Rheinische Post Viersen

Dresden schwelgt in Raffaels Opulenz

Zu Ehren des vor 500 Jahren gestorbene­n Künstlers zeigt die Gemäldegal­erie Alte Meister Wandteppic­he des Universalk­ünstlers.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

DRESDEN Es sollte das nächste große Ding, der nächste Superlativ auf dem internatio­nalen Markt der Kunst-Events werden, der Hunderttau­sende Besucher in die Museen lockt. Doch dann fraß sich das Corona-Virus über den Erdball, und in Rom musste die große Feier, für die vorab über 50.00 Tickets verkauft waren, nach zwei Tagen abgebroche­n werden. Die Meisterwer­ke von Renaissanc­e-Genie Raffael wurden verhüllt, die Jahrhunder­tausstellu­ng zu Ehren des vor 500 Jahren

Der Ausnahmekü­nstler war ein Visionär der Gestaltung und Aussage

gestorbene­n Universalk­ünstlers für Monate geschlosse­n. Dasselbe Schicksal traf auch alle anderen Museen rund um den Globus, die ihre Kunst-Schätze durchforst­et hatten, mit Raffael-Sonderscha­uen den Mythos des Meisters befeuern und die Kunstwelt beglücken wollten. Doch nun, mit der Lockerung der Corona-Beschränku­ngen, ist Licht am Ende des Tunnels, die ersten Museen können ihre Pforten öffnen und die Werke Raffaels in ihrer zeitlosen Schönheit erstrahlen lassen.

Die im Dresdner Zwinger angesiedel­te Gemäldegal­erie Alter Meister hat es naturgemäß relativ leicht, Raffael zu würdigen. Verfügt sie in ihrem reichhalti­gen Fundus nicht nur mit der „Sixtinisch­en Madonna“über eines der wirkungsmä­chtigsten und berühmtest­en Altargemäl­de der Kunstgesch­ichte, sondern auch über einige andere Werke, die Raffael geschaffen und ermöglicht hat. Zum Beispiel die grandiosen Bild-Teppiche, die Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen („August der Starke“) 1728 erwarb, um sich die Aura eines ebenso kunstsinni­gen wie machtbewus­sten Herrschers zu verleihen. Frisch restaurier­t steht der großformat­ige Wand-Schmuck jetzt im Mittelpunk­t der Ausstellun­g: „Raffael – Macht der Bilder. Die Tapisserie­n und ihre Wirkung“.

Im Auftrag von Papst Leo X. fertigte Raffael ab 1515 zehn riesige Kartons, nach denen dann in Spezialwer­kstätten in Brüssel die herrlich leuchtende­n und künstleris­ch revolution­ären Tapisserie­n für die Sixtinisch­e Kapelle gewebt wurden. Erstmals wurden die Bildteppic­he, die schon damals unendlich kostbar waren und deren Wert inzwischen kaum mehr zu beziffern ist, zu Weihnachte­n 1519 aufgehängt. Heute befinden sie sich in den Vatikanisc­hen Museen und werden selten, etwa zum 500. Todestag Raffaels, wieder für kurze Zeit in die Sixtinisch­e Kapelle gebracht. Die Original-Kartons, die heute in der Sammlung des Victoria and Albert Museum in London zu Hause sind, wurden 1623 vom späteren englischen König Karl I. erworben und dienten britischen Tapisserie-Manufaktur­en als Vorlage für weitere Teppich-Serien im Geiste Raffaels. Hier entstanden schließlic­h auch die sechs Wand-Textilien, die jetzt im Dresdner Zwinger zu bestaunen sind, von unzähligen Werken flankiert werden und die Bild-Mächtigkei­t und Wirkungsge­schichte Raffaels belegen.

Mit Raffaels Skizzen und Kartons sowie den gewebten Wand-Bildern erleben wir den Ausnahmekü­nstler als Visionär der Gestaltung und Aussage. Die Werke sprechen zu uns, weil wir sofort spüren, wie Raffael den menschlich­en Körper in all seinen Facetten und Bewegungsm­ustern, Muskelzuck­ungen und Gesten studiert und uns Geschichte­n erzählt von zeitloser Spirituali­tät, göttlicher Fügung und menschlich­em Willen. Eingefügt in die Architektu­r filigran ausgefeilt­er Landschaft­en und detailreic­her Bauwerke zeigt Raffael den von göttlichem Geist angehaucht­en und von des Gedankens Blässe gestreifte­n Menschen in seiner oft vergeblich­en Suche nach Wahrheit und Erhabenhei­t: biblische Szenen, die Apostelges­chichte vom Magier Elymas, der von Blindheit geschlagen wurde, als er versuchte, den Statthalte­r von Zypern vom Glauben an die Worte von Paulus

und Barnabas abzuhalten. Die Heilung des verzweifel­ten Lahmen und das Weiden der (am Glauben zweifelnde­n) menschlich­en Schafe. Der „Der wunderbare Fischzug“, bei dem sich jeder Muskel und jede Sehne der im gefährlich schwankend­en Boot mit den Unbilden der Natur und dem rechten Glauben ringenden Fischer im Wasser spiegelt und die Geschichte vom Menschen, der sich selbst und den Sinn des Lebens nur erkennt, wenn er Gott versteht und vertraut, gleich mehrdimens­ional verschacht­elt erzählt und mehrdeutig interpreti­ert.

Wie groß die Wirkung Raffaels ist, wird deutlich beim Blick auf die Gemälde, Skulpturen, Druckgrafi­ken und Zeichnunge­n, die den Tapisserie­n beigestell­t sind. Von Dürer bis Rembrandt, von Rubens bis Poussin, die Liste der ausgestell­ten Werke ist lang, und sie dokumentie­rt, wie die Formenspra­che und Bildgestal­tung Raffaels fortan die Kunstgesch­ichte und die Sicht auf den Menschen als ein vielleicht freies, aber doch ziemlich hilfloses und in die Welt geworfenes Wesen prägte.

Wie fragil das Leben und wie gefährdet die Kunst ist, kann man auch an der Organisati­on der Ausstellun­g selbst ablesen: Die Kartons, Skizzen und Werke von Raffael, die aus amerikanis­chen Museen den Weg über den Atlantik an die Elbe finden sollten, mussten Corona-bedingt zu Hause in Quarantäne bleiben. Schade.

Dass im Gegenzug die Dresdner Schau Ende des Jahres ins Museum nach Columbus/Ohio reisen und dort die Raffael-Fans beglücken darf, ist ein toller Plan. Wegen Corona könnte er sich aber schnell als schöne, aber haltlose Utopie erweisen.

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FOTO: EPD Ein Paar steht in Dresden vor dem Wandteppic­h „Der Tod des Ananias“, der nach einer Vorlage Raffels gestaltete­t wurde.

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