Martin Scorseses Liebesbrief an New York
Der Regisseur und die Autorin Fran Lebowitz feiern in der Netflix-Serie „Pretend It’s A City“eine Metropole, die es so nicht mehr gibt.
Fran Lebowitz ist Autorin, aber ihr Hauptwerk hat sie nicht auf Papier geschrieben, sondern in den Wind. Buchstäblich. Denn seit Jahren veröffentlicht die 70-Jährige so gut wie nichts mehr. Sie spricht nur noch, wird für Vorträge gebucht, für Bühnengespräche und Interviews. Immer geht es dann um New York, die Metropole, die Lebowitz kaum je verlässt. Und falls doch mal, dann ungerne. Und es geht um eine Sicht auf die Welt, die man mit Grummelei am besten bezeichnet. Lebowitz kann auf sehr amüsante Weise missmutig sein. Sie ist für die schlechte Laune, was Epiktet für das Glück war. Sie ist die Philosophin der Misanthropie.
Der Regisseur Martin Scorsese widmet Lebowitz nun ein Porträt. Zum zweiten Mal übrigens schon, denn bereits 2010 stellte er ihr Denken vor; „Public Speaking“heißt die Dokumentation. Scorsese und Lebowitz sind befreundet, der „New York Times“haben sie soeben erzählt, dass sie stets zusammen Silvester feiern: Sie schauen sich dann zwei Filme in Scorseses Vorführraum an, einen vor und einen nach Mitternacht. Wie gewogen die beiden einander sind, ist schön anzusehen. Scorsese legt es immer darauf an, dass Lebowitz möglichst viele vergiftete Bonmots abfeuert. Über teure Kunst sagt sie etwa: „Wir leben in einer Zeit, da die Leute dem Preis applaudieren, nicht dem Picasso.“Scorsese bedankt sich dafür mit lautem Lachen.
Die Serie „Pretend It’s a City“hat sieben Teile, und wer sich darauf einlässt, ohne Lebowitz zuvor begegnet zu sein, lernt darin eine faszinierende Person kennen, die so etwas wie das Maskottchen der Ostküsten-Intelligenzija ist. Sie arbeitete einst bei Andy Warhols Magazin „Interview“, schrieb für „Mademoiselle“und „Vanity Fair“, trat als Richterin in der Serie „Law & Order“auf und im Film „The Wolf of Wall Street“. Vor allem veröffentlichte sie zwei ziemlich tolle Sammlungen mit Essays, in denen sie die Miesepetrigkeit zu neuen intellektuellen Höhen führte. Deren Veröffentlichung liegt indes Jahrzehnte zurück. Seither plagt Lebowitz eine nahezu mythische Schreibhemmung, im Englischen bekannt als „Writer’s block“.
Sie steht damit in einer Reihe mit Kollegen wie dem „Fänger im Roggen“-Autor J. D. Salinger und dem Journalisten Joseph Mitchell, der bis heute für seine frühen Texte bewundert wird. In den 60er-Jahren verstummte er, zwischen 1964 und 1996 kam er zwar jeden Tag in sein Büro beim „New Yorker“, veröffentlichte aber keine Zeile mehr.
Diese Serie ist aber auch ein Reisebericht in ein wenn nicht untergegangenes, dann doch brachliegendes New York. Vielleicht ist „Pretend It’s A City“das sogar in erster Linie: ein Liebesbrief an die Stadt, in der alles möglich schien. Lebowitz und Scorsese schreiten durch die Straßen der prä-pandemischen Metropole. Sie stehen wie Godzilla in dem mächtigen New-York-Modell,