So werden Senioren wieder fit
Nach einem Sturz oder Schlaganfall sind viele ältere Menschen und ihre Angehörigen zunächst verunsichert. Doch nach der interdisziplinären Therapie in der Geriatrie können die meisten weiter daheim leben.
Die älteste Patientin, die Dr. Thomas Jaeger, Chefarzt des Zentrums für Geriatrie der Städtischen Kliniken Mönchengladbach, bisher behandelt hat, war 105. „Sie hatte sich bei einem Sturz den Oberschenkelhals gebrochen und kam nach der Operation zur Weiterbehandlung in unsere Geriatrie. Ihre Angst vor weiteren Stürzen konnten wir durch Training abbauen und sie nach drei Wochen nach Hause entlassen. Die Entlassung nach Hause, ist, wenn irgend möglich, immer unser oberstes Ziel.“
Die Altersmedizin hat in den letzten Jahren rasant an Bedeutung gewonnen. Kein Wunder: Schließlich steigt die Anzahl der Senioren kontinuierlich. In den Städtischen Kliniken gibt es eine der ältesten, größten und innovativsten geriatrischen Abteilungen in Nordrhein-Westfalen. Indikationen für einen Aufenthalt sind neben der Behandlung nach Operationen oder Schlaganfällen die Abklärung und Behandlung bei chronischen Schmerzen, Schwindel, Gangstörungen, Parkinsonsyndrome, aber auch Herzschwäche oder Diabetes. Behandelt wird interdisziplinär mit dem Ziel, Selbständigkeit und Lebensqualität zu steigern.
Mit dem Wissen des Altersmediziners geht dies oft vergleichsweise einfach: mit einem Blick in die Medikamentenschale der Patienten. „Manche kommen mit zwei Plastiktüten voller Medikamente, die ihnen irgendwann einmal verschrieben, aber nie mehr abgesetzt worden sind. Manche Wirkstoffe vertragen sich nicht miteinander. Darum steht am Anfang unserer Therapie eine gründliche Arzneimittelanalyse und dann die Verordnung von meist weniger, aber aufeinander abgestimmter Medikamente“, sagt Dr. Jaeger.
Der Grund für die Einweisung in die Geriatrie ist oft ein kurzfristiges, traumatisches Ereignis, zum Beispiel ein Sturz mit Knochenbruch. „Die Geriatrie ist bei der Behandlung unserer Patienten von Anfang mit im Boot. Diese in hohen Maß interdisziplinäre Zusammenarbeit ist seit vielen Jahren ein Grundsatz unseres Behandlungskonzepts“, sagt Dr. Harald Löw, Chefarzt der Unfallund Gelenkchirurgie. Bei der Behandlung übernehmen
Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Masseure und auch Psychologen eine wichtige Rolle. „Es geht darum, den Patienten zu mobilisieren und ihm verlorenes Selbstvertrauen und Sicherheit zurückzugeben“, sagt Dr. Jaeger. Häufig bestehe vor allem ein Trainingsmangel. „Deshalb ist es unsere Aufgabe, mit dem Patienten intensiv zu üben und ihm Sicherheit zu vermitteln. Dazu gehört auch aufzuzeigen, welche Hilfsmittel ihm helfen können, den Alltag wieder möglichst selbstbestimmt zu gestalten“, so der Chefarzt.
Behandeln lassen können sich die Patienten in der Geriatrie nicht nur stationär, sondern auch in der Tagesklinik. Hier werden sie entweder im Anschluss an die stationäre Behandlung, oder auch direkt von zu Hause aufgenommen. Voraussetzung ist, dass die Versorgung nachts und am Wochenende sichergestellt ist. Das Zentrum für Geriatrie ist nach dem Qualitätssiegel der Bundesarbeitsgemeinschaft Geriatrie zertifiziert und zählt laut dem Magazin FOCUS seit Jahren zu den „Top-Krankenhäusern Akutgeriatrie“; zusätzlich wurde Chefarzt Dr. Jaeger 2019 und 2020 vom Focus als Top-Mediziner im Bereich Akutgeriatrie ausgezeichnet.
Viele Senioren und deren Angehörige glauben nach einer schweren Erkrankung nicht mehr an eine grundlegende Verbesserung der Situation. Was entgegnen Sie?
DR. JAEGER: Dass wir hier jeden Tag das Gegenteil erleben. Auch für Senioren gilt: Viele Beschwerden lassen sich deutlich und spürbar verbessern. Manchmal haben dabei Kleinigkeiten große Wirkung. Dann ist es zum Beispiel ein falsch eingestellter Blutdruck, der für den Schwindel sorgt, der einmalig zu einem Sturz geführt hat. Wenn dieses Problem durch eine Anpassung der Medikamente gelöst ist, gibt es keinen Anlass mehr, weitere Stürze zu befürchten. Oft reicht auch ein Stock oder ein Rollator, um wieder zur alten Sicherheit zu kommen. All das erarbeiten wir mit den Senioren und üben es mit ihnen ein. Das gilt auch bei kognitiven Einschränkungen, die gar nicht selten durch Nebenwirkungen von Arzneimitteln verursacht sind.
Wie viele der Senioren kehren nach ihrem Aufenthalt nach Hause zurück, wie viele gehen in eine Pflegereinrichtung?
DR. JAEGER: Fast 75 Prozent können nach dem Klinik-Aufenthalt wieder in ihre häusliche Umgebung. Einige gehen vorübergehend in die Kurzzeitpflege. Gut 10 Prozent gehen wieder oder auch zum ersten Mal in ein Altenheim.
Finden manche Patienten oder ihre Angehörigen bei Eingriffen oder Therapien, die Sie vorschlagen: Das lohnt sich nicht mehr?
DR. JAEGER: Die Frage nach dem Sinn von Therapie stellen wir Mediziner uns immer – egal, wie alt der Patient ist. Natürlich muss man bei einem 98-Jährigen nicht mehr zwingend die Blutfettwerte senken, um die Gefahr von Folgeerkrankungen zu minimieren. Die Frage, was sich lohnt, ist ganz einfach zu beantworten: alles, was Beschwerden verringert, Ängste nimmt und mehr Lebensqualität bringt. Das lohnt sich nicht nur in jedem Alter, das sind wir selbstverständlich auch unseren älteren Patienten schuldig.