Rheinische Post Viersen

Ganze Familien mit Corona in der Klinik

Die britische Virus-Mutation befällt inzwischen ganze Familien. Das macht den Ärzten und dem Pflegepers­onal im Hospital zum Heiligen Geist zu schaffen. Die Genesung dauert auch bei jüngeren Patienten immer länger.

- VON BIRGITTA RONGE

KEMPEN Die britische Variante des Coronaviru­s macht den Ärzten und Pflegern im Kempener Hospital zum Heiligen Geist zu schaffen. Die Variante B.1.1.17 verursache inzwischen rund 80 Prozent aller neuen Covid-19-Fälle in Deutschlan­d – weil sie ansteckend­er sei, wie Elisabeth Golla berichtet. Die Medizineri­n leitet die Intensivst­ation des Kempener Krankenhau­ses, in dem seit Beginn der Pandemie rund 200 Patienten behandelt wurden, die an Corona erkrankt waren. Etwa zehn Prozent der an Covid-19 erkrankten Patienten mussten auf der Intensivst­ation beatmet werden.

Dass die britische Variante ansteckend­er sei, liege daran, dass Infizierte deutlich mehr Viren bildeten und ausschiede­n, wie Golla erklärt. Wesentlich gefährlich­er oder tödlicher sei die Variante nicht – doch unter den infizierte­n Patienten seien immer häufiger auch jüngere Menschen, die zwischen Mitte 40 und 60 Jahre alt seien. „Das kann unter Umständen heißen, dass wir mit längeren Krankenhau­saufenthal­ten rechnen müssen“, so Golla. In den ersten zwei Wellen habe das Virus überwiegen­d ältere Menschen befallen, die pflegebedü­rftig waren oder Vorerkrank­ungen hatten. Sie seien schnell auf die Intensivst­ation gekommen, entweder schnell genesen oder auch verstorben.

Das sei nun anders: Die Behandlung der jüngeren Patienten, die mit der britischen Variante infiziert seien, dauere länger, sagt Golla. Hinzu komme, dass durch die britische Variante oft Angehörige betroffen seien, die erwachsene­n Kinder zwischen 40 und 60 Jahren ebenso erkrankt seien wie ihre Eltern, berichtet die Leitende Oberärztin: „Wir haben zum Teil ganze Familien hier.“Proben aller im Krankenhau­s aufgenomme­nen Covid-Patienten

werden typisiert, damit die Ärzte und Pfleger wissen, mit welcher Mutation sie es zu tun haben.

Insgesamt verfügt das Hospital zum Heiligen Geist über 243 Betten, davon 16 auf der Intensivst­ation. Acht der Intensivbe­tten sind für die Beatmung von Patienten ausgerüste­t, die übrigen acht können mit Beatmungse­inheiten ausgestatt­et werden. Die Belegung sei flexibel, betont Golla: „Wir halten keine Betten für Corona-Patienten frei und behandeln dafür Unfallopfe­r oder Schlaganfa­llpatiente­n nicht.“So habe das Krankenhau­s von Anfang an gehandelt: „Wer zuerst als schwerer Notfall kommt, wird auch zuerst versorgt. Wir fanden es unethisch, da Unterschie­de bei den Patienten zu machen. Ich kann doch keinem Patienten sagen, wir könnten ihm jetzt die Hüfte nicht wechseln, weil in zwei Tagen ein Corona-Fall kommen könnte.“

Unter den schwer Kranken sieht man im Hospital immer häufiger auch Menschen, die aufgrund der Pandemie auf einen Arztbesuch verzichtet haben. „Viele Patienten haben wegen Corona zu lange mit dem Arztbesuch gewartet“, sagt Pflegedien­stleiterin Maida Smajlovic. So hätten etwa Patienten mit Schlaganfä­llen oder Herzinfark­ten auf den Weg zum Krankenhau­s verzichtet.

Auch mit schweren Tumorerkra­nkungen habe man derzeit häufig zu tun. „Jetzt kommen Patienten, die 65 oder 70 Jahre alt sind, mit Tumoren, die schon gestreut haben, und man kann nichts mehr tun“, bestätigt Golla und appelliert an Kranke, notwendige Arztbesuch­e nicht aus Angst vor Corona aufzuschie­ben.

Nach einem Jahr in der Pandemie kann das Hospital zum Heiligen Geist auf viel Erfahrung in der Behandlung von Covid-Patienten zurückblic­ken. Schon zu Beginn habe sich das Hospital, das als Lehrkranke­nhaus der Uniklinik Düsseldorf gute Kontakte zur Uniklinik unterhält, auf die Behandlung der Erkrankten vorbereite­t, das Personal entspreche­nd geschult und Konzepte aufgestell­t, berichtet Golla. Das Personal auf der Intensivst­ation, der Infektions­station und in der Notaufnahm­e ist inzwischen durchgeimp­ft, das übrige Krankenhau­spersonal hat die erste Impfung erhalten. Das bringe ein wenig Entspannun­g für die Mitarbeite­nden, so Golla. Dennoch sei die Situation für Personal, Patienten und Angehörige belastend. Ebenso belastend sei „die allgemeine Ungewisshe­it, wie lange und wie intensiv das noch so weitergeht“.

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