Hausärzte werben für Astrazeneca
Die Mediziner stehen hinter dem Impfstoff und begrüßen dessen Freigabe. Sie kritisieren aber, dass die Politik zu wankelmütig agiert.
NEUSS/MONHEIM Für Wolfgang von Schreitter gibt es keinen Zweifel an der guten Wirksamkeit von Astrazeneca. Der Hausarzt aus Neuss steht voll hinter dem Impfstoff, wie er sagt, genauso wie hinter der Entscheidung, das Vakzin für alle Altersgruppen freizugeben. Trotzdem hadert er mit der Wankelmütigkeit der Politik, die mit ihrer immer wieder unterschiedlichen Einstufung von Astrazeneca der gesamten Impfkampagne geschadet habe. „Durch das Hin und Her ist der Impfstoff eigentlich verbrannt“, sagt der 66-Jährige. „Und wir Hausärzte müssen das nun ausbaden.“
Tatsächlich wird ein Großteil der Astrazeneca-Bestände in die Praxen der niedergelassenen Ärzte geliefert. Zurzeit seien keine neuen Erstimpfungen mit Astrazeneca in den Impfzentren Nordrhein vom NRW-Gesundheitsministerium geplant, heißt es auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat für nächste Woche eine Million Dosen des Vakzins für die Arztpraxen im Land angekündigt. Schon jetzt sei für ihn kaum noch der Impfstoff von Biontech/Pfizer zu bekommen, sagt von Schreitter. Vor zwei Wochen wurde eine Lieferung kurzfristig gekürzt, sodass er von 170 zugesagten Terminen rund 70 wieder absagen musste. Erstimpfungen mit Biontech dürfe sie momentan gar nicht vornehmen, erzählt Annette Geerling aus Monheim. Die paar Dosen, die ihr zugeteilt sind, muss die Medizinerin für Zweitimpfungen verwenden.
Fast ausschließlich Astrazeneca im Praxisbetrieb bedeutet für die Hausärzte vor allem viel Aufklärungsarbeit.
Sowohl von Schreitter als auch Geerling sowie andere Mediziner berichten einhellig davon, dass sie enormen Vorbehalten gegenüber dem Impfstoff begegnen. Termine werden nicht wahrgenommen oder kurzfristig verschoben. „Auch mit viel Überzeugungsarbeit sind manche Patienten
selten umzustimmen“, sagt Geerling. „Oder sie akzeptieren es zunächst und sagen ihren Impftermin dann kurzfristig ab.“Immerhin, sagt von Schreitter, habe er bisher noch jede Impfdosis an die Frau oder den Mann gebracht. Was nicht immer selbstverständlich ist: Ein Arzt aus Ostwestfalen hat in dieser Woche über Ebay Kleinanzeigen Impftermine mit Astrazeneca „verschenkt“, weil die Vakzine ansonsten verfallen würden.
Aber auch von Schreitter erzählt, dass er seine ganze Überredungskunst aufbringen müsse, bis Patienten in eine Impfung mit Astrazeneca einwilligten. Dennoch hat er eine lange Liste von denjenigen, auch Jüngeren, die zugesagt haben, seit Spahn am Donnerstag die Vorrangliste für den Impfstoff aufgehoben hat. Künftig können sich alle Altersgruppen mit Astrazeneca impfen lassen, Voraussetzung ist bei den Unter-60-Jährigen eine Aufklärung durch den Arzt. Aus Sicht der zwei Ärzte aus Monheim und Neuss ist dies selbstverständlich; sie kritisieren aber, dass durch diesen Schritt zeitaufwendige Aufklärungsarbeit von den Impfzentren in die Praxen verlagert werde. Von Schreitter etwa hat zumindest den bürokratischen Papierkram vereinfacht, indem er die Patienten weniger Dokumente unterschreiben lässt.
Denn gerade das Drumherum verursacht den Praxen enorme Mehrarbeit. Sowohl Geerling als auch von Schreitter haben Personal abgestellt, um die Anrufe mit Terminwünschen zu bewältigen, beide Ärzte werden mit E-Mails überschwemmt. Selbst nachts um 24 Uhr beantworte sie noch Nachrichten, erzählt Geerling. Durch die Aufhebung der Priorisierung habe es noch einen Schub gegeben. Denn die Terminvergabe läuft nicht über eine Hotline, sondern direkt über die Praxen, bestätigt die KVNO. Wer sich mit Astrazeneca impfen lassen wolle, solle mit den Ärzten einen Termin vereinbaren.
Dennoch, sagt Geerling, müssten die Menschen durch die Politik mehr motiviert werden, sich auch mit diesem Vakzin impfen zu lassen. Die Politik müsse den Ruf des Mittels wiederherstellen und seine Wirksamkeit betonen. Stattdessen gebe es widersprüchliche Informationen, aktuell etwa den Hinweis, den Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung von zwölf Wochen auf
bis zu vier Wochen zu verringern. Das halte er medizinisch nicht für plausibel, sagt von Schreitter, und es vergrößere nur die Unsicherheit bei den Patienten. Spahn hatte den Schritt mit der Begründung verteidigt, dass sich viele Menschen augenscheinlich derzeit nicht mit Astrazeneca impfen lassen wollten, weil sie dann erst im August den vollen Impfschutz bekommen.
Beide Ärzte betonen jedoch, dass sie alles tun, um so schnell so viele Menschen wie möglich zu impfen. Dafür werden in beiden Teams Überstunden gemacht, an freien Nachmittagen und an den Wochenenden. „Wir wollen alles tun, um da rauszukommen“, sagt von Schreitter, „und wir müssen ja nur noch ein paar Wochen durchhalten.“Laut Bundesgesundheitsministerium sind bei den über 60-Jährigen je nach Bundesland rund 70 Prozent der Bevölkerung geimpft. Hausärztin Annette Geerling arbeitet hart dafür, diese Zahl zu erhöhen. „Aber es muss den Menschen auch klar sein, dass nicht alle auf einmal geimpft werden können.“