Der Albtraum, der nicht endet
„Pieces Of A Woman“ist das Porträt eines Paares, das sein Kind verliert.
Das Gitterbett steht bereit. Davor ein Schaukelstuhl. Darüber in einem Bilderrahmen die letzten Ultraschallaufnahmen. Das Nest ist gebaut. Martha (Vanessa Kirby) und Sean (Shia LaBeouf) erwarten ihr erstes Kind und sind gut vorbereitet. Die beiden haben sich für eine Hausgeburt entschieden. Als die Wehen einsetzen, wird Martha überrollt von den Schmerzen. Sean heitert sie mit schlechten Witzen und Liebesgeständnissen auf. Für einen kurzen Moment des Glücks halten die Eltern das Baby in den Armen, bis die Hebamme merkt, dass der Säugling um Atem ringt.
Fast eine halbe Stunde dauert diese dramatische Eingangssequenz in „Pieces of a Woman“, die der Geburt ohne Schnitt folgt. Die Szene braucht keine reißerischen Effekte, aber sie stellt eine unmittelbare Nähe zu Martha her, die der Film auch nach den traumatischen Erlebnissen nicht aufgibt.
Der Tod eines neugeborenen Kindes ist ein Verlust, der mit nichts zu vergleichen ist. Es gibt keine tröstenden Erinnerungen, an denen man sich festhalten könnte. Nur die schmerzende Leere eines ungelebten Lebens und eine elterliche Liebe, die grausam unerfüllt bleibt. „Pieces of a Woman“von Kornél Mundruczó und Kata Wéber zeigt, wie eine solche Erfahrung das Leben für immer verändert.
Auf vollkommen verschiedene Weise gehen Martha und Sean mit dieser Trauer um. Während er den Schmerz nach außen kehrt und nach sechs Jahren Trockenheit wieder mit dem Trinken anfängt, scheint sich Martha in ihre Gefühle einzumauern. Ihre übergriffige Mutter (Ellen Burstyn) drängt sie zu tun, was man in Amerika im Fall einer Katastrophe tut: einen Schuldigen finden und verklagen. Fünf Jahre Haft drohen der Hebamme. Aber damit will Martha nichts zu tun haben. Mit einer Mischung aus Verstörung und Sturheit sucht sie nach einem Umgang mit dem traumatischen Verlust.
„Pieces of a Woman“folgt diesen Suchbewegungen mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Der Blick ist nicht von Mitleid, sondern von einer tiefen Empathie gekennzeichnet, die nicht alles erklären muss, um es spürbar zu machen. Ohne jeglichen Anflug von Overacting spielt Kirby („The Crown“), die beim Festival in Venedig zu Recht als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, die Schmerzen ihrer Figur so überzeugend wie die seelischen Taubheitsgefühle. Ihre Performance ist ein Ereignis – auch, weil sie tiefen Respekt vor Menschen offenbart, die Ähnliches tatsächlich erleben müssen.
Info „Pieces of a Woman“läuft bei Netflix.