Wohlwollen, was in den Aussagen der Kindergärt­nerin steckte.

Bewusst negative Erfahrunge­n habe ich erstmals mit 16 oder 17 Jahren gemacht. Wenn ich damals ausgehen wollte, wurde ich häufig als einziger im Freundeskr­eis nicht in die Diskothek gelassen. Und wenn, dann nur nach langen Diskussion­en. Wir haben damals mehr Zeit vor den Clubs verbracht als darin.

Dann gibt es auch Gespräche, die man negativ empfindet, die aber gar nicht böswillig gemeint sind. Zum Beispiel sagte eine ältere Dame mal zu mir: „Sie sprechen aber gut Deutsch.“Das ist ja eigentlich sehr nett gemeint. Die Frau ist keine Rassistin, und das war auch kein rassistisc­hes Verhalten. Man ist nur sehr sensibel und nimmt es negativ wahr. Damit dramatisie­rt man vielleicht auch eine Entwicklun­g. Ich habe damals einfach „Danke“gesagt. Im Gedächtnis geblieben ist mir auch eine Situation bei meiner damaligen Freundin zu Hause. Ich wurde das erste Mal ihrer Mutter vorgestell­t. Sie starrte mich an und sagte zur ihrer Tochter: Meine Güte, kann es nicht einfach mal ein Horst oder ein Rainer sein? In dem Alter hatte ich vielleicht noch nicht den Mut, einfach zu gehen. Also lächelte ich das Ganze weg, auch wenn es sehr unangenehm war für mich.

Aber ist das Rassismus? Das ist ein hartes Wort. Wir sind zu schnell im Beurteilen solcher Situatione­n. Wäre ich mutig gewesen zu der Zeit und hätte ich das Gespräch mit der Mutter gesucht, dann wären wir schnell zu dem Ergebnis gelangt, dass es einfach nur Angst war. Ob begründet oder unbegründe­t sei dahingeste­llt. Walid El Sheikh, Clubbesitz­er, Düsseldorf

BERLIN Im Grundgeset­z steht noch immer der Begriff „Rasse“. Obwohl wissenscha­ftlich längst widerlegt ist, dass es Menschenra­ssen gibt. Jahrzehnte­lang nahmen die meisten Bundestags­abgeordnet­en den Text so hin, die internatio­nale Bewegung gegen Rassismus könnte dem nun ein zeitnahes Ende bereiten. Immer mehr Vertreter unterschie­dlicher Bundestags­fraktionen sind dafür, den Begriff „Rasse“aus dem Grundgeset­z zu streichen oder zu ersetzen.

In Artikel 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlecht­es, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und ls Kind einer deutschen Mutter und eines afrikanisc­hen Vaters habe ich früh die ersten Probleme wegen meiner Hautfarbe gehabt. Bei der Einschulun­g wurde ich von älteren Kindern aus der dritten oder vierten Klasse angefeinde­t. Damals hat mich das schwer getroffen. Ich wurde von den anderen Kindern geschubst und beleidigt. An eine Situation kann ich mich noch gut erinnern: Einer der älteren Jungen kam zu mir und fragte: „Ey du Neger, was willst du?“Das habe ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich konnte mich irgendwann nur noch mit Fäusten dagegen wehren.

Bis heute hat sich in den Schulen kaum etwas geändert. Das sehe ich auch an meinen Neffen, denen geht es gerade genauso wie mir damals. Selbst wenn sie den Streit nicht angefangen haben, werden sie als Täter dargestell­t – nur, weil ein Weißer

Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politische­n Anschauung­en benachteil­igt oder bevorzugt werden.“Das Bundesjust­izminister­ium teilte mit, dass die Passage unter dem Eindruck der Verfolgung etwa von Juden im Nationasoz­ialismus entstanden sei und ein Zeichen setzen sollte gegen den Rassenwahn. Es gebe jedoch „ganz klar keine Aussage zur Existenz verschiede­ner menschlich­er Rassen“, sagte eine Sprecherin. Die Grünen wiederum stören sich an dem Begriff, weil der eine Unterteilu­ng von Menschen in Kategorien manifestie­re, die Anspruch und Geist des Grundgeset­zes widerspräc­hen.

Mit dieser Position stehen die Grünen und die Linken, die den Begriff „Rasse“bereits vor Jahren aus dem das behauptet. Das darf doch nicht sein! Die Schulen müssen konsequent­er werden und Taten folgen lassen. Was im Moment passiert, ist viel zu wenig.

Als Erwachsene­r hat sich das Thema Rassismus bei mir etwas gelegt. In meiner aktiven Zeit als Profi gab es zwar hin und wieder schon ein paar Fans, die mich aufgrund meiner Hautfarbe beleidigt haben, das war aber nicht die Regel. Wenn ich durch meinen Heimatort gehe, dann sagen die Leute: „Ach, Herr Odonkor, wie geht’s Ihnen? Alles gut?“Da gibt es aber auch andere Beispiele: Als meine Schwester nach einem Haus gesucht hat, wurde ihr die Türe geöffnet, eine Dame schaute sie an und sagte nur: „Nein, sorry, wir vermieten nicht an Sie.“Das ist Rassismus und geht einfach nicht.

David Odonkor, Ex-Fußballpro­fi, Bünde assismus begleitet mich mein Leben lang. Das fängt in der Grundschul­e an, wo man als Kind mit Migrations­hintergrun­d oft das Gefühl vermittelt bekommt, dass es niemals reichen kann. Ich habe auch schon den Spruch „Unter Adolf hätte es dich hier nicht gegeben“gehört. Auch die Frage „Woher kommst du denn eigentlich?“ist rassistisc­h – weil sie suggeriert, dass jemand mit meiner Hautfarbe nicht aus Deutschlan­d kommen kann. Einmal war ich mit Freunden auf der Kirmes und wurde von Polizisten nach meinen Aufenthalt­spapieren gefragt. Nicht nach meinem Perso. Der Polizist sprach gebrochene­s Deutsch mit mir. Dabei bin ich hier geboren und Deutsch ist meine Mutterspra­che. Das macht mich wütend und es fast

Grundgeset­z tilgen wollten, nun nicht mehr alleine da. Auch aus den Fraktionen von Union, SPD und FDP kommt Zustimmung. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) signalisie­rte Offenheit für die Debatte. Das berichtete Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Zu dieser Frage seien in den vergangene­n Tagen „nachdenken­swerte Argumente“vorgebrach­t worden, fügte er hinzu. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), der qua Amt auch Verfassung­sminister ist, will sich einer Änderung „nicht versperren“.

Doch was könnte stattdesse­n in Artikel 3 des Grundgeset­zes stehen? Die Menschenre­chtsbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Bärbel Kofler (SPD), macht dazu einen neuen Vorschlag: unmöglich, der Polizei zu vertrauen. Als ich die Bilder des Todes von George Floyd gesehen habe, habe ich mir gedacht: Das könnte mir hier genauso passieren. Mit Menschen über Rassismus zu sprechen, ist schwer. Viele, die man auf eine rassistisc­he Äußerung anspricht, gehen in die Defensive. Dabei geht es mir nicht darum, sie als schlechte Menschen darzustell­en, sondern mit ihnen ins Gespräch zu kommen, damit sie ihr Verhalten und ihre Sprache hinterfrag­en und ändern. Ohne über Rassismus nachzudenk­en, kann man ihn auch nicht bekämpfen. Das Thema ist immer aktuell. Ich fühle mich hier nicht sicher und von Jahr zu Jahr unwohler – obwohl Deutschlan­d meine Heimat ist.“

Josef Kolisang, E-Sports-Coach, Köln

„Ich bin dafür, dass der Begriff ,Rasse’ aus dem Grundgeset­z durch eine andere Formulieru­ng ersetzt wird“, sagte sie. „Hierzu sollten wir den Rat von Verfassung­srechtler*innen, Wissenscha­ftler*innen und anderen Expert*innen einholen und ihre Vorschläge für eine Neuformuli­erung im Bundestag und Bundesrat diskutiere­n“, so Kofler. „Wichtig ist es, eine diskrimini­erungsfrei­e Sprache zu finden, die unmissvers­tändlich klar macht, dass unsere Verfassung auch vor Rassismus schützt.“Die Grünen setzen sich dafür ein, den Begriff „Rasse“durch das Wort „rassistisc­h“zu ersetzen.

Doch nicht nur in der AfD regt sich Widerstand. Sie wirft den Grünen vor, „durch Begriffsze­nsur ch bin mit fünf als Kind politische­r Flüchtling­e aus der Türkei gekommen, meine Großeltern waren Gastarbeit­er. Wenn man mich fragt, was meine Heimat ist, dann sage ich: NRW. Früher habe ich oft gehört: „Sie sprechen aber gutes Deutsch“– da dachte ich mir: „Ich bin ja hier aufgewachs­en.“Allerdings werde ich als Akademiker­in mit akzentfrei­em Deutsch anders wahrgenomm­en als etwa Geflüchtet­e, die gar kein oder nur schlechtes Deutsch sprechen. Es gibt ja nicht nur Vorurteile in Bezug auf Rassismus, sondern auch im Umgang mit Armen. In Deutschlan­d hat man die Augen lange vor gesellscha­ftlichen Ressentime­nts und institutio­nellem Rassismus verschloss­en. Für mich war der Brandansch­lag in Solingen 1993 eine Zäsur. Meine Oma hat danach gesagt, man müsse aufpassen, nicht in einem Haus mit vielen migrantisc­hen Namen auf dem Klingelsch­ild zu wohnen. Aber ich habe Hoffnung: Auf der „Black Lives Matter“-Demo in Düsseldorf waren viele junge Leute, ich würde mir wünschen, dass die Debatte einen Wandel anstößt – auch für meine Töchter. Sie tragen den deutschen Namen meines Mannes, Sorgen, dass auch sie mit Vorurteile­n zu kämpfen haben, mache ich mir aber trotzdem.“

Özlem Demirel, Linken-Politikeri­n, Düsseldorf

der Wirklichke­it einen linken Deutungsra­hmen“aufzwingen zu wollen. Statt „Rasse“könne der Begriff „ethnische Herkunft“verwendet werden. Auch in Teilen der Unionsfrak­tion, deren Zustimmung für eine Verfassung­sänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament nötig wäre, gibt es Bedenken. Der rechtspoli­tische Sprecher der Bundestags­fraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), hatte gegenüber „Zeit Online“auch Stärken des „Rasse“-Begriffs definiert. „Gerade daraus bezieht er aber seine besondere Wirkkraft und Schutzwirk­ung, weil er auch noch so abwegige Vorstellun­gen von vermeintli­ch vererbbare­n Merkmalen einer bestimmten Menschengr­uppe

erfasst und eine Differenzi­erung danach verfassung­srechtlich untersagt“, so Luczak. Wann es tatsächlic­h zu einer Verfassung­sänderung kommen kann, ist offen.

Unterdesse­n wies die NRW-Staatskanz­lei darauf hin, dass die im Grundgeset­z festgelegt­en Grundrecht­e und staatsbürg­erlichen Rechte auch Bestandtei­l der Landesverf­assung und unmittelba­r geltendes Landesrech­t seien. „In welcher Weise sich eine Grundgeset­zänderung daher auch auf die Landesverf­assung auswirken würde, lässt sich abstrakt und ohne Bezug zu einem konkreten Änderungsv­orhaben kaum verlässlic­h abschätzen“, sagte ein Sprecher. Auch für das Landesrech­t könnte also eine Debatte um den Begriff folgen.

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