Der Volksparteienschreck
Die Grünen liegen in den jüngsten Umfragen vor der Union. Für den SPDKandidat Olaf Scholz wird das Rennen damit immer schwieriger. Er will am Sonntag den Wahlkampf einläuten – und steht intern unter Druck.
BERLIN Kurz vor dem SPD-Parteitag auch das noch: Die Grünen marschieren in den jüngsten Umfragen der Meinungsforschungsinstitute an der Union vorbei. Die lange Zweitplatzierten rücken an die Spitze, die Aufholjagd der SPD hat jetzt das Ziel Union. Zweiter Platz ist Pflicht, um noch irgendeine Chance auf das Kanzleramt zu haben. Eigentlich will Olaf Scholz an diesem Sonntag den Wahlkampf der SPD einleiten, als Kanzlerkandidat mal richtig auf den Putz hauen, in seiner Rede die wichtigsten Standpunkte seiner Partei für die Bundestagswahl markieren. Immerhin ist er ja Vizekanzler, Finanzminister, war schon Hamburgs Erster Bürgermeister, Arbeitsminister, SPD-Generalsekretär und, und, und.
Doch bislang läuft es für Scholz und die SPD alles andere als rund. Die persönlichen Beliebtheitswerte des mittlerweile in Potsdam lebenden Norddeutschen sind zwar nicht berauschend, können sich aber sehen lassen. Im jüngsten „Politbarometer“der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen bringt Scholz für 42 Prozent der Befragten die Voraussetzungen mit, Deutschland zu regieren. Das waren im April noch 37 Prozent. Die Werte seiner Partei, der SPD, aber bleiben bei miserablen 14 Prozent. Und so muss Scholz auf seine eigene Zugkraft hoffen, um auch die Partei aus dem Umfragekeller zu hieven.
Zugleich konnte sich aber auch Unionskandidat Armin Laschet leicht steigern. Er steht jetzt bei 37 Prozent Zutrauen unter den Befragten, im April waren es 29 Prozent. Sowohl für Scholz als auch für Laschet wird Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock aber zu einem echten Problem. Ihr trauen das Kanzleramt nach einer beachtlichen Aufholjagd mittlerweile 43 Prozent der Befragten zu. Im April waren es noch 24 Prozent. Sie macht damit den größten Sprung, auch kommt ihr die Wechselstimmung nach 16 Jahren Unionsregierung entgegen. Ihrer Popularität sind auch viele Parteieintritte bei den Grünen zu verdanken. Dagegen spielt die Unerfahrenheit der Kandidatin in wichtigen Staatsämtern kaum eine Rolle.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der üblicherweise eine diplomatische Sprache an den Tag legt, schaltet genau an diesem Punkt nun auf Attacke. „Olaf Scholz bringt alles mit, was der Konkurrenz fehlt. Das Bundeskanzleramt ist kein Übungsraum. Es braucht Führungsstärke und die Fähigkeit, im Rahmen der Richtlinienkompetenz alle Ministerinnen und Minister von vorne zu leiten“, so der SPD-Fraktionsvositzende. Immer wieder hatte Baerbock von einem Führungsstil geprägt von Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit gesprochen, sie bringt keinerlei Regierungserfahrung mit. „Olaf Scholz kann auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen und ist geübt in nationalen wie internationalen Verhandlungen“, sagt Mützenich.
Deutschland brauche angesichts vieler Krisen und Umbrüche in der Welt einen Regierungschef, der mit Selbstbewusstsein und Souveränität den Entscheidern in den großen Hauptstädten gegenübertrete. Bei Baerbock sehe er das nicht: „Die Vorstöße von Annalena Baerbock zur Außenpolitik und zum Umgang mit China in einem Interview vor wenigen Tagen haben mich erschreckt“, sagt Mützenich. Baerbock hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“von einer Eindämmung Chinas mit „Dialog und Härte“gesprochen. „Wer ihre Aussagen konsequent weiterdenkt, landet bei einer unmittelbaren Konfrontation mit China, bis hin zu militärischem Abenteuertum“, so Mützenich. „Wer wirklich ins Kanzleramt ziehen will, sollte sich die eigenen Worte vorher sehr gut überlegen.“In der SPD sind die Nerven spürbar gespannt. Laschet, dessen Union im Streit mit CSU-Chef Markus Söder um die K-Frage am Rand des Bruchs stand, erscheint da als dankbares Ziel. „Armin Laschet muss dagegen nicht nur seine Skeptiker in den eigenen Reihen erst noch überzeugen, sondern glaubt offenbar selber nicht so richtig an seinen Erfolg“, ätzt Mützenich. Anders als Olaf Scholz: Er werde am Sonntag mit seiner Rede den Auftakt des Wahlkampfs einläuten.
Und das ist auch dringend nötig, denn mittlerweile macht sich immer mehr Kritik am ruhigen, allzu ruhigen Stil des Olaf Scholz breit. Während alle über Baerbock und Laschet reden, vermissen Parteifreunde wie der rheinland-pfälzische SPD-Landeschef
Roger Lewentz die Abteilung Attacke bei Scholz. „Ich habe den Eindruck, dass man im Moment noch nicht auf die volle Offensivkraft setzt“, sagte er. Und Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein ruft Scholz dazu auf, ein Schattenkabinett aufzustellen. Im Willy-BrandtHaus will man davon nichts wissen und sich auf den vollständig digitalen Parteitag konzentrieren. Die
Umfragen für die SPD sind erdrückend, Hoffnung und Zuversicht wollen die Sozialdemokraten trotzdem verbreiten. Denn: Im direkten Duell zwischen Laschet und Scholz würde der SPD-Kandidat gewinnen (43 gegen 46 Prozent). Und auch im Zweikampf mit Baerbock (43 Prozent) schneidet Scholz (45 Prozent) besser ab. Doch die Zahlen zeigen: Es wird sehr eng.