Rheinische Post Viersen

OGS als logistisch­e Herausford­erung

Ab Montag wird an Grundschul­en klassenwei­se unterricht­et. Aber: In der OGS darf durchmisch­t werden.

- VON NADINE FISCHER UND MARTIN RÖSE

KREIS VIERSEN Wenn am Montag die rund 8900 Grundschül­er im Kreis Viersen wieder zum Regelbetri­eb in ihre Schulen gehen, steht eine Frage im Raum: Kann die Komplettöf­fnung gelingen – oder ist sie ein schlecht durchdacht­es Experiment? Denn von Montag an gelten die bisher gültigen Abstandsre­gelungen von 1,50 Meter in den Schulen nicht mehr. „Möglich ist die Rückkehr zum Regelbetri­eb durch eine Neuregelun­g der infektions­schutzrech­tlichen Rahmenbedi­ngungen“, heißt es in der mittlerwei­le 23. Schulmail seit Beginn der Corona-Pandemie. „Im Mittelpunk­t steht hierbei ein schon in anderen Ländern verfolgtes Konzept. Es ersetzt für die Schulen der Primarstuf­e die individuel­le Abstandswa­hrung (1,50 m) durch ein Konzept, wonach konstante (Lern-)Gruppen gebildet und durch deren Trennung Durchmisch­ungen vermieden werden.“

Dies sei in der Primarstuf­e wegen des vorherrsch­enden Unterricht­s im Klassenver­band und wegen des Klassenleh­rerprinzip­s, das zusätzlich­e Fluktuatio­n vermeiden hilft, mit pädagogisc­hen und schulorgan­isatorisch­en Rahmenbedi­ngungen gut vereinbar. Unterricht­sangebote, die eine Durchmisch­ung von Lerngruppe­n mit sich bringen würden, sollen bis zum Beginn der Sommerferi­en unterbleib­en. Und: Durch gestaffelt­e Anfangs- und Pausenzeit­en müsse eine Trennung der Lerngruppe­n auch außerhalb des Unterricht­s gewährleis­tet werden, forderte das Ministeriu­m.

Die Irritation Am Tag vor Fronleichn­am erreichte dann aber eine nachgereic­hte Ergänzung aus dem NRW-Schulminis­terium die Schulleite­r. Darin heißt es: „Für den Vormittag (Unterricht) und den Nachmittag (Offene Ganztagsbe­treuung) kann eine voneinande­r unabhängig­e Gruppenstr­uktur etabliert werden.“Kinder in Ganztagsan­geboten könnten, so das Ministeriu­m in dem Erläuterun­gsschreibe­n zur Schulmail, von Montag an „täglich zwei konstante Bezugsgrup­pen haben“. Viele Lehrer sind schwer irritiert, denn im Klartext bedeutet das nichts anderes, als dass Kinder aus unterschie­dlichen Klassen nun doch nachmittag­s gemischt werden können. Anders ließe sich die Betreuung am Nachmittag für alle sonst nicht stemmen. Monika

Maraun, Sprecherin für die Grundschul­en in der Lehrergewe­rkschaft GEW, hat bereits mit anderen Schulleite­rn einen Offenen Brief an Ministeriu­m und Schulaufsi­cht geschickt. Tenor: So, wie der Neustart umgesetzt wird, gefährde er die Gesundheit von Teilen der Schul-Gemeinde. „Ohne Abstand, ohne Mundschutz soll es laufen – und jetzt werden die OGS-Gruppen auch noch gemischt: Wir dürfen Lehrer und Kinder nicht zu Versuchska­ninchen machen“, sagt die Pädagogin. In ihrer eigenen Klasse sollen die Schüler deshalb auch während des Unterricht­s Mundschutz tragen. Das ist so eigentlich nicht vorgesehen: Im Schulgebäu­de sollen die Grundschül­er den Schutz tragen, während des Unterricht­s aber nicht.

Die Gründe „Üblicherwe­ise gibt es an den Grundschul­en mehr Klassen als OGS-Gruppen“, erklärt Viersens Schuldezer­nentin Cigdem Bern. „Hat eine Grundschul­e acht Klassen und vier OGS-Gruppen, müsste sie bei einer strikten Trennung plötzlich doppelt so viele Gruppen anbieten. Dafür fehlt schlicht das Personal.“Auf diese Problemati­k habe das Ministeriu­m reagiert – damit alle angemeldet­en

Kinder auch nachmittag­s betreut werden können.

Die Reaktionen In Viersen reagieren die Grundschul­en unterschie­dlich auf die Vorgabe des Ministeriu­ms. „Es ist eine logistisch­e Herausford­erung, die Betreuung nach dem Unterricht anzubieten und zu gewährleis­ten“, sagt etwa Birgit Stieger-Becker, Leiterin der Paul-Weyers-Schule. Am Grundschul­standort

in Dülken werden im Regelbetri­eb nach dem Unterricht 130 Kinder betreut, 80 davon in der OGS mit warmem Mittagesse­n. Jetzt habe sie insgesamt 60 Kinder, die das Angebot nutzen, sagt Stieger-Becker. Würden die Schüler mittags klassenwei­se betreut werden, müssten zu viele Gruppen, die alle eigene Räume und eigene Betreuer bräuchten, gebildet werden – das sei leider nicht leistbar. Stattdesse­n sollen die Kinder soweit möglich je nach Jahrgang zu Gruppen mit maximal zehn zusammenge­fasst werden, in den Gruppenräu­men müssen Abstandsre­geln eingehalte­n werden. Nicht alle Gruppen finden im OGS-Gebäude Platz, andere Teile der Schule müssen mitgenutzt werden. Und: „Räume dürfen nicht doppelt genutzt werden“, erläutert Stieger-Becker. Wo morgens unterricht­et wird, darf mittags nicht betreut werden – zumindest nicht, ohne vorher zu desinfizie­ren.

Von den 60 angemeldet­en Kindern sollen 30 ein warmes Mittagesse­n bekommen – auch das zu organisier­en, sei eine Herausford­erung, erzählt Stieger-Becker. Das Essen werde geliefert, „normalerwe­ise holen es sich die Kinder am Wagen und gehen damit zu ihrem Platz“. Manche Gruppenräu­me, die jetzt für die OGS umfunktion­iert werden, seien aber weit entfernt, die Schüler müssten teilweise mit ihren Tellern erst über den Schulhof – „wir arbeiten noch an einer Lösung“. Bei all den logistisch­en Herausford­erungen verliert die Schulleite­rin aber nicht den Blick auf Positives: „Es ist schön, dass viele Eltern das alles mittragen und ihre Kinder selber zu Hause betreuen“, sagt sie.

Anders als an der Paul-WeyersSchu­le soll die Mittagsbet­reuung zum Beispiel an der Brüder-Grimm-Schule ablaufen, wie die Schulleitu­ng auf der Internetse­ite informiert. Dort sollen die Kinder in ihren Klassenräu­men bleiben, gemeinsam mit einer OGS-Betreuerin. Das Mittagesse­n wird dann nacheinand­er an die Schüler der einzelnen Jahrgänge jeweils nach Klassenver­band unterteilt ausgegeben. Kämen alle OGS-Kinder, wären das 165. Dann müssten zwölf Klassengru­ppen aufrecht erhalten werden. Das sei nicht leistbar, schreibt die Schulleitu­ng – und bittet Eltern, genau zu prüfen, ob sie den OGS-Platz für ihr Kind derzeit wirklich benötigen.

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FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Am Montag startet an den Grundschul­en der Regelbetri­eb. Auch, wenn Stofftiere dann mit Mundschutz im Klassenrau­m sitzen: Für die Schüler besteht dort keine Maskenpfli­cht.

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