Risikogebiete abriegeln?
Im Kampf gegen die dynamisch wachsende Zahl von Covid-19-Erkrankten richtet sich der Blick nun auf massive Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Schon China griff zu drastischen Maßnahmen. Welche wirken?
Die Pandemie-Welle rollt – und mit ihr nun auch die Debatte, ob Deutschland sie durch massive Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den Griff bekommt. Unbeabsichtigt hat sie kein Geringerer als Lothar Wieler, der Chef des tonangebenden Robert-Koch-Instituts, befeuert. Eine „Abriegelung von Risikogebieten“, so Wieler im Sender Phoenix, habe er sich vor neun Monaten nicht vorstellen können. „Inzwischen kann ich mir vorstellen, dass solche Maßnahmen durchgeführt würden“, fügte er hinzu. Auch Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz drehte die offizielle Sprachregelung für die Kanzlerin in diese Richtung: „Die Beschränkung von Ein- und Ausreisen kann rein epidemologisch gesehen eine Möglichkeit sein, um eine Verbreitung des Virus zu verhindern“, sagte sie auf die Frage nach der Abriegelung von Risikogebieten.
Sie vermied es, eine Unterscheidung hinzuzufügen. Etwa zwischen dem „Ja“aus epidemologischer Sicht und dem „Nein“aus politischer. Im Gespräch mit unserer Redaktion erinnerte Kanzleramtschef Helge Braun: „Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten haben schon vor Monaten festgestellt, dass es als weitestgehende Maßnahme auch Beschränkungen der Mobilität in die besonders betroffenen Gebiete hinein und aus ihnen heraus geben kann.“Bei den Einschränkungen für Reisende aus den Risikogebieten kippen die Landesregierung und die Gerichte inzwischen ein Beherbergungsverbot nach dem anderen. Also konzentriert sich der Blick nun auf die Risikogebiete selbst.
So versucht es etwa Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD). Sie will zwar unter dem wachsenden Druck auf ihre Test- und Quarantäne-Auflagen für Urlauber auch noch einmal nach anderen Wegen suchen lassen. „Ich würde mir wünschen, dass wir das auf Hochrisikogebiete konzentrieren“, unterstrich sie. Doch mit Blick auf Urlauber an der Ostsee meinte sie: „Reisen aus Risikogebieten ohne eine zusätzliche Maßnahme, das kann nicht sein.“
Also auch die Abriegelungen von Risikogebieten? Das gab es in der ersten Welle im Juni schon mal in Verl, Göttingen und Neukölln. Doch es ging jedes Mal um einen baulich sehr eng eingrenzbaren Bereich und um eine dreistellige Zahl von Betroffenen. Wie soll eine Millionenstadt wie Berlin abgeriegelt werden? Wenn die Grenze von 50 Infizierten je 100.000 Einwohner in den zurückliegenden sieben Tagen zur Definition eines abzuriegelnden Gebietes genommen wird, dann mag das für einzelne Städte wie Kassel trotz aller praktischen Hindernisse noch im Ansatz darstellbar sein. Aber wo soll die Abriegelung verlaufen, wenn etwa im Ruhrgebiet Hamm, Unna, Dortmund, Bochum, Recklinghausen, Herne, Gelsenkirchen, Essen, Mülheim und Duisburg betroffen sind und sich das zusammenhängende Risikogebiet über Duisburg, Krefeld, Mettmann und Düsseldorf bis nach Köln erstreckt? Einmal halb NRW abriegeln? Zehn Millionen in die Häuser sperren?
So macht denn NRW-Innenminister Herbert Reul klar: „Risikogebiete ganz abzuriegeln, ist für mich nicht vorstellbar.“Das scheitere praktisch schon an der Größe der Gebiete und damit am Personalaufwand. „Sie können Städte in Nordrhein-Westfalen nicht einfach dichtmachen“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. Noch schwerer wögen die rechtlichen Aspekte: „Eine solch immense Einschränkung der Freizügigkeit ist für mich nicht verhältnismäßig und würde sicher von den Gerichten kassiert werden“, so Reul. Den Minister schüttelt schon die Vorstellung: „Statt immer neue Horrorszenarien auszumalen, sollten wir vernünftig und mit Bedacht die beschlossenen Maßnahmen umsetzen.“Es bleibe bei
„Es kann Beschränkungen der Mobilität als weitestgehende Maßnahme geben“Helge Braun Kanzleramtsminister