Die Macht von Lieferando
Der Anbieter hat im jahrelangen Wettkampf der Lieferdienste gesiegt und beherrscht heute unangefochten den deutschen Markt. Für Gastronomen ist die Plattform einerseits eine Chance – und andererseits eine große Gefahr.
DÜSSELDORF Das Telefon klingelt bei der kleinen Pizzeria inzwischen seltener. Am Interesse liegt das nicht, die Gastronomie im Großraum Düsseldorf ist bekannt und beliebt. Doch viele Kunden bestellen mittlerweile lieber über das Internet. Und mit Internet ist Lieferando gemeint.
Die Pizzeria arbeitet nach eigenen Angaben seit 15 Jahren mit Online-Plattformen zusammen. Doch seit zwei Jahren befindet sich der Inhaber in einer Zwickmühle, berichtet er unserer Redaktion. Der Gastronom möchte anonym bleiben, zu groß ist die Sorge vor Konsequenzen. Denn nach der Übernahme von Konkurrenten wie Pizza.de, Lieferheld und Foodora hat Lieferando in Deutschland praktisch eine Monopolstellung. „Für uns gibt es keine Alternative mehr. Und jetzt toben die sich richtig aus“, sagt der Inhaber.
Das Lieferdienst-Geschäft ist lukrativ – solange man es mit dem Motto aus dem Film „Highlander“hält: Es kann nur einen geben. Jahrelange Verluste werden durch die monopolartige Stellung der Plattform wettgemacht. Denn Kunden bestellen dort, wo das größte Angebot ist. In Deutschland ist das mit mehr als 26.000 angeschlossenen Restaurants Lieferando. Die Bestellungen wuchsen allein 2020 um 43 Prozent.
„Wir kämpfen mit uns selbst“, sagt der Inhaber der kleinen Pizzeria. Auf der einen Seite bringt die Kooperation mit Lieferando sehr viele Bestellungen ein. Auf der anderen Seite nutzen eben immer weniger Kunden das Telefon oder die Bestellung über die eigene Website. Bei beidem würde Lieferando nicht die üblichen 13 Prozent Provision kassieren.
Eigentlich ist die Pizzeria bei dem Onlinedienst beliebt, hat über 1000 Bewertungen. „Alles super, gerne wieder“oder ähnlich lauten die Kommentare. Der Betrieb ist inzwischen auf eine gewisse Bestellmenge ausgelegt. Eine Menge, die nur mit Lieferando zu erreichen ist, befürchtet der Inhaber. Die Plattform vermittelt Gastronomen nach eigenen Angaben im Schnitt jährlich Umsätze von mehr als 100.000 Euro – nach Abzug der Provision. Der Pizzabäcker befürchtet einen rapiden Rückgang von Aufträgen, wenn er die Kooperation abbricht. „Dann gerätst du schnell ins Abseits“, sagt er.
Lieferando hat sich zwischen den Kunden und das Restaurant geschoben. Der Bayerische Rundfunk (BR) berichtete zuletzt über „Schattenwebsites“für Restaurants, die von Lieferando eingerichtet werden. Statt der Internetseite des Restaurants bekommt man bei der Suche über Google zuerst die von Lieferando gebaute Seite des Restaurants angezeigt, wobei die Bestellung dann natürlich auch über Lieferando läuft. Mehrere Tausend solcher Seiten soll es in Deutschland laut BR geben. Das Unternehmen betont, dass solche Websites gerade kleineren Anbietern im Kampf gegen Restaurantketten helfen. Jeder Gastronom habe diese Option bei der Anmeldung abwählen können und könne sie auch nachträglich ausschalten.
Neu ist diese Praxis offenbar nicht: Lieferando-Gründer Christoph Gerber erzählte zuletzt, dass er sich die Methode schon 2011 ausgedacht habe, um in den Suchmaschinen gegen die damalige finanzkräftigere Konkurrenz von Pizza.de und Lieferheld besser sichtbar zu werden.
Das hat funktioniert – und zeigt, wie wichtig die digitale Sichtbarkeit für Restaurants inzwischen ist. Doch der Wettbewerb ist selbst auf der Plattform hart. Denn bei der Suche setzt Lieferando inzwischen ähnlich wie Google auf vermarktete Werbeplätze. Wer bei den Ergebnissen als Gastronom ganz vorne angezeigt werden will, muss bei erfolgreichen Bestellungen einen Aufschlag für diese Top-Platzierung bezahlen. Hinzu kommt dann noch die Provision – die sogar bei 30 Prozent liegt, wenn Lieferando das Essen mit eigenen Fahrern ausliefert.
Dieser Bereich wird vom Unternehmen immer weiter ausgebaut. Erst kürzlich startete Lieferando mit 30 eigenen Fahrern in Bochum, mehr als 10.000 gibt es deutschlandweit. Diese sind fest bei dem Unternehmen angestellt und versichert. Laut Lieferando verdienen sie im Schnitt zwölf Euro pro Stunde, mit Trinkgeld sei sogar noch mehr möglich. Die Gewerkschaft Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sieht Lieferando dennoch kritisch. „Das Unternehmen zählt zu den Gewinnern der Corona-Pandemie“, sagt NGG-Chef Guido Zeitler: „Aber die Fahrer arbeiten nach wie vor zu Niedriglöhnen, unter enormem Zeitdruck, Stress und an der Grenze ihrer Belastung.“
Nils L. ist einer von ihnen. Der junge Mann macht den Job seit mehr als zwei Jahren. Er macht ihm Spaß. Doch er hat auch Schattenseiten. Probleme gebe es etwa beim Material. Pedale an den Fahrrädern seien locker, Bremsen würden nicht gut funktionieren und so zur Gefahr werden. „Die Räder sind schlecht gewartet“, sagt der Fahrer. Er selbst greift daher auf ein privates Rad zurück. Laut Lieferando würden Fahrräder sofort aus dem Verkehr gezogen, wenn festgestellt wird, dass diese nicht verkehrstauglich seien.
Aus Sicht von Nils L. ist das Unternehmen mit dem rasanten Wachstum überfordert. Und so ist er froh, dass zumindest in Köln ein Betriebsrat sitzt. Genau darin sieht Nils L. eine Möglichkeit, die Position der Mitarbeiter zu verbessern.
Und auch für die Gastronomen gibt es Möglichkeiten, sich gegen die Übermacht von Lieferando zu wehren: Der Düsseldorfer Unternehmensberater Quang Tran hat schon mehrere Restaurants mit aufgebaut. Insbesondere für junge Unternehmen sei Lieferando relevant, weil die Plattform den Strom von Neukunden fördere. Doch er rät: „Den Spieß umdrehen.“Soll heißen: Neukunden durch Lieferando gewinnen und sie dann dazu bringen, über die eigene Website oder per Telefon zu bestellen. Denn fünf Prozent Rabatt sind günstiger als 13 Prozent Provision.