Das Beste im Menschen
Die Not in den Hochwasserregionen weckt Hilfsbereitschaft. Oft muss es erst schlimm kommen, damit Bürger sich von ihrer guten Seite zeigen. Mit der Kraft des Zusammenhalts sollten wir aber realistisch umgehen.
Nun staunt das Land wieder über sich selbst. Denn bei allem Schrecken über das Ausmaß der Hochwasserkatastrophe, bei aller Trauer über die vielen Menschen, die gestorben sind, bei allem Mitgefühl mit denen, deren Existenzen weggespült wurden, gibt es eben auch all die Geschichten von Leuten, die plötzlich neben den Betroffenen im Dreck stehen und schippen oder einen Topf Bohnensuppe vorbeibringen oder für ein paar Tage die Kinder übernehmen. Und die Hilfe kommt nicht nur von Freunden und Verwandten, auf die man eh immer zählen kann, sondern auch von Fremden. Von entfernten Nachbarn, von Leuten, die im Internet Hilferufe lesen – und ihre Gästesofas ausklappen oder ihre Waschmaschine anbieten oder vorbeikommen, sich in die Helferkette stellen. Und erleben, wie nicht nur das Chaos schwindet, sondern vor allem etwas Anderes wächst: Zusammenhalt.
Paradoxerweise wecken Krisen Gutes im Menschen: Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Tatkraft. Wenn in diesen Tagen von entsprechenden Szenen zu hören ist, schwingt oft ein Staunen mit, dass Menschen ja auch so sein können: selbstlos. Denn was gerade in vielen Orten geschieht, ist tatsächlich Altruismus, also Hilfe aus Freude am Helfen.
Weil es notwendig ist. Wenn Fremde Schlamm kehren, erwarten sie keine Gegenleistung. Sie haben nichts davon – im Sinne des Kosten-Nutzen-Kalküls, das die meisten Lebensbereiche beherrscht und das Denken formt. Wer Kaffeekannen und Kuchen in den Bollerwagen packt und bei Betroffenen vorbeigeht, erlebt aber etwas Anderes: Er wird Teil einer Solidargemeinschaft.
Das ist nicht nur für die Betroffenen hilfreich, das stärkt auch die Helfenden.
Es gibt ihnen das Gefühl, zu etwas Stärkerem zu gehören, das auch Wassermassen trotzt. Das hinterlässt vielleicht sogar Spuren bei denen, die alles nur von Ferne betrachten. Denn es zeigt, dass es auf die Initiative und Begabung jedes Einzelnen ankommt, aber eben auch auf das Netz, das diese Individuen knüpfen. Und auf die Einsicht, dass es ohne Netz nicht geht.
Natürlich gab es auch Plünderungen, gab es Gaffer und Diebe. Aber vor allem gab es Menschen, die sich rühren ließen und aktiv wurden. Und plötzlich scheint einmal mehr aller Zynismus von der Gesellschaft abzufallen. Leute haben nicht die Arme verschränkt, sondern die Ärmel hochgekrempelt. Sie wollten ein Stückchen Ordnung zurückholen. Irgendwo anpacken. Wenigstens das.
Dieses Über-sich-Hinauswachsen in der Not hat wohl damit zu tun, dass Leute in Katastrophenlagen konkret und unmissverständlich gefordert sind. Jetzt und hier liegt die Not vor ihnen. Die Situation stellt nur eine Frage: Nimmst du die Schaufel in die Hand? Für manche ist das die Gelegenheit zu zeigen, was in ihnen steckt. Es gibt keine sozialen Hürden, nur akute Anforderungen. Was zeigt, wie groß das Potenzial ist, wenn Menschen sich gebraucht fühlen.
Ein anderer Faktor ist die Nähe. Viele haben den Starkregen selbst erlebt, kennen Betroffene. Jeder, der daheim mal einen Rohrbruch hatte, hat wenigstens eine Vorstellung davon, welch zerstörerische Kraft Wasser besitzt. Es fällt also nicht schwer, sich auszumalen, man selbst müsse in diesen Tagen auf die verdreckten Reste seines Zuhauses blicken. Was da alles in Trümmer geht an Hoffnungen, Plänen, Sicherheiten, Erinnerungen! Diese Vorstellung weckt wie ein Reflex den Wunsch zu helfen, es bei anderen wieder gutzumachen, das Unheil zu überwinden – und für sich selbst zu bannen, auch wenn das irrational ist.
Die Situation stellt nur eine Frage: Nimmst du die Schaufel in die Hand?