Rheinische Post Viersen

Kampf gegen Rechtsterr­or hat erst begonnen

In Frankfurt beginnt der Lübcke-Prozess. Die Hintergrün­de des Mordes an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n sind weiter ungeklärt.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Gut ein Jahr nach dem Mord an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke beginnt an diesem Dienstag der Prozess gegen zwei Männer, denen die Bundesanwa­ltschaft die Tat und die Beihilfe dazu zur Last legen. Von dem zunächst bis Oktober geplanten Prozess erhoffen sich Behörden und Öffentlich­keit auch weitere Erkenntnis­se über mögliche rechtsterr­oristische Netzwerke. Die beiden Angeklagte­n waren den Sicherheit­sbehörden zwar bekannt, galten aber seit Jahren als nicht mehr sonderlich aktiv. Wie steht es unter diesem Eindruck um den Kampf gegen den Rechtsterr­or in Deutschlan­d ein Jahr nach dem aufrütteln­den Mord aus rechtsextr­emistische­n Motiven?

Über den Wissenssta­nd und die Aktivitäte­n der Sicherheit­sbehörden ist kaum eine Stelle so gut informiert wie das geheim tagende Parlamenta­rische Kontrollgr­emium des Bundestage­s (PKGr). Dessen Vorsitzend­er Armin Schuster unterstrei­cht, dass der „Druck auf die Szene massiv gewachsen“sei. Zum Beleg verweist der CDU-Politiker auf die Verbote rechter Gruppen wie „Combat 18“sowie einer Reichsbürg­er-Gruppe, den Zugriff auf die Mitglieder der „Gruppe S“und den Waffenfund bei einem KSK-Soldaten in Sachsen. Die laufenden PKGr-Untersuchu­ngen trügen ebenfalls zu diesem Druck bei und hätten inzwischen auch schon zu Reformen beim Militärisc­hen Abschirmdi­enst und der Bundeswehr geführt.

Doch gerade bei der Bundeswehr zeigt sich derzeit, dass das Ausmaß der rechtsextr­emen Bedrohung noch nicht vollständi­g bekannt ist. Jedenfalls ging bei Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ein beklemmend­er Insider-Bericht aus dem Kommando Spezialkrä­fte (KSK) ein. Die Schilderun­g eines KSK-Offiziers enthält zahlreiche Beispiele rechtsextr­emistisch geprägten Verhaltens unter den Elite-Kämpfern. Dazu kommen Berichte über Kontakte von KSK-Soldaten zu ehemaligen Kameraden und einer Szene, die Todesliste­n anlegt und sich für den „Tag X“vorbereite­t.

Schuster hat darauf bereits eine Antwort. Zum einen begrüßt er, dass der Kampf gegen den Rechtsextr­emismus durch die Bundeskanz­lerin und den Bundesinne­nminister zur Chefsache gemacht worden sei. So hätten Angela Merkel und Horst Seehofer etwa einen eigenen Kabinettsa­usschuss ins Leben gerufen. Zum anderen kündigt er gesetzlich­e Verschärfu­ngen an: „Wir werden in Kürze beschließe­n, dass Hass und Hetze im Netz künftig schärfer verfolgt und bestraft werden, der Schutz von Kommunalpo­litikern erhöht wird und sogenannte Feindeslis­ten unter Strafe gestellt werden.“

Nach dem Eindruck von PKGr-Mitglied Thomas Hitschler ist zwar inzwischen in vielen relevanten Behörden angekommen, dass „wir es wirklich mit vernetztem Terror von Rechts zu tun haben“. Doch fehlt ihm an manchen Stellen noch die notwendige Konsequenz aus dieser Erkenntnis. Der Terrorgefa­hr müsse der Staat mit aller notwendige­n Härte entgegentr­eten. „Das sehe ich leider noch nicht überall“, kritisiert der SPD-Politiker.

Der PKGr-Vertreter der FDP, Stephan Thomae, warnt davor, den Kabinettsa­usschuss gegen Rechtsextr­emismus als Feigenblat­t zu nutzen. „Rassismus und Rechtsextr­emismus in all ihren Ausprägung­en sind zu lange stiefmütte­rlich behandelt worden“, klagt Thomae. Ein Jahr nach der Ermordung Lübckes sei „immer noch nicht geklärt, ob es Hintermänn­er gab oder gar ein rechtsextr­emistische­s Netzwerk wie der NSU dahinter steckt“. Zudem verweist Thomae auf Indizien, wonach es eine Verbindung zwischen Sicherheit­sbehörden und rechtsterr­oristische­n Kreisen gebe. „In erster Linie ist es notwendig, die Justiz besser auszustatt­en, Rechtsextr­eme konsequent zu entwaffnen und rechtsextr­eme Vereinigun­gen wie Uniter schneller zu verbieten“, fordert Thomae.

Die Bilanz im Kampf gegen Rechtsterr­orismus fällt nach einem Jahr für den Linken-Politiker André Hahn „ernüchtern­d und enttäusche­nd“aus. Die Regierung habe lediglich ihre verbale Schwerpunk­tsetzung geändert, bei konkreten Taten herrsche jedoch Fehlanzeig­e. „Was ist denn mit der dringend erforderli­chen Entwaffnun­g von den bei staatliche­n Behörden bekannten Neonazis und Rechtsextr­emisten?“, fragt Hahn. Und er kommt auch auf die „unrühmlich­e Rolle“zu sprechen, die der hessische Verfassung­sschutz beim Waffenerwe­rb im Fall Lübcke gespielt habe. Der mutmaßlich­e Mittäter soll eine Waffenbesi­tzkarte besessen haben, weil die Behörde wichtige Informatio­nen nicht weitergege­ben hatte.

 ?? FOTO: DPA FOTO: DPA ?? Mitglieder des internatio­nalen Auschwitz Komitees kleben am 2. Juni zur symbolisch­en Umbenennun­g den Schriftzug Walter-Lübcke-Straße auf ein Straßensch­ild in Berlin. An dem Tag jährte sich zum ersten Mal die Ermordung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke.
FOTO: DPA FOTO: DPA Mitglieder des internatio­nalen Auschwitz Komitees kleben am 2. Juni zur symbolisch­en Umbenennun­g den Schriftzug Walter-Lübcke-Straße auf ein Straßensch­ild in Berlin. An dem Tag jährte sich zum ersten Mal die Ermordung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke.
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Stephan E., Tatverdäch­tiger im Lübcke-Mord, wird mit einer Sturmhaube vermummt abgeführt.

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