„Es gibt teilweise drastische Preiserhöhungen“
Kreishandwerksmeister Frank Mund über den Baustoffmangel, das Handwerk in der Pandemie und die Ausbildungsplatz-Suche bei Schülern.
Herr Mund, wann haben Sie zuletzt einen Handwerker gerufen und wofür?
MUND Wir haben aus energetischen Gründen eine neue Haustür bestellt, das ist einige Wochen her. Jetzt fehlt ein Beschlag, um die Haustür fertig zu machen.
Hat Sie der Baustoffmangel schon erreicht?
MUND Ja. Dieser Beschlag ist ein Importprodukt und im Moment nicht lieferbar. Der Handwerker, ein Tischler aus Mönchengladbach, gibt absolut sein Bestes. Aber es hängt eben an dem einen Ersatzteil, dass die Tür nicht ausgeliefert wird.
So wird es im Moment vielen Kunden gehen, oder?
MUND Wir haben zwei Herausforderungen im Moment: Die eine ist die Materialknappheit. Viele Produkte sind mit viel längeren Lieferzeiten versehen als noch vor einigen Wochen und Monaten. Und zum zweiten gibt es teilweise drastische Preiserhöhungen, die natürlich durchschlagen bis zum Verbraucher.
Nennen Sie ein paar Beispiele.
MUND Es gibt einen sehr starken Halbleitermangel, der sich bei den Elektronikern auswirkt. Bauholz ist deutlich teurer geworden, bei Dachlatten haben wir Preissteigerungen von fast 400 Prozent. Bei Baustahl, bei Kunststoffen, Dämmmaterial haben wir ebenfalls eine Knappheit, also Lieferprobleme, und damit deutliche Preissteigerungen. Baustahl ist um 60 Prozent teurer geworden, Kunststoffe, also beispielsweise Abwasserrohre, um rund 80 Prozent. Im Moment beträgt die Lieferzeit ein bis zwei Monate statt wie früher ein bis zwei Wochen.
Welche Konsequenzen hat dies für Kunden abgesehen von längeren Wartezeiten und höheren Preisen? MUND Unsere Handwerker sind Mittelständler, mit denen kann man reden. Sie erklären auch, woran das liegt. Die Kunden sind natürlich unzufrieden, wenn es nicht weitergeht. Das bedeutet dann auf der ein oder anderen Baustelle, dass sich alles nach hinten verschiebt. Wenn man an der Bodenplatte nicht anfangen kann, weil die Styropordämmung unterhalb nicht eingebracht werden kann, dann dauern diese Bauvorhaben zwangsläufig länger. Die Handwerker bauen zunehmend da, wo sie können, ein eigenes Baustofflager auf. Wurde in der Vergangenheit „just in time“eingekauft, bringt das eigene Lager zusätzliche Lagerhaltungskosten mit sich.
Gibt es Betriebe in der Stadt, in denen die Arbeit wegen des Materialmangels ruht?
MUND Im Moment haben die Unternehmen im Baugewerk und im Baunebengewerk extrem volle Auftragsbücher: Installateure, also Anlagenmechaniker, Elektriker, Bauunternehmer, Dachdecker – sie haben sehr viel zu tun. Aber da gibt es immer Alternativarbeiten, dass man etwas anderes vorziehen kann. Kurzarbeit gibt es da nicht.
Welche Gewerke sind gar nicht betroffen in Mönchengladbach?
MUND Wir hatten coronabedingt vor allem Friseure und körpernahe Dienstleistungen, bei denen es jetzt wieder richtig anläuft. Die Kfz-Branche läuft auch wieder an, auch wenn sie kaum Ware bekommt wegen des Halbleiter-Mangels. Man kann über alle Gewerke hinweg sagen: Der Juni ist mit Ende des Lockdowns sehr gut gelaufen. Man merkt gerade richtig, dass die Leute wieder etwas machen wollen, dass sie raus wollen, dass sie angespart haben und investieren wollen.
Sollte man als Kunde denn jetzt besser warten, bis die Preise wieder fallen?
MUND Die Lage wird sich wieder normalisieren, aber das wird dauern. Die Situation wird dann erst zukünftig krisenfest sein, wenn man in der Produktion wieder mehr heimisch denkt.
Kann man denn andere Investitionen vorziehen, also statt das Dach zu erneuern lieber erstmal woanders arbeiten?
MUND Die Regel beim Dämmen lautet, erst die Hülle zu machen: Dach, Fenster, Fassade. Es lohnt sich nicht, zuerst eine teure Heizung einzubauen. Wenn es eine Investition in die energetische Sanierung ist, dann lohnt sich auch angesichts der derzeit starken Auslastung der Handwerker, vielleicht etwas zu warten.
Wenn Ihre Betriebe so stark auf
Baustellen ausgelastet sind: Was ist denn mit den Hochwasserschäden, die schnell behoben werden müssen?
MUND Die Betriebe haben immer Trupps für Reparaturen und Notfälle. In dieser Situation findet man immer Handwerker, die helfen. Da sind Bauunternehmer und Installateure gefragt, natürlich sind das die Gewerke, die ohnehin gerade viel zu tun haben.
Wie ist das Handwerk insgesamt durch die Pandemie gekommen? MUND Wir hatten zum Teil wirklich Glück. Wir hatten gute Hygienekonzepte und konnten die Baustellen fortführen. Außer den körpernahen Dienstleistungen und denen mit Verkaufsräumen (also Kfz) durften alle Gewerke weiter machen. Mir sind keine Fälle bekannt, wonach sich Handwerker auf einer Baustelle infiziert hätten. Gelitten haben vor allem Friseure und die Handwerke, die der Industrie zuarbeiten. Zum Beispiel das Metall-Handwerk mit Vorproduktionen für die Industrie. Kfz hat gelitten. Die haben eine harte Zeit hinter sich, aber es läuft jetzt wieder gut an.
Sind Betriebe auf der Strecke geblieben?
MUND Nein. Mir ist nichts bekannt. Wir haben auch keinen einzigen Innungsaustritt gehabt, das ist immer ein Signal.
Die neue Handwerksordnung hat zum 1. Januar 2020 dafür gesorgt, dass es in zwölf Handwerken wieder die Meisterpflicht bei der Selbstständigkeit gibt. Welche Konsequenzen hatte das in Mönchengladbach? MUND Bis zu diesem Datum war es leider möglich, zum Beispiel bei Fliesenlegern, sich ohne Fachkenntnis in diesen Handwerken einzutragen. Im Sinne der Qualität kann ich den Meistervorbehalt nur begrüßen. Ich kann vielleicht eine Fliese an die Wand kleben, aber ich möchte den Raum nicht sehen, wenn ich dort alle Fliesen anbringen würde. Aber es geht auch um die Ausbildung: Nur der Meister darf ausbilden, deshalb werden die Ausbildungszahlen wieder steigen. Fliesenleger hatten vorher kaum noch ausgebildet. Dagegen hatten wir starke Zuwanderung von Arbeitskräften ohne Ausbildung, und die haben sich für bestimmte Gewerke eintragen lassen. Das ist weniger geworden.
Die duale Berufsausbildung hatte im Vergleich zum Studium Probleme bei den Schülern. Das hat sich in der Pandemie doch verschärft. MUND Bis zum Jahr 2018, 2019 konnten wir die Zahlen wieder steigern, wir haben den Rückgang aufhalten können. 2020 hatten wir pandemiebedingt im Handwerk in Mönchengladbach rund 14 Prozent weniger Bewerbungen. Für 2021 haben wir im Moment wieder Zahlen von vor der Krise. Zum Stichtag 30. Juni 2021 haben wir 206 neue Auszubildende, 2020 waren es 169, und 2019 waren es 197. Wir liegen also leicht über dem Vor-Krisen-Niveau. Ob es 2021 in Summe wieder die 472 aus 2019 werden, können wir natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher vorhersagen.
Wo werden noch am dringendsten Bewerber gesucht?
MUND Den größten Bedarf haben die Gewerke, die mit dem technischen Bau zu tun haben, also die Anlagenmechaniker und die Elektroniker. Das Kfz-Gewerbe ist vom Volumen ein sehr starker Ausbilder, aber hat nicht mehr den steigenden Bedarf. Und es werden sehr viele Auszubildende im Friseur-Handwerk gesucht.
Was muss ich mitbringen, etwa für den Anlagenmechaniker oder den Elektroniker?
MUND Mathematik. Physik, technisches Verständnis, Logik. Man muss nicht unbedingt den besten Aufsatz schreiben können, aber das technische Verständnis liegt fast auf einem früheren Bachelor-Niveau. Das sind extrem komplexe Systeme in der Haustechnik. Der Heizkessel ist heute vernetzt mit der gesamten Infrastruktur des Hauses. So etwas ans Laufen zu bringen und zu warten, da gehört schon etwas zu. Wenn es dann läuft, dann macht es auch richtig Spaß.
In welchen Berufen finde ich noch am schwersten eine Lehrstelle? MUND Wer ein gutes Schulabgangszeugnis
hat, wer persönlich überzeugt und auch noch ein Praktikum nachweisen kann, der kann sich überall aussuchen, wo er seine Ausbildung macht. Lieblingsberufe sind aber nach wie vor der Kfz-Mechatroniker und der Anlagenmechaniker.
Ein Problem war in der Pandemie, dass die Schüler nur schwer erreicht wurden, um sie für eine Ausbildung zu begeistern. Haben Sie das in den Griff bekommen mit digitalen Angeboten?
MUND Nein. Wir haben digitale Elternabende, Speed-Datings und mehr Angebote. Aber damit konnten wir im Vergleich zu den Vorjahren nur einen Bruchteil der Schüler erreichen. Wir versuchen immer, möglichst viele junge Leute in unseren Ausbildungs-Werkstätten vom Handwerk zu begeistern, das fehlt absolut.
Sie haben sich verstärkt um Studienabbrecher bemüht.
MUND Wir haben noch immer eine Abbrecher-Quote bei den Studierenden von ungefähr einem Drittel. Irgendwo landen sie dann ja auch. Wenn man eine Ausbildung macht, lernt man nicht nur diese Tätigkeit, sondern man arbeitet auch viel mit Menschen und an Werkstätten und hat auch Erfolgserlebnisse. Das ist eine wahnsinnig wichtige Lebenserfahrung.
Welche Erfahrungen machen denn Abiturienten, die sich für eine duale Berufsausbildung statt für ein Studium entscheiden?
MUND Da gibt es sehr unterschiedliche Befragungen zu. Männliche Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung, die nicht aus dem Gymnasium kommen, haben eine große Affinität zur dualen Ausbildung. Bei den Schulen ist es sehr unterschiedlich: Es gibt Gymnasien, die klar auf das Studium ausgerichtet sind, und es gibt Gymnasien und auch Gesamtschulen, die eher sagen: Mach, was du kannst. Das ist stark schulisch geprägt. Was jemand macht, muss heute Facebook-kompatibel sein: Wie verkauft man etwas in seinem sozialen Umfeld? Ich bin überzeugt, dass wenn jemand eine duale Ausbildung angeht und das mit Stolz nach außen trägt, dann wird das auch so wahrgenommen.