Wie die CDU ihren Anfang nahm
1946 genehmigte die britische Militärregierung nach gründlicher Überprüfung die Gründung der CDU für den Landkreis Kempen-Krefeld. Die historische Zusammenkunft zur Gründung fand in Kempen statt.
KEMPEN Deutschland 1945: Ein Land, das am Boden liegt. Die Menschen leiden Mangel an allem, sie hungern und frieren. Indes: Nicht nur Materielles ist vernichtet. Opfersinn und Pflichterfüllung, Liebe zum Vaterland – im „Dritten Reich“sind alle moralischen Werte Falschmünzern in die Hände gefallen. Ein Neubeginn tut Not; auf der Grundlage von Werten, die die Nazis nicht vereinnahmen konnten. Da verabschieden am 1. Juli 1945 im Bomben zertrümmerten Köln ehemalige Zentrumsmitglieder und Christliche Gewerkschafter das Programm einer neuen, Christlich Demokratischen Partei. Abgekürzt: CDP. Sie soll Demokratie auf christlicher Grundlage betreiben. Eine Volkspartei als „Union“aus beiden christlichen Konfessionen.
Die CDP spricht sich für die Verstaatlichung des Großkapitals aus, aus Misstrauen gegen die Großindustrie, die seinerzeit das Hitler-Regime willfährig unterstützt hat. Andererseits fordert sie, dass Privatinitiative und Eigenverantwortlichkeit wieder zu ihrem Recht kommen. Mittel- und Kleinbetriebe sollen gefördert werden. Ein maßvolles, mittelständisch orientiertes Programm zum Wohle des „Kleinen Mannes“.
Im August 1945 gelangen diese „Kölner Leitsätze“bruchstückhaft und auf Umwegen in die damalige Kreisstadt Kempen. Hier fallen sie dem Glasermeister Peter Trienes in die Hände, einem Mann mit hohen Idealen, einem erfahrenen christlichen Kommunalpolitiker. Anfang 1933 war Trienes das jüngste Mitglied der Zentrums-Fraktion im Kempener Stadtrat. Im Gegensatz zur Mehrheit seiner Mitbürger im „Dritten Reich“hat er aktiven Widerstand geleistet und nachts Flugschriften gegen die Euthanasie in die Briefkästen gesteckt. Erwischt hat man ihn nicht. 1944 wegen seiner christlichen Gesinnung verhaftet, kehrte er erst nach geraumer Zeit durch das Wohlwollen eines Justizbeamten aus dem Anrather Gefängnis nach Kempen zurück. Zu Fuß natürlich, und sein Wandergefährte war Josef Steeger aus St. Hubert, ein weiterer CDU-Gründer.
Die Idee einer christlichen Volkspartei,
die vor allem die Würde der Einzelpersönlichkeit sieht, eingebunden in die Verantwortung gegenüber Familie und Staat, lässt Trienes nicht los. Emsig knüpft er Kontakte zur CDP-Gründung vor Ort. Aber die Engländer lassen die Errichtung von Parteien vorerst nur auf Kreisebene zu. Da stößt ein erfahrener Organisator zu ihm: Karl Dörpinghaus. In Mönchengladbach ausgebombt, ist er nach Kempen an den Peschweg ausgewichen. Dörpinghaus hat vor 1933 führende Positionen in der Gewerkschaft christlicher Textilarbeiter in Düsseldorf, Krefeld und Mönchengladbach bekleidet. Er weiß, worauf es ankommt bei Verbandsgründungen. Deshalb drängt er darauf, zunächst die Basis an Mitarbeitern und Organisation
zu verbreitern, um eine wirkliche Kreispartei gründen zu können. Mit ihm tritt neben Trienes der zweite wichtige Gründervater auf den Plan. Aus Waldniel kommt ein früherer Zentrums-Beigeordneter, der Leinenhändler Josef Windhausen, hinzu, aus Grefrath der Zigarrendreher Heinrich Strucken. Von 1956 bis 1964 wird er Bürgermeister seiner Heimatgemeinde sein.
Von Kempen aus will Trienes mit seinen Freunden in allen Orten des Kreises CDP-Gruppen auf den Weg bringen, um einen Kreisausschuss zu bilden. Der Plan geht auf: Am Samstag, 1. Dezember 1945, findet in der Kempener Knabenvolksschule die historische Zusammenkunft zur Gründung der Kreispartei statt. Obwohl es kaum öffentliche
Verkehrsmittel gibt, ist die Aula am Abend dicht gefüllt. 50 Frauen und Männer aus zwölf Gemeinden des Kreises sind hier zusammengekommen, von Kaldenkirchen bis St. Tönis, vom Bauunternehmer bis zum Straßenwärter. Nur einer fehlt: der Referent der Veranstaltung, Dr. Karl Zimmermann, in Köln seit dem 2. September 1945 Generalsekretär der Rheinischen CDP. Der Gast aus der Domstadt kann im stockfinsteren Kempen die Knabenschule nicht finden. An den Elektroleitungen sind die Bombenschäden noch nicht beseitigt, die Straßen sind menschenleer.
Da springt in der Aula der versammlungserprobte Karl Dörpinghaus in die Bresche. Aus dem Stegreif formuliert der erfahrene
Gewerkschafter eine Rede, die aus vollem Herzen kommt. Dörpinghaus bringt das auf den Punkt, was die meisten Anwesenden bisher nur unklar empfinden – und er trägt dazu bei, dass die Versammlung einstimmig die Gründung der CDP für den Kreis Kempen-Krefeld beschließt. 14 Tage später wird die Partei in Bad Godesberg in „Christlich Demokratische Union“umbenannt. Am 4. März 1946 genehmigt dann die britische Militärregierung nach gründlicher Überprüfung die Gründung der CDU für den Landkreis Kempen-Krefeld. Zu diesem Zeitpunkt zählt sie rund 180 Mitglieder, ein knappes Jahr später an die 1400. Heute gehören der Kreis Viersener CDU rund 2800 Bürgerinnen und Bürger an.