Rheinische Post Viersen

Kontrolle und Aberglaube

Die Natur lässt sich nicht beherrsche­n. Wenn das klar wird, ist das Entsetzen groß.

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Andauernde­r Starkregen hat in der vergangene­n Woche dazu geführt, dass Flüsse über die Ufer traten und ganze Ortschafte­n verwüstete­n. Hunderte Menschen kamen ums Leben. Man deutet auf den globalen Klimawande­l als Ursache. Mag sein, dass die Klimaerwär­mung hier eine Rolle spielt, aber es hat auch schon in früheren Zeiten solche tagelangen starken Regenfälle gegeben. Das Ausmaß der Katastroph­e zeigt, dass unser Katastroph­enschutz nicht ausreicht, denn die heutige Meteorolog­ie kann solche Wetter vorhersage­n. Warum sind die Menschen nicht rechtzeiti­g gewarnt und evakuiert worden? Warum gibt es an manchen Orten nicht einmal Sirenen? Warum verschnarc­hte der von unseren obligatori­schen Beiträgen finanziert­e

WDR die erste Nacht, statt den Betroffene­n ständig Informatio­nen zur Gefahrenla­ge zu liefern?

Die Flutgefahr­en sind die langfristi­ge Folge einer desaströse­n Entwässeru­ngsund Bebauungsp­olitik. Durch die Begradigun­g und Kanalisier­ung der Flüsse haben sich die Flussläufe verkürzt, das Wasser fließt viel schneller ab, und stromabwär­ts steigt die Überschwem­mungsgefah­r. Vor allem aber durch die großflächi­ge Entwässeru­ng von Auen und Sümpfen, die Bodenversi­egelung und die flussnahe Bebauung sind die Regenflute­n so gefährlich geworden: Wasser, das nicht im Boden versickern kann, schwillt zu einer oberirdisc­hen Flut an, die sich dann durch asphaltier­te Straßen ihren Weg bricht.

Das ist längst bekannt. Wir leben in dem Aberglaube­n, dass die Wissenscha­ft, die Technik und zuständige Politiker die Wassergefa­hren trotzdem irgendwie magisch kontrollie­ren. Wenn diese Illusion flöten geht, bekundet man Fassungslo­sigkeit – über die Verwüstung­en und über Armin Laschet, als er beim Besuch der Flutopfer bei einem kindlichen Gelächter mit Mitarbeite­rn erwischt wurde. Ein effektiver Katastroph­enschutz mit Frühwarnsy­stem und langfristi­g eine Renaturali­sierung der Flussumgeb­ungen mit Auen, in denen das Wasser versickern kann, wären wichtiger als ein gravitätis­cher Ministerpr­äsident.

Unsere Autorin ist Philosophi­e-Professori­n an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektions­biologin Gabriele Pradel ab.

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