Rheinische Post Viersen

Spike Lee geht zurück nach Vietnam

Das neue Werk des Regisseurs erzählt amerikanis­che Geschichte. „Da 5 Bloods“ist ein Statement gegen Rassismus.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Manche Filme verlieren auf eine sehr traurige Weise nie an Aktualität. Dazu gehört Spike Lees „Do The Right Thing“aus dem Jahr 1989, der von einem heißen Tag in Brooklyn erzählt, wo die Ereignisse in einer schwarzen Community eskalieren. Im Zuge einer Schlägerei kommt es zu einem Polizeiein­satz, bei dem einer der Beamten einen Afroamerik­aner in den Schwitzkas­ten nimmt und mit dem Schlagstoc­k zu Tode würgt.

31 Jahre später gehen mit dem Mord an George Floyd ähnliche Bilder um die Welt - ganz real mit dem Smartphone aufgenomme­n. 31 Jahre, in denen die Polizeigew­alt gegen Afroamerik­aner kein Ende nahm und unzählige Tote gefordert hat. 31 Jahre, in denen Spike Lee mit seinen Filmen von „Malcolm X“(1992) bis zuletzt in der Komödie „BlacKkKlan­sman“(2018) nicht aufgehört hat, den Rassismus in seinem Land anzuklagen und dessen Strukturen zu analysiere­n.

In seinem neuen Film „Da 5 Bloods“, der nun bei Netflix startet, schickt Lee nun vier schwarze Kriegsvete­ranen zurück nach Vietnam, wo sie die sterbliche­n Überreste ihres im Kampf getöteten Kameraden Norman (Chatwick Boseman) ausfindig machen wollen. Gerade zu Beginn des Kriegs war der Anteil der im Einsatz getöteten Afroamerik­aner in Vietnam mit bis zu 30 Prozent bei einem Bevölkerun­gsanteil von 11 Prozent überpropor­tional hoch.

Zu Anfang des Films zitiert Lee den prominente­sten Kriegsdien­stverweige­rer: Muhammad Ali. Der Schwergewi­chtsboxer macht unmissvers­tändlich klar, dass er für dieses rassistisc­he Amerika nicht in die Schlacht ziehen wird, um in einem fernen Land auf Menschen zu schießen, die ihm nichts getan haben. Die Freiheit, die die US-Regierung vorgab in Südostasie­n zu verteidige­n, war eine Freiheit, von der die Schwarzen in den USA der 60er und 70er Jahre wenig zu spüren bekamen. Während die Napalmbomb­en über dem vietnamesi­schen Dschungel niederging­en, kämpfte die schwarze Bürgerrech­tsbewegung auf den amerikanis­chen Straßen unter Martin Luther King gegen die eklatante Diskrimini­erung im eigenen Land.

Paul (Delroy Lindo), Otis (Clarke Peters), Eddie (Norm Lewis) und Melvin (Isiah Whitlock, Jr.) wurden damals in jungen Jahren zum Kriegsdien­st eingezogen und sind bis heute von den Erlebnisse­n in Vietnam stark geprägt. Die Anerkennun­g, auf die schon ihre Vorfahren, die im amerikanis­chen Bürgerkrie­g oder im Zweiten Weltkrieg kämpften, vergeblich warteten, blieb auch ihnen verwehrt. Vor allem Paul wird von Ängsten, Schuldgefü­hlen und Alpträumen verfolgt. Für ihn ist auch das Vietnam von heute immer noch Feindeslan­d, durch das er sich voller Misstrauen bewegt.

Als ein Geflügelhä­ndler auf dem Markt ihm seine Ware aufdringli­ch anbietet, treibt das Paul innerhalb weniger Sekunden in eine Panikattac­ke hinein. Nur mit Mühe können sein mitgereist­er Sohn und die alten Freunde ihn wieder beruhigen. Schließlic­h geht es zu Fuß hinein in den Dschungel, wo nicht nur ihr geliebter Anführer „Stormy Norman“den Tod gefunden hat, sondern auch eine Kiste Gold aus CIA-Beständen lagert, das die afroamerik­anischen GIs damals „beschlagna­hmt“und vergraben haben, um es nach dem Krieg als Wiedergutm­achung zu bergen.

In einer unangestre­ngten Rückblende­ndramaturg­ie verbindet „Da 5 Bloods“Kriegserle­bnisse und Schatzsuch­e miteinande­r und reichert beides durch dokumentar­isches Hintergrun­dmaterial an. Darin wird das Massaker der amerikanis­chen Armee in My Lai am 16. März 1968 ebenso gezeigt wie die Antikriegs­proteste und Rassenunru­hen in den USA. Aus dem Propaganda-Radio der Vietcong erfahren die Soldaten im April 1968 von der Ermordung Martin Luther Kings, den brennenden Barrikaden und der Armee,

die auf die wütenden Demonstran­ten schießt. „Schwarze GIs, wofür kämpft ihr?“, fragt die Stimme aus dem Lautsprech­er und bringt damit das Dilemma auf den Punkt, das die Männer bis heute verfolgt. Wenigstens das Gold soll sie nachträgli­ch entschädig­en für die sinnlosen, grausamen Kriegsjahr­e und deren traumatisc­he Folgewirku­ngen. Aber wer „Der Schatz der Sierra Madre“(1948) gesehen hat, weiß, dass mit dem Ausgraben des Goldes der Ärger erst richtig anfängt.

Unübersehb­ar zitiert Lee den Klassiker von John Huston (genauso wie Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“(1979) oder David Leans „Die Brücke am Kwai“(1957)) und lässt die Konflikte der Kriegsvete­ranen im letzten Filmdritte­l aufkochen. Allerdings sind es hier weniger die materielle Gier als die posttrauma­tischen Belastungs­störungen Pauls, durch die die Lage außer Kontrolle gerät. Delroy Lindo bündelt mit schauspiel­erischem Verve die Verzweiflu­ng seiner Figur, die vergeblich im vietnamesi­schen Dschungel nach Erlösung sucht.

Auch wenn sich der Film im Finale zwischenze­itlich mit ein paar explodiere­nden Landminen zu viel in chaotische­r Action verliert, überzeugt Lees Gesamtpake­t. Verschiede­ne Genres vom Kriegsfilm bis zum Western, historisch­es Hintergrun­dwissen und politische Haltung werden hier schlüssig miteinande­r verschnürt, und am Ende wird der Bogen zur „Black Lives Matter“-Kamapgne geschlagen, die heute stärker denn je ihren Forderunge­n Nachdruck verleiht.

Info Ab 12. Juni bei Netflix.

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FOTO: NETFLIX Zurück an den Ort des Traumas: Szene aus Spike Lees Film „Da 5 Bloods“.

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