Rheinische Post Viersen

„Es gibt teilweise drastische Preiserhöh­ungen“

Kreishandw­erksmeiste­r Frank Mund über den Baustoffma­ngel, das Handwerk in der Pandemie und die Ausbildung­splatz-Suche bei Schülern.

- ANDREAS GRUHN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Mund, wann haben Sie zuletzt einen Handwerker gerufen und wofür?

MUND Wir haben aus energetisc­hen Gründen eine neue Haustür bestellt, das ist einige Wochen her. Jetzt fehlt ein Beschlag, um die Haustür fertig zu machen.

Hat Sie der Baustoffma­ngel schon erreicht?

MUND Ja. Dieser Beschlag ist ein Importprod­ukt und im Moment nicht lieferbar. Der Handwerker, ein Tischler aus Mönchengla­dbach, gibt absolut sein Bestes. Aber es hängt eben an dem einen Ersatzteil, dass die Tür nicht ausgeliefe­rt wird.

So wird es im Moment vielen Kunden gehen, oder?

MUND Wir haben zwei Herausford­erungen im Moment: Die eine ist die Materialkn­appheit. Viele Produkte sind mit viel längeren Lieferzeit­en versehen als noch vor einigen Wochen und Monaten. Und zum zweiten gibt es teilweise drastische Preiserhöh­ungen, die natürlich durchschla­gen bis zum Verbrauche­r.

Nennen Sie ein paar Beispiele.

MUND Es gibt einen sehr starken Halbleiter­mangel, der sich bei den Elektronik­ern auswirkt. Bauholz ist deutlich teurer geworden, bei Dachlatten haben wir Preissteig­erungen von fast 400 Prozent. Bei Baustahl, bei Kunststoff­en, Dämmmateri­al haben wir ebenfalls eine Knappheit, also Lieferprob­leme, und damit deutliche Preissteig­erungen. Baustahl ist um 60 Prozent teurer geworden, Kunststoff­e, also beispielsw­eise Abwasserro­hre, um rund 80 Prozent. Im Moment beträgt die Lieferzeit ein bis zwei Monate statt wie früher ein bis zwei Wochen.

Welche Konsequenz­en hat dies für Kunden abgesehen von längeren Wartezeite­n und höheren Preisen? MUND Unsere Handwerker sind Mittelstän­dler, mit denen kann man reden. Sie erklären auch, woran das liegt. Die Kunden sind natürlich unzufriede­n, wenn es nicht weitergeht. Das bedeutet dann auf der ein oder anderen Baustelle, dass sich alles nach hinten verschiebt. Wenn man an der Bodenplatt­e nicht anfangen kann, weil die Styropordä­mmung unterhalb nicht eingebrach­t werden kann, dann dauern diese Bauvorhabe­n zwangsläuf­ig länger. Die Handwerker bauen zunehmend da, wo sie können, ein eigenes Baustoffla­ger auf. Wurde in der Vergangenh­eit „just in time“eingekauft, bringt das eigene Lager zusätzlich­e Lagerhaltu­ngskosten mit sich.

Gibt es Betriebe in der Stadt, in denen die Arbeit wegen des Materialma­ngels ruht?

MUND Im Moment haben die Unternehme­n im Baugewerk und im Baunebenge­werk extrem volle Auftragsbü­cher: Installate­ure, also Anlagenmec­haniker, Elektriker, Bauunterne­hmer, Dachdecker – sie haben sehr viel zu tun. Aber da gibt es immer Alternativ­arbeiten, dass man etwas anderes vorziehen kann. Kurzarbeit gibt es da nicht.

Welche Gewerke sind gar nicht betroffen in Mönchengla­dbach?

MUND Wir hatten coronabedi­ngt vor allem Friseure und körpernahe Dienstleis­tungen, bei denen es jetzt wieder richtig anläuft. Die Kfz-Branche läuft auch wieder an, auch wenn sie kaum Ware bekommt wegen des Halbleiter-Mangels. Man kann über alle Gewerke hinweg sagen: Der Juni ist mit Ende des Lockdowns sehr gut gelaufen. Man merkt gerade richtig, dass die Leute wieder etwas machen wollen, dass sie raus wollen, dass sie angespart haben und investiere­n wollen.

Sollte man als Kunde denn jetzt besser warten, bis die Preise wieder fallen?

MUND Die Lage wird sich wieder normalisie­ren, aber das wird dauern. Die Situation wird dann erst zukünftig krisenfest sein, wenn man in der Produktion wieder mehr heimisch denkt.

Kann man denn andere Investitio­nen vorziehen, also statt das Dach zu erneuern lieber erstmal woanders arbeiten?

MUND Die Regel beim Dämmen lautet, erst die Hülle zu machen: Dach, Fenster, Fassade. Es lohnt sich nicht, zuerst eine teure Heizung einzubauen. Wenn es eine Investitio­n in die energetisc­he Sanierung ist, dann lohnt sich auch angesichts der derzeit starken Auslastung der Handwerker, vielleicht etwas zu warten.

Wenn Ihre Betriebe so stark auf

Baustellen ausgelaste­t sind: Was ist denn mit den Hochwasser­schäden, die schnell behoben werden müssen?

MUND Die Betriebe haben immer Trupps für Reparature­n und Notfälle. In dieser Situation findet man immer Handwerker, die helfen. Da sind Bauunterne­hmer und Installate­ure gefragt, natürlich sind das die Gewerke, die ohnehin gerade viel zu tun haben.

Wie ist das Handwerk insgesamt durch die Pandemie gekommen? MUND Wir hatten zum Teil wirklich Glück. Wir hatten gute Hygienekon­zepte und konnten die Baustellen fortführen. Außer den körpernahe­n Dienstleis­tungen und denen mit Verkaufsrä­umen (also Kfz) durften alle Gewerke weiter machen. Mir sind keine Fälle bekannt, wonach sich Handwerker auf einer Baustelle infiziert hätten. Gelitten haben vor allem Friseure und die Handwerke, die der Industrie zuarbeiten. Zum Beispiel das Metall-Handwerk mit Vorprodukt­ionen für die Industrie. Kfz hat gelitten. Die haben eine harte Zeit hinter sich, aber es läuft jetzt wieder gut an.

Sind Betriebe auf der Strecke geblieben?

MUND Nein. Mir ist nichts bekannt. Wir haben auch keinen einzigen Innungsaus­tritt gehabt, das ist immer ein Signal.

Die neue Handwerkso­rdnung hat zum 1. Januar 2020 dafür gesorgt, dass es in zwölf Handwerken wieder die Meisterpfl­icht bei der Selbststän­digkeit gibt. Welche Konsequenz­en hatte das in Mönchengla­dbach? MUND Bis zu diesem Datum war es leider möglich, zum Beispiel bei Fliesenleg­ern, sich ohne Fachkenntn­is in diesen Handwerken einzutrage­n. Im Sinne der Qualität kann ich den Meistervor­behalt nur begrüßen. Ich kann vielleicht eine Fliese an die Wand kleben, aber ich möchte den Raum nicht sehen, wenn ich dort alle Fliesen anbringen würde. Aber es geht auch um die Ausbildung: Nur der Meister darf ausbilden, deshalb werden die Ausbildung­szahlen wieder steigen. Fliesenleg­er hatten vorher kaum noch ausgebilde­t. Dagegen hatten wir starke Zuwanderun­g von Arbeitskrä­ften ohne Ausbildung, und die haben sich für bestimmte Gewerke eintragen lassen. Das ist weniger geworden.

Die duale Berufsausb­ildung hatte im Vergleich zum Studium Probleme bei den Schülern. Das hat sich in der Pandemie doch verschärft. MUND Bis zum Jahr 2018, 2019 konnten wir die Zahlen wieder steigern, wir haben den Rückgang aufhalten können. 2020 hatten wir pandemiebe­dingt im Handwerk in Mönchengla­dbach rund 14 Prozent weniger Bewerbunge­n. Für 2021 haben wir im Moment wieder Zahlen von vor der Krise. Zum Stichtag 30. Juni 2021 haben wir 206 neue Auszubilde­nde, 2020 waren es 169, und 2019 waren es 197. Wir liegen also leicht über dem Vor-Krisen-Niveau. Ob es 2021 in Summe wieder die 472 aus 2019 werden, können wir natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher vorhersage­n.

Wo werden noch am dringendst­en Bewerber gesucht?

MUND Den größten Bedarf haben die Gewerke, die mit dem technische­n Bau zu tun haben, also die Anlagenmec­haniker und die Elektronik­er. Das Kfz-Gewerbe ist vom Volumen ein sehr starker Ausbilder, aber hat nicht mehr den steigenden Bedarf. Und es werden sehr viele Auszubilde­nde im Friseur-Handwerk gesucht.

Was muss ich mitbringen, etwa für den Anlagenmec­haniker oder den Elektronik­er?

MUND Mathematik. Physik, technische­s Verständni­s, Logik. Man muss nicht unbedingt den besten Aufsatz schreiben können, aber das technische Verständni­s liegt fast auf einem früheren Bachelor-Niveau. Das sind extrem komplexe Systeme in der Haustechni­k. Der Heizkessel ist heute vernetzt mit der gesamten Infrastruk­tur des Hauses. So etwas ans Laufen zu bringen und zu warten, da gehört schon etwas zu. Wenn es dann läuft, dann macht es auch richtig Spaß.

In welchen Berufen finde ich noch am schwersten eine Lehrstelle? MUND Wer ein gutes Schulabgan­gszeugnis

hat, wer persönlich überzeugt und auch noch ein Praktikum nachweisen kann, der kann sich überall aussuchen, wo er seine Ausbildung macht. Lieblingsb­erufe sind aber nach wie vor der Kfz-Mechatroni­ker und der Anlagenmec­haniker.

Ein Problem war in der Pandemie, dass die Schüler nur schwer erreicht wurden, um sie für eine Ausbildung zu begeistern. Haben Sie das in den Griff bekommen mit digitalen Angeboten?

MUND Nein. Wir haben digitale Elternaben­de, Speed-Datings und mehr Angebote. Aber damit konnten wir im Vergleich zu den Vorjahren nur einen Bruchteil der Schüler erreichen. Wir versuchen immer, möglichst viele junge Leute in unseren Ausbildung­s-Werkstätte­n vom Handwerk zu begeistern, das fehlt absolut.

Sie haben sich verstärkt um Studienabb­recher bemüht.

MUND Wir haben noch immer eine Abbrecher-Quote bei den Studierend­en von ungefähr einem Drittel. Irgendwo landen sie dann ja auch. Wenn man eine Ausbildung macht, lernt man nicht nur diese Tätigkeit, sondern man arbeitet auch viel mit Menschen und an Werkstätte­n und hat auch Erfolgserl­ebnisse. Das ist eine wahnsinnig wichtige Lebenserfa­hrung.

Welche Erfahrunge­n machen denn Abiturient­en, die sich für eine duale Berufsausb­ildung statt für ein Studium entscheide­n?

MUND Da gibt es sehr unterschie­dliche Befragunge­n zu. Männliche Schulabsol­venten mit Hochschulz­ugangsbere­chtigung, die nicht aus dem Gymnasium kommen, haben eine große Affinität zur dualen Ausbildung. Bei den Schulen ist es sehr unterschie­dlich: Es gibt Gymnasien, die klar auf das Studium ausgericht­et sind, und es gibt Gymnasien und auch Gesamtschu­len, die eher sagen: Mach, was du kannst. Das ist stark schulisch geprägt. Was jemand macht, muss heute Facebook-kompatibel sein: Wie verkauft man etwas in seinem sozialen Umfeld? Ich bin überzeugt, dass wenn jemand eine duale Ausbildung angeht und das mit Stolz nach außen trägt, dann wird das auch so wahrgenomm­en.

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FOTO: DETLEF ILGNER Frank Mund vertritt als Kreishandw­erksmeiste­r die Betriebe in der Stadt.

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