Ein kleines Stück Unsterblichkeit
Kiss war einst die bekannteste Band der USA. Sie beeinflusste die Musikwelt nicht nur durch ihre Lieder, sondern auch durch ihren Stil. Ihre Songs katapultieren zurück in die glitzernden Jahre des Glam-Rock.
Persönlichkeiten wie Donald Trump (Haare), Mr. T aus der Serie „Das A-Team“(Haare, Goldketten) und Olivia Jones (alles) machen es Karikaturisten nicht leicht. Sie sind schon so bunt, irrwitzig, so überlebensgroß, wie es eigentlich erst die gezeichnete Zuspitzung sein soll. Wer es aber schafft, den Spieß umzudrehen, hat sich damit oft schon einen Platz im kulturellen Gedächtnis gesichert. So auch Paul Frehley, Stanley Eisen,
George Criscuola und Chaim Witz, deren Geburtsnamen schon alle ein bisschen ausgedacht klingen – die heute auch niemand so nennt – und die man erst erkennt, wenn sie ihre Masken tragen.
Oder wenn man sie hört. „I Was Made For Lovin‘ You“, dieser knurrende Basslauf, das „Uuuh-uhhhuhhh“reichen schon, um den Hörer ins Jahr 1979 zu katapultieren. Man möchte sich bewegen, mindestens wippt der Fuß, und in irgendeinem zugenagelten Tanzlokal dreht sich eine kaputte Diskokugel ein winziges Stückchen weiter.
Doch das bekannteste Lied der Band markiert alles andere als den Höhepunkt von Kiss: Wie das Jahrzehnt schien auch die sechs Jahre zuvor gegründete Gruppe das Beste hinter sich zu haben. Nach sieben Alben entschied sie auf Anraten ihres Produzenten, ihren Drummer Pete Criss (George Criscuola) für die Aufnahme von „Dynasty“durch einen Sessionmusiker zu ersetzen. Die Platte brach die vier Alben währende Platinwelle und war die erste, auf der nicht mehr alle vier Mitglieder
zu hören waren. Der Erfolg der 70er-Jahre, in denen Kiss die bekannteste Band der USA waren und in Tokio mit fünf ausverkauften Shows sogar den Rekord der Beatles knackten, er war dahin.
Was folgte, war eine schwierige Zeit, die man bei Rockbands jener Jahre stets gut daran erkennt, dass die Besetzung wechselt, Drogen sich in Biografien schneiden und Traditionen aus Hoffnung auf kommerzielle Wiedergeburt aufgegeben werden. Auf „Dynasty“folgte 1980 „Unmasked“, die Abkehr vom rockig-rauen Stil der vorherigen Alben. Manager Bill Aucoin redete den Musikern gerade noch aus, dem Titel zu folgen und wirklich ihr Makeup
abzulegen, doch half das den nachfolgenden Veröffentlichungen im Verkauf wenig.
Was wären Kiss auch ohne schwarz-weiße Gesichter, knallroten Lippenstift, ohne silberfarbene Plateaustiefel, ohne die Kunstblut schlabbernde Riesenzunge von Gene Simmons? Als im Jahr 1977 „Krieg der Sterne“in die Kinos kam, begleitete Regisseur George Lucas das mit einer nie dagewesenen Offensive auf dem Spielzeugmarkt: Plastikfiguren, Brotdosen und Bettwäsche im „Star Wars“-Look fluteten die Läden. Kiss, die Evangelisten des Klimbim, machten es ähnlich, und veröffentlichten eine Unmenge an Merchandise. Allerdings in Deutschland
oft in einer Abwandlung: Die – wie im US-Rock damals üblich – als gezielte Provokation an SS-Runen erinnernden Endbuchstaben des Bandlogos wurden hierzulande entschärft und durch eine weniger anstößige Schrifttype ersetzt.
Die Krönung dieser gefeierten Geschmacklosigkeiten ist für manche Fans – von denen einige noch der „Kiss Army“, dem offiziellen Fanclub angehören, der die Gruppe früher mit Eifer bei Tourneen begleitete – der Fernsehfilm „Kiss – von Phantomen gejagt“aus dem Jahr 1978. Man sieht die Bandmitglieder in einem „gruseligen“Vergnügungspark abwegige Dialoge aufsagen und mit Laserstrahlen und Rockmusik gegen Albino-Affen und einen verrückten Wissenschaftler kämpfen. Das Schönste: die ganz offensichtliche Harmlosigkeit dieser Musiker, wie sie in ihren sperrigen Kostümen durch die Kulisse staksen.
Ganz logisch, dass auch die Liste der Comic-Adaptionen der Fantasiefiguren „Starchild“(Paul Stanley), „Demon“(Simmons), „Spaceman“(Frehley) und „Catman“(Criss) endlos ist. Denn wer weiß schon genau, was Kiss eigentlich so machen, wenn sie gerade nicht mit funkensprühenden Gitarren und Hebebühnen Konzerte geben oder sich mit Affenwesen anlegen? Hier erfährt man’s.
Die Masken, die übertriebene Bühnenshow, die austauschbaren
Texte und eingängigen Melodien machten schließlich doch die Wiederauferstehung möglich: Nach einigen Jahren mit Eric Carr am Schlagzeug – der am selben Tag wie Queen-Sänger Freddie Mercury an Krebs starb – und Vinnie Vincent an der Gitarre fand sich die Originalbesetzung 1996 vorübergehend wieder zusammen. 2012 produzierte die Band ihr 20. Album, trat längst erneut in vollen Hallen auf, ließ auf den großen Open-Air-Festivals alles an Bühnenkitsch auffahren, was ging – und feilt bis heute weiter an ihrer Unsterblichkeit. Irgendwer muss schließlich die frohe Botschaft verbreiten: „God Gave Rock ’n’ Roll To You“.