OGS als logistische Herausforderung
Ab Montag wird an Grundschulen klassenweise unterrichtet. Aber: In der OGS darf durchmischt werden.
KREIS VIERSEN Wenn am Montag die rund 8900 Grundschüler im Kreis Viersen wieder zum Regelbetrieb in ihre Schulen gehen, steht eine Frage im Raum: Kann die Komplettöffnung gelingen – oder ist sie ein schlecht durchdachtes Experiment? Denn von Montag an gelten die bisher gültigen Abstandsregelungen von 1,50 Meter in den Schulen nicht mehr. „Möglich ist die Rückkehr zum Regelbetrieb durch eine Neuregelung der infektionsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen“, heißt es in der mittlerweile 23. Schulmail seit Beginn der Corona-Pandemie. „Im Mittelpunkt steht hierbei ein schon in anderen Ländern verfolgtes Konzept. Es ersetzt für die Schulen der Primarstufe die individuelle Abstandswahrung (1,50 m) durch ein Konzept, wonach konstante (Lern-)Gruppen gebildet und durch deren Trennung Durchmischungen vermieden werden.“
Dies sei in der Primarstufe wegen des vorherrschenden Unterrichts im Klassenverband und wegen des Klassenlehrerprinzips, das zusätzliche Fluktuation vermeiden hilft, mit pädagogischen und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen gut vereinbar. Unterrichtsangebote, die eine Durchmischung von Lerngruppen mit sich bringen würden, sollen bis zum Beginn der Sommerferien unterbleiben. Und: Durch gestaffelte Anfangs- und Pausenzeiten müsse eine Trennung der Lerngruppen auch außerhalb des Unterrichts gewährleistet werden, forderte das Ministerium.
Die Irritation Am Tag vor Fronleichnam erreichte dann aber eine nachgereichte Ergänzung aus dem NRW-Schulministerium die Schulleiter. Darin heißt es: „Für den Vormittag (Unterricht) und den Nachmittag (Offene Ganztagsbetreuung) kann eine voneinander unabhängige Gruppenstruktur etabliert werden.“Kinder in Ganztagsangeboten könnten, so das Ministerium in dem Erläuterungsschreiben zur Schulmail, von Montag an „täglich zwei konstante Bezugsgruppen haben“. Viele Lehrer sind schwer irritiert, denn im Klartext bedeutet das nichts anderes, als dass Kinder aus unterschiedlichen Klassen nun doch nachmittags gemischt werden können. Anders ließe sich die Betreuung am Nachmittag für alle sonst nicht stemmen. Monika
Maraun, Sprecherin für die Grundschulen in der Lehrergewerkschaft GEW, hat bereits mit anderen Schulleitern einen Offenen Brief an Ministerium und Schulaufsicht geschickt. Tenor: So, wie der Neustart umgesetzt wird, gefährde er die Gesundheit von Teilen der Schul-Gemeinde. „Ohne Abstand, ohne Mundschutz soll es laufen – und jetzt werden die OGS-Gruppen auch noch gemischt: Wir dürfen Lehrer und Kinder nicht zu Versuchskaninchen machen“, sagt die Pädagogin. In ihrer eigenen Klasse sollen die Schüler deshalb auch während des Unterrichts Mundschutz tragen. Das ist so eigentlich nicht vorgesehen: Im Schulgebäude sollen die Grundschüler den Schutz tragen, während des Unterrichts aber nicht.
Die Gründe „Üblicherweise gibt es an den Grundschulen mehr Klassen als OGS-Gruppen“, erklärt Viersens Schuldezernentin Cigdem Bern. „Hat eine Grundschule acht Klassen und vier OGS-Gruppen, müsste sie bei einer strikten Trennung plötzlich doppelt so viele Gruppen anbieten. Dafür fehlt schlicht das Personal.“Auf diese Problematik habe das Ministerium reagiert – damit alle angemeldeten
Kinder auch nachmittags betreut werden können.
Die Reaktionen In Viersen reagieren die Grundschulen unterschiedlich auf die Vorgabe des Ministeriums. „Es ist eine logistische Herausforderung, die Betreuung nach dem Unterricht anzubieten und zu gewährleisten“, sagt etwa Birgit Stieger-Becker, Leiterin der Paul-Weyers-Schule. Am Grundschulstandort
in Dülken werden im Regelbetrieb nach dem Unterricht 130 Kinder betreut, 80 davon in der OGS mit warmem Mittagessen. Jetzt habe sie insgesamt 60 Kinder, die das Angebot nutzen, sagt Stieger-Becker. Würden die Schüler mittags klassenweise betreut werden, müssten zu viele Gruppen, die alle eigene Räume und eigene Betreuer bräuchten, gebildet werden – das sei leider nicht leistbar. Stattdessen sollen die Kinder soweit möglich je nach Jahrgang zu Gruppen mit maximal zehn zusammengefasst werden, in den Gruppenräumen müssen Abstandsregeln eingehalten werden. Nicht alle Gruppen finden im OGS-Gebäude Platz, andere Teile der Schule müssen mitgenutzt werden. Und: „Räume dürfen nicht doppelt genutzt werden“, erläutert Stieger-Becker. Wo morgens unterrichtet wird, darf mittags nicht betreut werden – zumindest nicht, ohne vorher zu desinfizieren.
Von den 60 angemeldeten Kindern sollen 30 ein warmes Mittagessen bekommen – auch das zu organisieren, sei eine Herausforderung, erzählt Stieger-Becker. Das Essen werde geliefert, „normalerweise holen es sich die Kinder am Wagen und gehen damit zu ihrem Platz“. Manche Gruppenräume, die jetzt für die OGS umfunktioniert werden, seien aber weit entfernt, die Schüler müssten teilweise mit ihren Tellern erst über den Schulhof – „wir arbeiten noch an einer Lösung“. Bei all den logistischen Herausforderungen verliert die Schulleiterin aber nicht den Blick auf Positives: „Es ist schön, dass viele Eltern das alles mittragen und ihre Kinder selber zu Hause betreuen“, sagt sie.
Anders als an der Paul-WeyersSchule soll die Mittagsbetreuung zum Beispiel an der Brüder-Grimm-Schule ablaufen, wie die Schulleitung auf der Internetseite informiert. Dort sollen die Kinder in ihren Klassenräumen bleiben, gemeinsam mit einer OGS-Betreuerin. Das Mittagessen wird dann nacheinander an die Schüler der einzelnen Jahrgänge jeweils nach Klassenverband unterteilt ausgegeben. Kämen alle OGS-Kinder, wären das 165. Dann müssten zwölf Klassengruppen aufrecht erhalten werden. Das sei nicht leistbar, schreibt die Schulleitung – und bittet Eltern, genau zu prüfen, ob sie den OGS-Platz für ihr Kind derzeit wirklich benötigen.