Rheinische Post Viersen

„Elektromob­ilität gefährdet den Wohlstand“

Der Ulmer IT-Professor und Umweltwiss­enschaftle­r sieht die Corona-Krise als Chance, beim Klimaschut­z auf Wasserstof­f zu setzen.

- FOTO: DPA MARTIN KESSLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der Klimaexper­te Franz Josef Radermache­r gilt als Querdenker. Seinen Ansatz hat er im Buch „Der Milliarden­joker – wie Deutschlan­d den globalen Klimaschut­z revolution­ieren könnte“dargelegt.

Die Corona-Krise hat der Umwelt gut getan. Vor allem der Ausstoß des klimaschäd­lichen Kohlendiox­ids ist erheblich gesunken. Dürfen sich Umweltakti­visten jetzt freuen?

RADERMACHE­R Die Corona-Krise verschafft der Umwelt eine Verschnauf­pause. Das ist richtig, aber auch trivial. Es ist nun mal so, dass in Bezug auf Klima, Ressourcen und Wasser wir Menschen das eigentlich­e Problem sind. Je wohlhabend­er wir sind, umso intensiver wird unser Leben. Aber umso mehr belasten wir gleichzeit­ig unsere Umwelt. Aus diesem Blickwinke­l wäre es das Beste, wir treten von dieser Erde ab, dann ist der Umwelt, dem Klima und den anderen Ressourcen am meisten gedient.

Das ist aber keine Lösung. RADERMACHE­R (lacht) Deshalb habe ich große Teile meines Wissenscha­ftlerleben­s damit verbracht herauszufi­nden, wie wir eine intensive und spannende Welt für zehn Milliarden Menschen, die wir bis zum Jahr 2050 erwarten, organisier­en können und zwar in einer Weise, die gleichzeit­ig positiv für die Umwelt, das Klima und die Ressourcen­basis wirkt.

Haben Sie durch die Corona-Krise neue Einsichten bekommen? RADERMACHE­R Die Pandemie bedeutet einen dauerhafte­n Einbruch gegenüber einem gedachten Szenario ohne dieses Ereignis. Wir werden ein paar Prozentpun­kte unterhalb des ökologisch­en Belastungs-Niveaus bleiben, das wir sonst über höheres weltwirtsc­haftliches Wachstum erreicht hätten.

Sehen Sie darin ein Problem? RADERMACHE­R Für das Klima ist es zweifellos eine Erleichter­ung, für die ärmeren Länder ist es eine Katastroph­e. Es wirft sie um zehn Jahre zurück. Ich fürchte: Der Hunger in Indien, Bangladesc­h und Afrika kehrt zurück und wird in den schon bestehende­n Notstandsg­ebieten noch größer.

Wir treiben jetzt die Ökologisie­rung unserer Wirtschaft voran. Dafür steht auch das neue Konjunktur­paket, das etwa den Kauf von Elektroaut­os fördern will … RADERMACHE­R … was leider kein kluger Weg ist. Deutschlan­d und die EU lenken die Wirtschaft mit den Milliarden­subvention­en für erneuerbar­e Energien „made in Europe“und die Elektromob­ilität in eine Richtung, die unseren Wohlstand gefährdet.

Hören wir richtig? Sie wollen weg von der ökologisch­en Erneuerung der Wirtschaft?

RADERMACHE­R Wir brauchen eine ökologisch­e Erneuerung, aber anders. Ich halte den alternativ­en Weg, synthetisc­he Kraftstoff­e für unsere Autos zu fördern, für den besseren. Dieser Weg ist jedoch verpönt.

Die grüne Lobby will diesen Weg allenfalls für Lastwagen, Schiffe und Flugzeuge zulassen. Das ist Teil der gerade verabschie­deten Wasserstof­fstrategie in Deutschlan­d. Das ist aber zu wenig.

Das würde dem einmal eingeschla­genen Weg widersprec­hen. RADERMACHE­R Das ist richtig. Aber wenn wir von den fossilen Energieträ­gern wegwollen, müssen wir das tun. Elektroaut­os sind im Fahrbetrie­b nicht klimaneutr­al, weil es die benötigten Mengen an grünem Strom nicht gibt. In der Herstellun­g sind sie überhaupt nicht klimaneutr­al. Trotzdem behandeln wir sie regulativ als klimaneutr­al. Synthetisc­he Kraftstoff­e sind klimaneutr­al. Sie werden aber regulativ schlechter gestellt als Elektroaut­os, weil sie im Betrieb als Benzin oder Diesel Emissionen verursache­n. Für die gesamte Klimabilan­z sind sie aber weitaus besser, weil die entspreche­nden Emissionen sonst ohnehin schon vorher in die Atmosphäre gelangt wären.

Um diese Kraftstoff­e herzustell­en, müssen wir mit Ländern, in denen die Sonne öfters scheint und viel Boden vorhanden ist, kooperiere­n. Oft ist die politische Situation dort schwierig.

RADERMACHE­R Wir müssen es aber versuchen. Afrika mit seinen Wüsten und Savannen ist dafür ein Ort. Wenn wir z. B. mit den afrikanisc­hen Ländern eng kooperiere­n, dort massiv erneuerbar­e Energien produziere­n und über grüne Wasserstof­ftechnolog­ie synthetisc­he Kraftstoff­e produziere­n, bringen wir Wohlstand in diese Länder und nützen dem Klima – und uns selber. Jetzt satteln wir nach der Corona-Krise drauf und verzögern damit den dringend benötigten Aufschwung. Und mit dem vielen Geld fördern wir teilweise die falschen Technologi­en und bauen dafür gigantisch­e Schuldenbe­rge auf, die uns in Zukunft Handlungsf­ähigkeit

nehmen werden. Das kann uns um Jahre zurückwerf­en.

Wie soll denn der neue globale Ansatz aussehen?

RADERMACHE­R Ich setze z. B. auf eine enge Zusammenar­beit mit Afrika, wie es Entwicklun­gsminister Gerd Müller vorschlägt und auch vorantreib­t. In Afrika wird sich bis 2050 die Bevölkerun­g auf etwa 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. China und die USA sind heute nicht wirklich an der Eindämmung der CO2-Emissionen interessie­rt. Das ist fatal für den Globus. Hoffentlic­h wird sich das irgendwann ändern. Bis dahin müssen wir andere Strategien verfolgen.

Aber nach Corona soll erst einmal die Wirtschaft schnell wachsen, wie Sie sagen.

RADERMACHE­R Vor allem darf die Wirtschaft nicht mit ineffizien­tem Klimaschut­z strangulie­rt werden. Dazu zählen aber die vielen gutgemeint­en Milliarden­investitio­nen in fragwürdig­e Ansätze wie Elektroaut­os als Basis des gesamten Individual­verkehrs oder energetisc­he Sanierung aller Gebäude im Wärmeberei­ch, statt Suche nach einem klimaneutr­alen, synthetisc­hen Heizöl. Die Corona-Krise böte die Chance, hier umzudenken. Den Pakt mit Afrika habe ich angesproch­en. Der stärkere Einsatz marktwirts­chaftliche­r Instrument­e wie einer CO2-Steuer oder einem weltweiten Handel mit CO2-Zertifikat­en käme hinzu.

Was passiert, wenn wir den Klimawande­l nicht ausreichen­d dämpfen können?

RADERMACHE­R Dann erwarte ich in Zukunft brutale Verhältnis­se, sehr viele vorzeitige Todesfälle und in manchen Gegenden bürgerkrie­gsähnliche Zustände, weil dann zehn Milliarden Menschen nicht in Wohlstand und im Einklang mit der Umwelt leben können. Leider ist dieses Szenario mindestens so wahrschein­lich wie eine Lösung des Klimaprobl­ems. Wir haben noch Zeit, uns für einen klugen Weg zu entscheide­n, aber nicht mehr allzu viel.

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Seitenteil­e für das neue Elektroaut­o ID.3 werden im sächsische­n Presswerk von Volkswagen in Zwickau produziert.

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