Die Architektur des deutschen Parteienstaats
Sieben Parteien kämpfen im Bundestag um Macht und Einfluss. Wie sie sich dabei präsentieren, ist auch bei einem Vergleich der Zentralen abzulesen.
Zeige mir wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist. Gilt das auch für die Parteien? Welchen Bau haben diejenigen für sich selbst gewählt, die den Bauplan für Deutschland liefern wollen? Und wie präsentieren sie sich dadurch? Ein Vergleich ihrer Zentralen zeigt Verblüffendes über diejenigen, die laut Verfassung an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und im September wieder um die Macht in Deutschland ringen.
Die FDP ist am nächsten dran. Ganze 1170 Meter Luftlinie trennen die Liberalen an der Reinhardtstraße 14 vom Kanzleramt. Der rote Backsteinbau aus dem frühen 20. Jahrhundert macht durch eine rund vier Meter hohe, straff gespannte Fahne auf sich aufmerksam. Neben einer Regenrinne ist darauf „Wir sind Freie Demokraten FDP“in Blau, Gelb und Magenta zu lesen. Das war es dann aber auch schon mit den repräsentativen Erkennungszeichen an der Straße zwischen Spree und Friedrichstadtpalast. Denn im Eingangsbereich ist das FDP-Schild nur noch eines von vielen. Die Partei der freien Marktwirtschaft hat die größten Teile ihres Immobilienbesitzes untervermietet. Verbände, Stiftungen, Medienproduktionen, Berater, Rechtsanwälte, ja sogar Bildungseinrichtungen haben hier ihre Büros. Die FDP selbst hat im Hans-Dietrich-GenscherHaus nur einen winzigen Teil für sich behalten – aber ein flexibles Raumnutzungskonzept. An Wahlabenden und am Rande von Parteitagen bringt sie Anhänger und Medienleute in riesiger Zahl im überdachten Atrium und im Garten dahinter unter, kann im eigenen Haus kräftig feiern. An allen anderen Tagen wird dieser Bereich als Cafeteria mit Speisenangebot genutzt. Das Präsidium hat einen kleinen Raum im Bürotrakt, der Vorstand einen großen Sitzungssaal im Erdgeschoss. Außerhalb dieser Ereignisse ist im Haus von der FDP und ihren Ideen nicht viel zu sehen – außer von ihrer Fähigkeit, mit Eigentum Geld zu verdienen.
Die Grünen sind im Vergleich zur FDP nur ganz knapp zweite Sieger bei der Nähe zum Kanzleramt: 1190 Meter sind es bei ihnen. Platz vor dem Neuen Tor 1 lautet ihre Adresse. Es ist sozusagen das nördliche Ende der einstigen Ministerien-Magistrale Wilhelmstraße. Der Komplex hinter der auffallend gelben Fassade mit den grünen Fensterrahmen war einstmals ein Mietshaus, dessen Wohnungen aus der Gründerzeit die Grünen zu Büroräumen gemacht haben. Ein riesiges Transparent mit einer Weltkugel verbreitet grammatikalisch grenzwertig die Botschaft „Es gibt keinen Planet B. Ändern wir die Politik. Nicht das Klima.“Derzeit ändern die Grünen vor allem sich selbst. Umfangreiche Umbauarbeiten sollen der Partei für den Wahlkampf noch mehr Schlagkraft verleihen. Als die Grünen aus Bonn hierher wechselten, organisierten sie 50.000 Mitglieder. Jetzt sind es mehr als doppelt so viele. Und die Ambitionen sind mindestens so stark gewachsen. Auch innenarchitektonisch werden die Führungsstrukturen aufgepeppt. Die Partei mit der traditionelle Doppelspitze hatte zwei Vorsitzenden-Organisationen, die neben- und gegeneinander arbeiteten. Annalena Baerbock und Robert Habeck werden nach dem Umbau eine gemeinsame Büro-Organisation haben. Mit Strom von der Sonne auf dem Dach und freiem W-Lan auf der Straße vor ihrem Haus.
Die CDU macht mit der Architektur ihres Konrad-Adenauer-Hauses Machtansprüche klar – verbunden mit dem Signal von
Transparenz. Unweit des Tiergartens und nahe am Landwehrkanal ist sie 1930 Meter vom Kanzleramt entfernt an der Klingelhöferstraße 8 mit einem Neubau präsent. Sie lässt ihn mit Glasfassade und begrüntem Wintergarten wie einen Ozeandampfer spitz zulaufen. Im Innern sind Präsidiumssaal, die Büros des Generalsekretärs und des Vorsitzenden ganz vorne untergebracht. Ein Atrium kann für Wahlsiege und Pressekonferenzen genutzt werden, auf das die Mitarbeiter der Parteizentrale aus allen Etagen hinunterblicken. Auch das erinnert an das Innenleben von Kreuzfahrtschiffen. Allerdings nimmt die CDU mit der Ausrichtung ihres Hauses nicht Kurs aufs Kanzleramt, sondern ist Richtung Kreuzberg und BER-Flughafen in Schönefeld aufgestellt. Über die Seitenfenster haben die Akteure die Regierungszentrale jedoch jederzeit im Blick. Das Transparenzkonzept ähnelt nicht zufällig der NRW-Landesvertretung ein paar Straßen weiter Richtung Potsdamer Platz: Beides wurde vom Architekturbüro Petzinka, Pink & Partner entworfen. Anders als bei den anderen Berliner Parteizentralen ist nur CDU drin, wo C, D und U draufstehen. Die Infrastruktur ist aufs Regieren ausgerichtet: Eine abgetrennte Fahrbahn lässt Limousinen vorfahren, ohne den Verkehr auf der Nord-Süd-Achse zu behindern – und verschluckt sie in der Tiefgarage neben dem Haupteingang.
Die AfD hat ihre Parteizentrale nur ein paar Steinwürfe weiter südlich als die CDU. Sie ist 2180 Meter vom Kanzleramt entfernt an der Schillstraße 9 untergekommen. Von der CDU aus nur über den Kanal zum Lützowplatz, und schon ist man bei der AfD und sieht von ihr – nichts. Ihre Publikationen tragen alle die Adresse Schillstraße 9, doch an der Schillstraße 9 wehen keine blauen Fahnen, gibt es keine Transparente, findet sich am Eingang kein Schild. Nur eine winzige Zeile „Alternative für Deutschland“weist sie neben der Klingel als einen der Mieter im sechsten Obergeschoss aus. Die AfD versteckt ihre Zentrale und will dabei so anonym wie möglich bleiben. Die Nachfrage nach einer Besichtigung wird mit Hinweis auf „Sicherheitsgründe“abgelehnt. Haben die anderen Parteien regelmäßig Medienvertreter und Bürgergruppen zu Gast, nutzt die AfD dafür lediglich ihre Möglichkeiten als Fraktion im Bundestag, nicht als Partei in ihrer eigenen Zentrale. Das 70er-Jahre-Bürogebäude war früher ein Gewerkschaftshaus, in dem die Volksfürsorge-Versicherung und die Postgewerkschaft Macht und Einfluss demonstrierten. Die Volksfürsorge wurde mitsamt ihres Hauses an einen italienischen Konzern verkauft. Inzwischen ist die Immobilie in der Hand einer amerikanischen Investmentfirma. Aus den Anfangsjahren der AfD ist die Information erhalten, dass die Partei nach ihrem Einzug den Boden in der Farbe ihrer blauen Parteifahne ausgelegt haben soll und dass die Vorsitzenden aus den Büros auf das Reichstagsgebäude blicken können.
Die SPD unterstreicht mit ihrem WillyBrandt-Haus in Kreuzberg noch stärker als die CDU, dass sie den Kurs bestimmen will und sich als Dickschiff in Deutschland fühlt. 2550 Meter vom Kanzleramt entfernt, befindet sich die SPD-Zentrale am südlichen Ende der Wilhelmstraße mit der Hausnummer 140. Die Wucht der Größe hat der renommierte Architekt Helge Bofinger mit hellen Steinen und vielen Glasflächen zurückgenommen. Gleichzeitig wird mit dem spitz zulaufenden Gebäude ein vorwärts drängender Supertanker animiert. Durch an der Spitze rechts und links herausragende Elemente in der Art einer Kommandobrücke