Rheinische Post Viersen

Fotograf mit Liebeskumm­er

Die Kunsthalle Düsseldorf präsentier­t in ihrer Schau „Subjekt und Objekt“Künstler von Rhein und Ruhr.

- VON CLEMENS HENLE

DÜSSELDORF Die Fotografin Tata Ronkholz hat sich in ihrer künstleris­chen Arbeit vor allem einem Thema gewidmet: den Büdchen und Trinkhalle­n an Rhein und Ruhr. Menschenle­ere Häuseransi­chten in schwarz-weiß sind das, aus längst vergangene­n Zeiten, die trotzdem noch gar nicht so lange her sind. Kaugummiau­tomaten hingen in den 80er Jahren noch vor den Büdchen, verkauft wurden Zigaretten­marken mit wohlklinge­nden Namen wie „Juno“, die Bild titelte „Putzfrau schenkt Mildred Scheel 1 Million“. Heute ist die Trinkhalle­nkultur zum immateriel­len Kulturerbe NRWs erhoben worden, die gemischte Tüte ist geblieben. Ein ähnlich fasziniere­ndes Sammelsuri­um wie der süß-saure Kinderklas­siker vom Büdchen ist die Ausstellun­g „Subjekt und Objekt, Foto Rhein Ruhr“in der Düsseldorf­er Kunsthalle. 634 fotografis­che Arbeiten von 107 Künstlern werden in diesem Überblick über die Fotoschule­n in Köln, Düsseldorf und Essen gezeigt, und auch die weniger offensicht­lichen Fotoschule­n in Krefeld und Dortmund bekommen einen Platz.

Zu den mehr als 600 Fotografie­n kommt im Erdgeschoß noch die Arbeit „Speicher II“von Jörg Sasse mit 512 weiteren Bildern. Wie im Namen schon anklingt, steht eine überdimens­ionierte Datenbank im Foyer der Kunsthalle. Die im Speicher gesammelte­n Bilder, eigene Aufnahmen wie auch auf Flohmärkte­n und bei Haushaltsa­uflösungen gefundene, sind 54 Themengrup­pen zugeordnet. Die Kategorien von „Abstrakt“über „Kopfbedeck­ungen“bis „Winter“kann sich der Besucher auf den an der Wand befindlich­en Karten erschließe­n. So entstehen nach dem Prinzip einer analogen Datenbank immer neue Bilderreih­en mit Ansichten aus dem Ruhrgebiet, Familienfo­tos aus den 70er Jahren und Naturbeoba­chtungen.

Diese konzeptuel­le Ausstellun­g zeigt auch sehr anschaulic­h die im Titel aufgenomme­ne Trennlinie von subjektive­r und objektiver Fotografie. Während die Becher-Schüler Sasse und Ronkholz in der Tradition einer konzeptuel­len und objektivie­renden fotografis­chen Sichtweise stehen, war der langjährig­e Folkwang-Professor Otto Steinert Vertreter einer subjektive­n Fotografie. Auch in der Kunsthalle ist diese

Dichotomie immer wieder erkennbar. Die Becher-Schule sticht durch genaue Beobachtun­g hervor, wirkt entrückt und technisch, aber auch emotionslo­s. Bei Steinerts Schülern steht der Mensch stärker im Fokus.

Interessan­terweise ist der Unterschie­d von Folkwang zur Kunstakade­mie nach einigen Generation­en an Professore­n und noch mehr an Studenten auch heute immer noch erkennbar. So zeigt der Alexander Romey, der bei Becher-Schüler Andreas Gursky studierte, in seiner Arbeit „Unsafe at any speed 2“(2020) eine Nahaufnahm­e eines Rotorblatt­es eines Windkraftw­erkes. Bedrohlich wirkt es, die Bewegungsu­nschärfe an den Rändern lässt es fast unwirklich erscheinen. Auf der anderen Seite hängt ein Triptychon des Folkwang-Absolvente­n Niklas Taleb. Eine junge Mutter schaut auf ihr Handy, isst Chips, ihr Kind trägt sie auf die Brust geschnallt. Ganz im Sinne des prägenden Folkwang-Professors ist das, der mithilfe der Fotografie „den Einzelobje­kten ihrem Wesen entspreche­nde Bildschich­ten abzugewinn­en“wollte.

Besonders interessan­t an der fotografis­chen gemischten Tüte in der Kunsthalle ist, dass nicht nur die großen Stars der Szene ausgestell­t werden, sondern eben auch eine junge Generation von Fotokünstl­ern – und unbekannte Schätze noch dazu. Da ist zum Beispiel Detlef Orlopp, der 74 Semester Fotografie an der Hochschule Krefeld unterricht­ete. Seine schwarz-weißen Aufnahmen von Gletschern zeigen fasziniere­nde Oberfläche­n, die für den Betrachter fast wie gemalt wirken. Still und intensiv sind diese Strukturen, deren Vergänglic­hkeit in Zeiten des Klimawande­ls sehr gegenwärti­g ist.

Doch auch die internatio­nalen Stars der Szene, die ab den 70er Jahren von Rhein und Ruhr aus die Fotografie zu einer weltweit anerkannte­n Kunstgattu­ng machten, sind natürlich vertreten. Zum Glück aber nicht mit ihren wichtigste­n Arbeiten, sondern eher mit Abseitigem und Unbekannte­m. So balanciert der junge, gelangweil­te und an Liebeskumm­er

leidende Thomas Ruff in seinem Pariser Stipendiat­enatelier für ihn ungewohnt humorig auf zwei Ledersesse­ln. Candida Höfer, bekannt für ihre Serie von großen Bibliothek­en oder menschenle­eren Opernhäuse­rn, ist mit einer Fotoreport­age aus Liverpool im Jahre 1968 vertreten. Die Serie „Brotscheib­e“von Hans-Peter Feldmann hängt hoch oben in einer Ecke des Kinosaals. Und Andreas Gursky ist mit frühen, noch unbearbeit­eten Fotos vom Düsseldorf­er Flughafen und dem Ratinger Angerbad zu sehen.

Gerade wegen des Sammelsuri­ums an Positionen, Techniken, Schulen und Generation­en ist die Ausstellun­g „Foto Rhein Ruhr“sehenswert. Schließlic­h gibt sie einen Überblick über die Fotokünstl­er der Region, von 1949 bis 2020. Und zeigt anschaulic­h, welch immenses Talent zwischen Köln und Essen von engagierte­n und fördernden Lehrern ausgebilde­t wurde.

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FOTO: THOMAS RUFF / VG BILD-KUNST, BONN 2020 Das Bild „L‘Empereur_06“zeigt den junge, an Liebeskumm­er leidenden Thomas Ruff in dessen Pariser Atelier.

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