Häusliche Gewalt: Deutlich mehr Anzeigen
Allein bis November wurden 50 Prozent mehr Straftaten gemeldet als im gesamten Vorjahr.
KREIS VIERSEN Nach dem Corona-Lockdown ist die Zahl der Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt im Kreis Viersen rapide in die Höhe gegangen. Wurden im gesamten Vorjahr 294 Vorfälle bei der Polizei gemeldet, waren es in diesem Jahr allein bis November bereits 446. Das ist ein Zuwachs von mehr als 50 Prozent.
„Nach dem ersten Lockdown sind bei uns die Telefone heiß gelaufen“, berichtet Sylvia Knoben vom Frauenzentrum Viersen. Was während der Phase im Frühjahr genau passiert ist, sei bislang nicht verifiziert. „Wir konnten für uns nur feststellen, dass der Wunsch, sich von seinem Partner zu trennen, bei Frauen größer geworden ist.“Während des ersten Lockdowns selbst sei es recht ruhig geblieben. „Ich denke, es war für viele Frauen während des Lockdowns, wenn der Mann zu Hause war, schwieriger, uns zu kontaktieren“, sagt sie. „Frauen hatten weniger die Möglichkeit, unauffällig zu telefonieren.“Zumal auch die offenen Angebote des Frauenzentrums, bei denen Frauen einfach hereinkommen können, in dieser Zeit weggefallen sind. „Das alles erklärt die Vielzahl der Gespräche nach dem Lockdown“, so Knoben.
Die Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Viersen, Gabriele Cuylen, ergänzt: „Für viele Frauen sind während des Lockdowns die sozialen Kontakte weggefallen.“Personen, die ansonsten Gewalt, ob physisch oder psychisch, hätten bemerken können, habe es nicht gegeben. „Es war eine Zeit der Isolation“, so Cuylen. Sie geht von einer „enormen Dunkelziffer“aus.
Häusliche Gewalt zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und durch alle Altersklassen. „Die Palette zieht sich von jung bis alt“, berichtet Knoben. „Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen kommt quer durch alle Schichten vor, von der armen bis hin zur reichen Familie, von Menschen mit einfachen bis hin zum hohen Bildungsstand.“Cuylen nennt ein Beispiel: „Wir hatten vor Jahren eine Dame, die weit über 70 Jahre alt war. Sie hatte 35 Jahre lang Gewalt ausgehalten und sagte, nun sei damit für den Rest ihres Lebens Schluss.“Sie habe es geschafft und einen neuen Weg gefunden. Cuylen: „Es ist nie zu spät, etwas zu ändern. Es lohnt sich immer.“
Nicht immer sind die Opfer Frauen. In einer Pilotstudie des Bundesfamilienministeriums gaben fünf Prozent der befragten 200 Männer an, dass ihre Partnerin sie verletzt habe. Der gleiche Anteil von Männern
„Nach dem ersten Lockdown liefen bei uns die Telefone heiß“
Sylvia Knoben Frauenzentrum Viersen
hat laut der Studie bei einer oder mehreren dieser Situationen schon einmal Angst gehabt, ernsthaft oder lebensgefährlich verletzt zu werden.
Was sollten Menschen tun, die in ihrer Beziehung Gewalt erleben? „Es ist wichtig, sich einer vertrauenswürdigen Person anzuvertrauen und fachliche Hilfe zu suchen“, sagt Cuylen. Aus ihrer Arbeit beim Frauenzentrum weiß sie: „Oft dauert es mehrere Jahre, bis sich Frauen melden. Sie hoffen immer wieder, dass sich alles ändert. Was aber leider nicht der Fall ist.“Sie betont:
„Keine Frau sollte warten, bis es zu einer Eskalation kommt. Wir haben ein Netzwerk von Hilfe, auf das sie sich verlassen können.“Der Runde Tisch gegen häusliche Gewalt vom Kreis Viersen sei breit aufgestellt.
Seit 15 Jahren veranstaltet der Runde Tisch in Anlehnung an den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen immer Ende November einen Aktionstag, an dem Kerzen aufgestellt werden, um an die Opfer von Gewalt zu erinnern. Knoben ruft dazu auf, am 25. November zu Hause von 16 bis 18 Uhr eine Kerze ins Fenster zu stellen.