Die Schatzkammer eines Alltagsdenkers
(hols) So ein faszinierendes Buch: Georges Perros war eine Randfigur der französischen Literaturgeschichte, aber eine großartige. Er notierte wie besessen, sein Hauptwerk umfasst drei zwischen 1960 und 1978 veröffentlichte Notizbücher voller Ideen, Eingebungen, Beobachtungen, Reflexionen, Berichte und Pointen. Der Verlag Matthes & Seitz hat diese Schatzkammer nun unter dem Titel „Klebebeilder“herausgegeben, Anne Weber hat den Text übersetzt, und entstanden ist ein Buch, das man gerne immer dabei hätte - wenn es nicht so schwer wäre. Vier Kostproben zum Appetitanregen: „Man kann die Stille nur zum Schweigen bringen, indem man leiser spricht als sie.“/ „Wie soll man das Wesen einholen, das hinter uns liegt?“/ „Er sagte leise, was er laut dachte.“/ „Die Hölle, das ist, nicht mehr aufhören zu können.“
Elektronische Musik Das britische Label Touch verlegt Künstler, die man dem Bereich Ambient zuordnen könnte. Sie schaffen Instrumentalmusik, die aus elektronischen Flächen und Field Recordings besteht, also aus Aufnahmen von Natur- und Alltagsgeräuschen. Und weil die meisten dieser Künstler wegen ausgefallener Festivals und abgesagter Konzerte so gut wie keine Einnahmen während des Lockdowns hatten und etwas dagegen tun wollten, hatte man bei Touch eine Idee: Man bat 28 Künstler, jeweils ein exklusives Musikstück zum Thema Selbstisolation aufzunehmen. Zweimal in der Woche kam Nachschub, und nun liegen alle Arbeiten gesammelt als Sampler vor. Den durchzuhören ist fast so schön wie ein Waldspaziergang oder ein Ausflug an den See. Fennesz und Ryuichi Sakamoto sind die bekanntesten Musiker, Simon Scott, der mal bei der Band Slowdive war, und Oren Ambarchi sind weitere prominente Namen innerhalb des Genres. Das ist Musik zur Einkehr, zum Versonnen-Sein und als Hintergrund für (hols) Man weiß nicht, wie er es macht, aber man muss seine Bücher immer weiterlesen, man kann nicht aufhören, und so ist es auch dieses Mal wieder. „Der USB-Stick“heißt der neue Roman von Jean-Philippe Toussaint, und wenn man nur erzählt, worum es da geht, begreift man kaum, wie der Autor es hinbekommt, mit dieser Geschichte eine solche Sogwirkung zu entfalten. Jean Detrez ist als Abteilungsleiter der Europäischen Kommission mit Zukunftsforschung befasst. Ein Lobbyist verliert bei einem Treffen einen USB-Stick mit brisantem Material. Detrez geht dem nach, er fliegt nach China und nach Japan, und manchmal denkt man an Kafka und am Ende daran, dass das alles so schräg ist wie die Gegenwart. Hoffentlich ist der schmale Band für viele Leser der Einstieg in die Welt von Jean-Philippe Toussaint. Als Nächstes sollte man die Romantetralogie „M.M.M.M.“lesen. Die ist sein Meisterwerk.
Jean-Philippe Toussaint:
Musik, die klingt wie ein Spaziergang im Wald
die Arbeit im Homeoffice. Jedes Stück liegt nur digital vor, es wurde jeweils geliefert mit einer wunderbaren Fotografie von Jon Wozencroft, der in Hampstead Heath die Ruhe fotografierte, die Stille ablichtete und die optische Entsprechung für diese Musik fand. Hören (und kaufen) kann man dieses Album bei Bandcamp, der Online-Plattform, auf der Künstler ihre Produktionen auf direkterem Wege an die Hörer bringen können als bei Spotify. Man tut dabei etwas für unabhängige Künstler, und wer bei Google „Touch“, Bandcamp“und „Isolation“eingibt, bekommt als ersten Treffer die richtige Seite aufgelistet.
Vielleicht stöbert man dann einfach weiter im Katalog dieses Labels; es lohnt sich, das ist einfach schöne Musik.
Philipp Holstein