Wochenlang Strandkörbe in Baumärkten gekauft
Der Geschäftsführer des Sparkassenparks spricht über abgesagte Konzerte, Strandkörbe und wie man mit dem Verein Corinna Geld für Kultur generiert.
Herr Hilgers, Tote Hosen, Fury in the Slaughterhouse, Aerosmith, Udo Lindenberg — das Open-AirJahr 2020 in Mönchengladbach wäre hochkarätig geworden. Mit Corona ist alles abgeblasen. Wie war Ihr erstes Gefühl, und wie haben Sie das weggesteckt?
Hilgers Es ist schon traurig. 2020 wäre unser erfolgreichstes Jahr geworden. So viele Hochkaräter sind selten in einem Jahr auf Tour. Die Mehrzahl der Konzerte konnte aber gerettet werden, indem wir sie auf 2021 verschoben haben. Das hat bei Mark Foster, Sarah Conor, Fury in the Slaughterhouse oder der Olé-Reihe geklappt. Aber zum Beispiel Udo Lindenberg geht erst wieder auf Tournee, wenn es einen Impfstoff gibt. Nicht nur er, sondern auch seine Band gehören zur Risikogruppe.
Wird Udo Lindenberg dann überhaupt wieder in den Sparkassenpark kommen? Oder die Toten Hosen?
Hilgers Ich hoffe es. Viele Künstler sind den Veranstaltern gegenüber loyal. Das trifft auf Udo Lindenberg genauso zu wie auf die Toten Hosen.
Hat die Erfahrung im Umgang mit Topstars geholfen, in der Krise flexibel zu sein und einen kühlen Kopf zu bewahren?
Hilgers Naja, wir haben sicher schon viel erlebt mit Stars, aber eine Situation, wie wir sie jetzt haben, gab es nie zuvor. Allerdings wird deutlich, dass Musiker und Veranstalter in einem Boot sitzen. Man geht sehr verständnisvoll miteinander um, führt vernünftige Gespräche. Es gibt schließlich eine gegenseitige Abhängigkeit.
Besteht darin der positive Aspekt der Corona-Krise? Im gegenseitigen Verständnis?
Hilgers Das kann man so sagen. Man fragt mehr nach der Situation des anderen. Trotzdem muss am Ende natürlich jeder darauf achten, wie er wirtschaftlich klar kommt.
Haben die Top-Künstler eigentlich selbst ihre Konzerte abgesagt, oder haben Sie absagen müssen?
Hilgers Wir konnten uns frühzeitig verständigen. Das Konzertjahr 2020 wird 2021 gespiegelt. So weit wie möglich wurde alles um ein Jahr verlegt.
Wer hat den größeren Verlust durch die Absagen, die Künstler oder Sie als Veranstalter?
Hilgers Das kann man sehr schwer verallgemeinern, aber Veranstalter haben auf jeden Fall genauso viele Einbußen wie die meisten Künstler. Im Vergleich haben Veranstalter höhere laufende Kosten, weil sie meist mehr Mitarbeiter beschäftigen. Wir hatten zum Beispiel bis vor kurzem Kurzarbeit für 25 Mitarbeiter angemeldet. Allerdings nicht für alle, denn es gab trotz der Absagen viel zu organisieren. Immerhin mussten über 150 Shows in ganz Deutschland verlegt werden.
Gibt es Kompensation für die Ausfälle durch Hilfsgelder?
Hilgers Ohne Fördergelder wird es nicht gehen. Ein Mitarbeiter wird sich jetzt in erster Linie um die Möglichkeiten kümmern müssen, die in den verabschiedeten Konjunkturpaketen und Hilfsfonds stecken.
Reicht die Unterstützung, oder würden Sie sich mehr wünschen? Hilgers Die Fördermöglichkeiten sind gut, aber man muss das für unsere Branche zu Ende denken. Wir brauchen Unterstützung von März 2020 mindestens bis März 2021, also für zwölf Monate. Das ist in der Veranstaltungsbranche anders als zum Beispiel in der Gastronomie, wo man jetzt nach der Öffnung eine Phase von vielleicht drei Monaten überbrücken muss. Bei uns wird das hoffentlich nur ein Jahr sein, und selbst dann sind wir nicht gleich wieder bei 100 Prozent. Wer weiß, wie viel Angst dann noch da ist oder auch wie viel Geld. Zum jetzigen Förderpaket muss jedenfalls noch einiges dazukommen, sonst wird mindestens die Hälfte der Veranstalter nicht überleben.
Hat die Branche eine Lobby? Wird sie angemessen wahrgenommen? Hilgers Es gibt den BDKV (Bund der Deutschen Konzertveranstalter). Insgesamt ist Kultur ein Riesenbereich mit Milliardenumsätzen. Mehr als 150.000 Arbeitsplätze sind direkt betroffen. Ich weiß nicht, ob das allen immer bewusst ist.
Schauen Sie da manchmal neidisch auf die Subventionen für die kommunalen Theater?
Hilgers Mit 110 bis 120 Euro pro Theaterkarte sind die Subventionen schon recht üppig. Ich könnte mit einem Zehntel davon schon viel anfangen. Aber eigentlich würde es mir reichen, wenn die privaten Betreiber genauso viel Aufmerksamkeit erhielten, da wir alle Veranstaltungen auf eigenes Risiko durchführen…und das in unserem Fall für mehr als 300.000 Besucher pro Jahr.
Wie läuft es für die Fans, die bereits Karten erworben haben? Bekommen sie ihr Geld zurück? Läuft alles glatt?
Hilgers Alle vor dem 8. März gekauften Tickets können in Gutscheine umgewandelt werden, wenn die Veranstaltungen abgesagt wurden. Das ist eine gute Regelung der Bundesregierung, denn sonst würden viele Veranstalter nicht mehr zahlungsfähig bleiben. Für Veranstaltungen, die verlegt wurden, kann das Geld zurückverlangt werden. Es gibt aber auch Künstler wie Udo Lindenberg, die darauf bestehen, dass die Fans ihr Geld zurück erhalten. Insgesamt funktioniert das, es ist aber ein Riesenaufwand für das Ticketsystem. Bei 110.000 betroffenen Veranstaltungen muss das erst einmal umgesetzt werden.
Wofür gilt der Gutschein?
Hilgers Er ist einlösbar für eine Veranstaltung desselben Veranstalters.
Sie haben nicht resigniert, sondern mit einem überraschenden Konzept reagiert. Aus 450 Standkörben und dem strikten Anwenden der Hygienevorschriften wird ein Strandkorb Open Air. Wie ist die Idee entstanden?
Hilgers Ich habe im Fernsehen die leeren Strandkörbe an den Nordund Ostseestränden gesehen, in die immer zwei Leute passen. Da begann es bei mir zu rattern, und am Ende stand das Konzept, das dann noch ausgefeilt wurde. Es gab Gespräche mit dem OB, mit dem Gesundheitsamt und mit dem Landtagsabgeordneten Jochen Klenner. Zum Schluss hat alles funktioniert, weil das Land in die neue Corona-Schutzverordnung noch einen Satz aufgenommen hat, der sinngemäß besagt, dass Veranstaltungen mit mehr als 100 Besuchern bei einem guten Schutzkonzept erlaubt sind. Wir durften loslegen.
Wo haben Sie die vielen Strandkörbe herbekommen?
Hilgers Wir haben es zuerst mit Sammelbestellungen versucht, aber so viele Strandkörbe waren nicht zu kriegen. Deshalb sind dann unsere Mitarbeiter drei Wochen lang täglich mit LKW unterwegs gewesen und haben in Baumärkten Strandkörbe gekauft. Es war echte Maloche, aber sie hatten ihren Spaß dabei. Und Erfolg. Jetzt müssen die Strandkörbe nur noch zusammengebaut werden…
Rechnet sich das Strandkorb Open Air eigentlich angesichts des größeren Aufwands bei deutlich geringerer Besucherzahl?
Hilgers Das rechnet sich nur in der Masse. Wenn die Veranstaltungen gut besucht werden, bleibt auch etwas übrig. Die Karten kosten das
Gleiche wie bei normalen Konzerten, der einzige Unterschied ist, dass es die Tickets aus Hygienegründen nur im Doppelpack gibt, nämlich pro Strandkorb. Uns kommen auch die guten Verbindungen zu den Künstlern zugute. Sie treten auch für überschaubare Gage auf.
Verraten Sie schon Details zum Programm?
Hilgers Brings wird am Freitag, den 10. Juli, beginnen. Am Samstag kommen dann die Höhner, am Sonntag dann Markus Krebs. Das wird ein richtig cooles Eröffnungs-Wochenende.
Wer kommt sonst noch?
Hilgers Wir sind noch voll in der Planung, aber unter anderem Kassalla, Martin Rütter, Dennis aus Hürth, Gestört aber Geil, Joris, Johann König, Gentleman. Und sogar ein kleines Metal Festival, VNV Nation, ist schon dabei, und es werden täglich mehr. Insgesamt werden wir etwa 50 Prozent Musik und 50 Prozent Comedy haben.
Wird es auch Fremdveranstaltungen im Strandkorb-Ambiente geben?
Hilgers Etwa die Hälfte der Veranstaltungen sind Fremdveranstaltungen oder Kooperationen. Wir sprechen beispielsweise auch über Themen wie Zeugnisausgaben der Marienschule und des Huma.
Wie hat die Branche auf Ihr Konzept reagiert?
Hilgers Es gibt Anfragen aus Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland zur Umsetzung des Konzepts. Es kann allerdings sein, dass es an der Menge der benötigten Strandkörbe scheitert.
Weg von der Corona-Krise: Wie kommt das Programm im Sparkassenpark zustande? Spielen da persönliche Vorlieben mit?
Hilgers Nein, das würde ich nicht sagen. Natürlich gibt es Künstler, die ich gern mal haben würde, aber letztendlich geht es um die Kalkulation. Bei etwa 80 Prozent des Programms werden wir angefragt. Da ist der Sparkassenpark bekannt, und es geht in erster Linie um Kapazitäten, Termine oder Bestuhlungsvarianten.
Bei welcher Musik tanzen Sie backstage mit?
Hilgers Bei gar keiner. Ich tanze nicht mit. Ich kann nicht tanzen, das wird Ihnen jeder bestätigen.
Der Sparkassenpark soll ja auch zum Nationalen Hockey-Leistungszentrum werden. Wann kann nach längerer Pause ein Hockey-Großevent ausgerichtet werden?
Hilgers Der Deutsche Hockey-Bund und wir arbeiten an einer Bewerbung für die Europameisterschaft 2023. Außerdem wollen wir gern die Pro-League-Reihe oder Europäische Clubwettbewerbe zu uns locken. Möglichkeiten dafür gäbe es im Frühjahr und Herbst.
Unter den Künstlern, die auf dem Programm standen und abgesagt werden mussten, war auch Xavier Naidoo. Er ist sehr umstritten, weil er offen mit der Reichsbürger-Szene sympathisiert. Wegen kritischer Aussagen ist er sogar als Juror bei DSDS rausgeflogen. Waren Sie froh über die Absage? Würden Sie ihn noch mal buchen?
Hilgers Ich war so wenig froh über die Absage wie bei allen anderen Veranstaltungen. Ich muss seine Meinung nicht teilen, aber wir stehen für Pluralität, Toleranz und freie Meinungsäußerung. So lange etwas nicht verboten ist, muss ich es auch aushalten können. Außerdem bestehen Verträge und die sind einzuhalten. Immerhin wollen mehr als 10.000 Menschen seine Musik hören und das schon zum vierten Mal bei uns.
Ein zweites starkes Engagement von Ihnen ist der Verein Corinna, zu dem sich nahezu alle Kulturschaffenden der Stadt zusammengeschlossen haben. Wurde dabei der Konkurrenz-Gedanke über Bord geworfen?
Hilgers Ja, es sind inzwischen fast alle dabei, auch das Theater, das Museum und die MGMG. Wir haben über 100 Mitglieder, und jeden Tag kommen neue Anträge.
Sie sind der Vorsitzende des Vereins. Was ist das Vereinsziel?
Hilgers Ziel ist es, Geld für Kultur zu generieren, und zwar nicht nur, indem man die Hand aufhält, sondern auch, indem man eigene Angebote macht. Wir wollen Synergien schaffen, die ehrenamtliche Arbeit in geldwerte Vorteile umwandeln und Ähnliches. Alles, was Geld einbringt, ist willkommen. Insgesamt ist es die Chance, für Kultur dauerhaft eine zweite Finanzierungssäule neben dem Etat der Stadt zu schaffen. Und dann soll das Geld allen Notleidenden der Kulturbranche zugute kommen.
Die erste Streaming-Sendung mit Kulturschaffenden unterschiedlicher Genres ist bereits gelaufen. Hilgers Ja, und das hat riesig Spaß gemacht, denn es war mega-professionell und trotzdem cool und erfolgreich. Die nächste Sendung wird gerade geplant.
Warum engagieren Sie sich für den Verein?
Hilgers Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Mönchengladbacher Kulturszene ihre Vielfalt und ihr hohes Niveau beibehält.
Im Zentrum steht eine geheimnisumwobene Großveranstaltung im Juni 2021. Die Leute sind aufgerufen, blind Tickets zu kaufen. Wann erfahren wir, worum es genau geht? Hilgers Wir sind in der Vorplanung und Ende Juli wird es mehr Infos geben. Jetzt kosten die Tickets 20 Euro plus Gebühr, danach 25 Euro plus Gebühr. Die ganze Stadt samt Umland soll sich dort treffen…und wird es auch, da bin ich mir sicher.