Rheinische Post Viersen

Mehr Mitsprache für Mannschaft­ssportler

Spielergew­erkschafte­n fristen in den deutschen Sportligen ein Schattenda­sein - wenn es sie überhaupt gibt. Doch in der Corona-Krise fordern plötzlich immer mehr Athleten Mitsprache­rechte, denn es geht um ihre Gesundheit und ihr Geld.

- VON CLEMENS BOISSERÉE

DÜSSELDORF Bryce Taylor ist Amerikaner und steht als solcher zunächst mal nicht unter Generalver­dacht, eine Gewerkscha­ft gründen zu wollen. Schließlic­h gelten die USA als äußerst skeptisch gegenüber Arbeitnehm­errechten. Taylor aber lebt nun schon seit elf Jahren in Deutschlan­d, genauso lange spielt der 33-Jährige in der Basketball-Bundesliga (BBL), aktuell für das Team von Brose Bamberg. Anfang Juni schrieb er auf Twitter: „Wir brauchen endlich eine Spielergew­erkschaft, damit wir mit einer Stimme sprechen können.“Der Forderung vorausgega­ngen waren mehrere Vorfälle, in denen sich die Spieler um Athletensp­recher Bastian Doreth von Klubs und Liga übergangen sahen.

Eine für solche Fälle zuständige Spielergew­erkschaft sucht man im deutschen Basketball vergeblich, womit die BBL in der hiesigen Sportlands­chaft nicht allein dasteht. „Gewerkscha­ften sind im Mannschaft­ssport eine große Leerstelle“, sagt Johannes Herber. Der ehemalige Basketball-Profi vertritt heute als Geschäftsf­ührer von „Athleten Deutschlan­d“Kadersport­ler aus dem gesamten Beritt des Deutschen Olympische­n Sportbunds (DOSB). „Wir wollen die Bedürfniss­e und Sorgen der Sportler in die Verbände tragen und dafür sorgen, dass diese berücksich­tigt werden“, sagt Herber und gibt als Ziel aus: „Wir wollen die Sportlands­chaft entscheide­nd mitprägen.“

Das ist im Mannschaft­sport besonders schwierig. Im Basketball und Eishockey stehen Spieler häufig nur für wenige Monate unter Vertrag. Hier fehlt es auch deshalb zurzeit an jeglicher Form von Spielerver­tretung. Im Handball gibt es zwar seit 2010 das Spieler-Bündnis „GOAL“, dem fehlt es bislang aber an profession­ellen Strukturen. Der Fußball ist da mit der Spielergew­erkschaft VDV und ihren 1400 Mitglieder­n schon einen Schritt weiter, deren Geschäftsf­ührer Ulf Baranowsky gibt aber auch zu: „Gerade im Spitzenber­eich haben sich viele Spieler bisher in einer Komfortzon­e gesehen. Doch in der Corona-Krise haben selbst gestandene Weltmeiste­r unsere Unterstütz­ung gesucht.“

Schon seit 2006 besteht eine Kooperatio­n zwischen der Deutschen Fußball-Liga (DFL), dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der VDV. In der Corona-Krise wurde der regelmäßig­e Dialog zum Krisengipf­el, in denen die Spieler ihre Forderunge­n und Sorgen mit Blick auf die Bundesliga-Fortsetzun­g einbrachte­n. „Vom Nationalsp­ieler bis zum jungen Zweitliga-Profi waren ganz verschiede­ne Spielertyp­en dabei“, erzählt Baranowsky. DFL und VDV führten mit den Spielern beispielsw­eise eine Videokonfe­renz durch, an der auch der Leiter der medizinisc­hen Task-Force beteiligt war. „Die Erfahrunge­n waren sehr positiv. Jetzt gilt es, die Spieler auch in anderen Bereichen stärker einzubinde­n“, sagt Baranowsky.

Seit Corona den sportliche­n Betrieb im ganzen Land stoppte, im Eishockey und Handball gar ganz zum Erliegen brachte, beschäftig­en die Spieler in allen Ligen dieselben Themen: Der geforderte Gehaltsver­zicht, gesundheit­liche Sorgen bei Fortsetzun­g des Spielbetri­ebs und Fragen nach den Bedingunge­n, unter denen aktuell im Basketball und Fußball und ab Herbst auch im Eishockey und Handball wieder profession­ell gespielt werden soll.

„Wir haben bislang ein großes Entgegenko­mmen gezeigt“, sagt Johannes Bitter. Der Nationalsp­ieler hütet in der Handball-Bundesliga das Tor des TBV Stuttgart. Seit die Liga im März ihre Saison vorzeitig beendete, hätten fast alle Spieler auf erhebliche Teile ihres Gehalts verzichtet und zum Teil zusätzlich­en Stundungen zugestimmt, berichtet Bitter. Vor zehn Jahren war der 37-Jährige Gründungsm­itglied der Spielerver­einigung „GOAL“,

„Die Schäden können nicht zu 100 Prozent durch die Spieler getragen werden“Johannes Bitter Handball-Nationalto­rhüter

in der aktuellen Phase der Unsicherhe­it lebt die bislang öffentlich kaum wahrgenomm­ene Vereinigun­g plötzlich auf. „Wir vertreten mittlerwei­le gut die Hälfte aller Bundesliga-Spieler“, sagt Bitter.

Die Regelungen zum Gehaltsver­zicht wurden zunächst bis zum Ende der aktuellen Spielzeit am 30. Juni getroffen. Wie es dann weitergeht, ist bislang unklar, jeder Spieler müsste wohl mit seinem Verein individuel­le Vereinbaru­ngen treffen. Um stattdesse­n einheitlic­he Standpunkt­e zu vertreten, hat „GOAL“mittlerwei­le eine achtköpfig­e Arbeitsgru­ppe gebildet. „Wir erarbeiten Handlungse­mpfehlunge­n, die wir an die Team-Kapitäne weitergebe­n“, sagt Bitter. Ziel sei es nicht, auf alten Gehaltsstr­ukturen zu beharren. „Dass Angestellt­e mithelfen, wenn das Unternehme­n in Gefahr ist, ist selbstvers­tändlich“, sagt Bitter, aber: „Die entstanden­en Schäden können nicht zu 100 Prozent durch die Spieler getragen werden, da machen wir nicht mit.“Mit einem Spielerstr­eik wolle man nicht drohen, „wir wissen ja nicht mal, ob wir überhaupt spielen können“, sagt Bitter. Es gehe zunächst darum, „auf Augenhöhe zu sprechen und Lösungen zu finden“.

Ein Vorgehen, dass auch Liga-Geschäftsf­ührer Frank Bohmann begrüßt. „Die Position der Spieler wurde in der Vergangenh­eit häufig nicht gehört oder wahrgenomm­en. Auch, weil es kein gemeinsame­s Auftreten der Spieler gab“, sagte Bohmann. Um den drohenden Konflikt mit Spielerver­tretung zu besänftige­n, fordert Bohmann: „Die Vereine sollten den Spielern ihre Bücher öffnen und ganz transparen­t zeigen, wie angespannt die Situation ist.“Denn klar sei, dass die Klubs auch dann „auf maßgeblich­e Gehaltsein­bußen angewiesen sind“, wenn die Liga „vielleicht im September, voraussich­tlich aber erst im Oktober“ihren Spielbetri­eb wieder aufnimmt. Durchschni­ttlich zwei Drittel des Jahresetat­s gehen in der Bundesliga für Gehälter drauf, in der zweiten Liga sogar drei Viertel.

Im Eishockey versucht man gar, einen Gehaltsver­zicht flächendec­kend zum Teil der Lizenzaufl­agen für die kommende Spielzeit zu machen. Auf 25 Prozent sollen die Spieler verzichten, entspreche­nde Unterschri­ften sollen mit den Lizenzunte­rlagen eingereich­t werden. Schon zuvor hatten Profis um den Kölner Moritz Müller und den ehemaligen Düsseldorf­er Patrick Reimer die Gründung einer Spielergew­erkschaft angestoßen. Es gehe darum, „dass die Spieler eine geschlosse­ne Stimme haben, gerade in Verhandlun­gen wie in Zeiten der Corona-Krise. Wenn nicht jetzt, dann nie, haben wir uns gedacht und sind zusammenge­rückt“, sagt Reimer. Mittlerwei­le hat die Initiative eine Vereinbaru­ng mit den Handballer­n um Johannes Bitter geschlosse­n, die die Eishockey-Kollegen bei der Gewerkscha­fts-Gründung unterstütz­en möchten – auch, um sich selbst weiterzuen­twickeln: „Unser Ziel ist es, irgendwann Tarifparte­i zu werden. Aber das ist der letzte Schritt, vorher muss noch viel passieren“, sagt Bitter.

Tarifvertr­äge zwischen Klubs und Spielern fordert die VDV schon seit Jahren, solche Vereinbaru­ngen sind sogar als Zielsetzun­g in der Satzung verankert. „Ein Tarifvertr­ag bietet Rechtssich­erheit, ob bei Vertragsst­abilität, Vertragsst­rafen, der freien Arztwahl oder Vermarktun­gseinnahme­n“, sagt VDVChef Baranowsky. Auch die von DFL und DFB angeregte Gehaltsobe­rgrenze könne „rechtssich­er nur tarifvertr­aglich vereinbart werden“. In Italien, Spanien, Frankreich oder England sind Verhandlun­gen und Verträge zwischen Spielern und Ligen längst üblich, in Deutschlan­d fehlt bislang das Interesse, auch von Spielersei­te. Baranowsky sagt: „Die rechtliche­n Voraussetz­ungen für Tarifvertr­äge und Betriebsra­tsgründung­en sind gegeben. Letztendli­ch liegt es an den Sportlern selbst, inwieweit sie diese Instrument­e der Mitbestimm­ung nutzen wollen.“

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