„Elektromobilität gefährdet den Wohlstand“
Der Ulmer IT-Professor und Umweltwissenschaftler sieht die Corona-Krise als Chance, beim Klimaschutz auf Wasserstoff zu setzen.
Der Klimaexperte Franz Josef Radermacher gilt als Querdenker. Seinen Ansatz hat er im Buch „Der Milliardenjoker – wie Deutschland den globalen Klimaschutz revolutionieren könnte“dargelegt.
Die Corona-Krise hat der Umwelt gut getan. Vor allem der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids ist erheblich gesunken. Dürfen sich Umweltaktivisten jetzt freuen?
RADERMACHER Die Corona-Krise verschafft der Umwelt eine Verschnaufpause. Das ist richtig, aber auch trivial. Es ist nun mal so, dass in Bezug auf Klima, Ressourcen und Wasser wir Menschen das eigentliche Problem sind. Je wohlhabender wir sind, umso intensiver wird unser Leben. Aber umso mehr belasten wir gleichzeitig unsere Umwelt. Aus diesem Blickwinkel wäre es das Beste, wir treten von dieser Erde ab, dann ist der Umwelt, dem Klima und den anderen Ressourcen am meisten gedient.
Das ist aber keine Lösung. RADERMACHER (lacht) Deshalb habe ich große Teile meines Wissenschaftlerlebens damit verbracht herauszufinden, wie wir eine intensive und spannende Welt für zehn Milliarden Menschen, die wir bis zum Jahr 2050 erwarten, organisieren können und zwar in einer Weise, die gleichzeitig positiv für die Umwelt, das Klima und die Ressourcenbasis wirkt.
Haben Sie durch die Corona-Krise neue Einsichten bekommen? RADERMACHER Die Pandemie bedeutet einen dauerhaften Einbruch gegenüber einem gedachten Szenario ohne dieses Ereignis. Wir werden ein paar Prozentpunkte unterhalb des ökologischen Belastungs-Niveaus bleiben, das wir sonst über höheres weltwirtschaftliches Wachstum erreicht hätten.
Sehen Sie darin ein Problem? RADERMACHER Für das Klima ist es zweifellos eine Erleichterung, für die ärmeren Länder ist es eine Katastrophe. Es wirft sie um zehn Jahre zurück. Ich fürchte: Der Hunger in Indien, Bangladesch und Afrika kehrt zurück und wird in den schon bestehenden Notstandsgebieten noch größer.
Wir treiben jetzt die Ökologisierung unserer Wirtschaft voran. Dafür steht auch das neue Konjunkturpaket, das etwa den Kauf von Elektroautos fördern will … RADERMACHER … was leider kein kluger Weg ist. Deutschland und die EU lenken die Wirtschaft mit den Milliardensubventionen für erneuerbare Energien „made in Europe“und die Elektromobilität in eine Richtung, die unseren Wohlstand gefährdet.
Hören wir richtig? Sie wollen weg von der ökologischen Erneuerung der Wirtschaft?
RADERMACHER Wir brauchen eine ökologische Erneuerung, aber anders. Ich halte den alternativen Weg, synthetische Kraftstoffe für unsere Autos zu fördern, für den besseren. Dieser Weg ist jedoch verpönt.
Die grüne Lobby will diesen Weg allenfalls für Lastwagen, Schiffe und Flugzeuge zulassen. Das ist Teil der gerade verabschiedeten Wasserstoffstrategie in Deutschland. Das ist aber zu wenig.
Das würde dem einmal eingeschlagenen Weg widersprechen. RADERMACHER Das ist richtig. Aber wenn wir von den fossilen Energieträgern wegwollen, müssen wir das tun. Elektroautos sind im Fahrbetrieb nicht klimaneutral, weil es die benötigten Mengen an grünem Strom nicht gibt. In der Herstellung sind sie überhaupt nicht klimaneutral. Trotzdem behandeln wir sie regulativ als klimaneutral. Synthetische Kraftstoffe sind klimaneutral. Sie werden aber regulativ schlechter gestellt als Elektroautos, weil sie im Betrieb als Benzin oder Diesel Emissionen verursachen. Für die gesamte Klimabilanz sind sie aber weitaus besser, weil die entsprechenden Emissionen sonst ohnehin schon vorher in die Atmosphäre gelangt wären.
Um diese Kraftstoffe herzustellen, müssen wir mit Ländern, in denen die Sonne öfters scheint und viel Boden vorhanden ist, kooperieren. Oft ist die politische Situation dort schwierig.
RADERMACHER Wir müssen es aber versuchen. Afrika mit seinen Wüsten und Savannen ist dafür ein Ort. Wenn wir z. B. mit den afrikanischen Ländern eng kooperieren, dort massiv erneuerbare Energien produzieren und über grüne Wasserstofftechnologie synthetische Kraftstoffe produzieren, bringen wir Wohlstand in diese Länder und nützen dem Klima – und uns selber. Jetzt satteln wir nach der Corona-Krise drauf und verzögern damit den dringend benötigten Aufschwung. Und mit dem vielen Geld fördern wir teilweise die falschen Technologien und bauen dafür gigantische Schuldenberge auf, die uns in Zukunft Handlungsfähigkeit
nehmen werden. Das kann uns um Jahre zurückwerfen.
Wie soll denn der neue globale Ansatz aussehen?
RADERMACHER Ich setze z. B. auf eine enge Zusammenarbeit mit Afrika, wie es Entwicklungsminister Gerd Müller vorschlägt und auch vorantreibt. In Afrika wird sich bis 2050 die Bevölkerung auf etwa 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. China und die USA sind heute nicht wirklich an der Eindämmung der CO2-Emissionen interessiert. Das ist fatal für den Globus. Hoffentlich wird sich das irgendwann ändern. Bis dahin müssen wir andere Strategien verfolgen.
Aber nach Corona soll erst einmal die Wirtschaft schnell wachsen, wie Sie sagen.
RADERMACHER Vor allem darf die Wirtschaft nicht mit ineffizientem Klimaschutz stranguliert werden. Dazu zählen aber die vielen gutgemeinten Milliardeninvestitionen in fragwürdige Ansätze wie Elektroautos als Basis des gesamten Individualverkehrs oder energetische Sanierung aller Gebäude im Wärmebereich, statt Suche nach einem klimaneutralen, synthetischen Heizöl. Die Corona-Krise böte die Chance, hier umzudenken. Den Pakt mit Afrika habe ich angesprochen. Der stärkere Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente wie einer CO2-Steuer oder einem weltweiten Handel mit CO2-Zertifikaten käme hinzu.
Was passiert, wenn wir den Klimawandel nicht ausreichend dämpfen können?
RADERMACHER Dann erwarte ich in Zukunft brutale Verhältnisse, sehr viele vorzeitige Todesfälle und in manchen Gegenden bürgerkriegsähnliche Zustände, weil dann zehn Milliarden Menschen nicht in Wohlstand und im Einklang mit der Umwelt leben können. Leider ist dieses Szenario mindestens so wahrscheinlich wie eine Lösung des Klimaproblems. Wir haben noch Zeit, uns für einen klugen Weg zu entscheiden, aber nicht mehr allzu viel.