Auf Kramer kann Hütter kaum verzichten
Der Mittelfeldspieler ist nicht nur einer, der Strukturen auf dem Platz schaffen kann, er hat auch die Entwicklung Borussia Mönchengladbachs seit 2013 hautnah miterlebt. Qualitäten, die der neue Trainer schätzt.
HARSEWINKEL Wenn man so will, ist Christoph Kramer einer der wenigen deutschen Fußballer, die man als Gewinner der Europameisterschaft bezeichnen darf. Borussia Mönchengladbachs Mittelfeldspieler bekam fast ausnahmslos gute Kritiken für seine Auftritte – als Experte im ZDF. „Er hat einen sehr guten Blick für das Spiel und hat immer genau die richtigen Dinge angesprochen“, lobte zum Beispiel der frühere Bundestrainer Berti Vogts. Gladbachs Rekordspieler hofft, dass der Klub von Kramers Know-how profitieren wird. „Wenn er seine Erkenntnisse nun bei Borussia so auf den Platz bringt mit seinen Kollegen, wird sich sein Trainer Adi Hütter freuen“, sagte Vogts.
Tatsächlich ist Hütter, 51 und neuer Trainer der Gladbacher, froh, dass er den Weltmeister von 2014 in seiner Mannschaft hat. „Er ist ein Führungsspieler, war Nationalspieler und Weltmeister, das sind die Köpfe, die man in einem Team braucht. Sie können die jungen Spieler führen“, sagte Hütter. „Wir haben einen älteren Kern, zu dem ich auch langsam gehöre. Da ist es klar und selbstverständlich, dass man die Jungen ein wenig an die Hand nimmt“, sagte Kramer, 30, unserer Redaktion.
Sportlich gehört er zur wahrscheinlichen Achse, um die Hütter sein Team formieren wird. Yann Sommer, der Torwart, die Verteidiger Matthias Ginter (wenn er bleibt) und Nico Elvedi, dazu Kapitän Lars Stindl. Das ist die meinungsstarke Fraktion im Kader, in der Kramer gern kommunikativ vorangeht. Aber eben auch als Leistungsträger.
Seine Kritiker werfen ihm zwar immer wieder vor, ein bisschen zu oft quer statt steil zu spielen, doch ist Kramer einer, der gerade dem eher wilden und gewollt hektischen Spiel unter Hütters Vorgänger Marco Rose ein paar Ruhemomente bescherte. Kramer ist als Sechser nicht nur ein Abläufer, er kann auch anders: Kein Borusse hat mehr seiner Dribblings gewonnen. „Chris ist auch ein technisch herausragender Spieler, der eine hohe Spielintelligenz hat“, sagt Hütter entsprechend.
Kramer ist, mit einer Saison Unterbrechung, in der er nach der Leihe zunächst zu Bayer Leverkusen zurückkehren musste, seit 2013 in Gladbach. Er wird nicht müde zu betonen, dass Borussia der Klub ist, bei dem er alt werden will. Dass einer wie Kramer über die Karriere hinaus im niederrheinischen Klub tätig sein könnte, ist keine allzu steile These.
Erst mal aber ist er ein wichtiger Spieler, der zur Führungsetage in der Mannschaft gehört, auch wenn er kein offizielles Amt bekleidet. Diesen Status hat er sich erst wieder erarbeitet. In der Saison 2018/19 kam Kramer nicht so zum Zug, Tobias Strobl hatte ihn damals überholt, zudem war da der ambitionierte Denis Zakaria, der immer stärker wurde. Als dann Marco Rose Dieter Hecking ablöste, vermuteten Experten, Kramers Zeit sei vorbei. Er ist liebt den Ballbesitzfußballer, Roses Attacke-stil schien nicht zu passen. Doch er kämpfte sich zurück ins Team. Vermutlich gerade, weil er kein richtiger Rose-Spieler war, sondern einer, der für andere Strukturen schaffen kann.
Vergangene Saison gehörte er für Rose zu den Unverzichtbaren. Und so dürfte es nun auch bei Hütter sein. Für den Trainer geht es darum, den Gladbachern wieder mehr Stabilität zu geben, wieder weniger anfällig zu sein für Gegentore. Es wird an Kramer sein, im Mittelfeld die Organisation dafür zu übernehmen und so die Abwehr zu entlasten.
Spieler wie Kramer sind wichtig für Hütter. Auch weil sie genau wissen, wie sein neuer Arbeitgeber tickt. Kramer hat die Transformation des Klubs in den vergangenen acht Jahren miterlebt: 2013 war alles neu und frisch nach der Rückkehr nach Europa 2012, Lucien Favre war dabei, Gladbach vom Konter- zum Ballbesitzteam zu machen. Zwei Jahre später gehörte Kramer als federführende Figur zur ersten Champions-League-Generation in Gladbach. Dann entschwand er kurz, um 2016 zurückzukehren aus Leverkusen. Kramer hat dann erlebt, wie sich Gladbach vom Underdog-Gefühl zu einem selbstbewussten Herausforderer der Großen der Liga entwickelt hat. Und dabei bleibt es für ihn auch, trotz des achten Platz und der verpassten dritten Europa-Tour in Folge.
„Es macht keinen Sinn, sich kleiner zu machen, als man ist. Auch die Liga sieht uns nicht mehr als klassischen Underdog. Allerdings haben wir vergangene Saison gesehen, wie schnell es gehen kann. Darum bleibe ich dabei: Wir müssen von Spiel zu Spiel denken. Letzte Saison haben wir uns zu sehr treiben lassen: Erst ging es um die Champions League, dann um die Europa League, dann Zittern um die Confercence League“, sagte Kramer. Größer denken, doch mit Bedacht, das ist der Gladbacher Weg. „Das Ziel kommt von alleine. Man muss vorher viel dafür tun, dass es zu einem anderen werden kann“, sagte Kramer.