Psychologie am Einkaufswagen
Eine britische Studie zeigt, dass die klassische Querstange am Einkaufswagen wie ein Hemmnis auf Kunden wirkt. Parallelgriffe steigern dagegen die Kauflust. Zu tun hat das mit den eingesetzten Muskeln in den Armen.
LONDON Die Briten, meinte einst Napoleon, seien eine „Nation von Ladenbesitzern“. Da wird die Insulaner sicherlich eine kürzlich veröffentlichte Studie der City University London freuen. Denn beim Einkaufswagen ist, zumindest aus der Sicht des Einzelhandels, noch einiges an Optimierung drin: Der Umsatz ließe sich drastisch steigern, wären nur die Griffe anders angeordnet. Der Querstangengriff des klassischen Einkaufswagens, so hat jetzt die Studie „Getting a Handle on Sales“der Bayes Business School herausgefunden, ist suboptimal und mindert die Kauflust. Wird dagegen der Einkaufswagen mit Griffen versehen, die parallel zur Schieberichtung angebracht sind, geben die Leute um bis zu 25 Prozent mehr Geld aus.
Es hat alles mit dem Trizeps zu tun. Die Aktivierung des Muskels namens Ellbogenstrecker hat die Wirkung eines Wegstoßens und wird psychologisch mit Ablehnung, Zurückweisung, also mit etwas Negativem assoziert. Der Bizeps dagegen ist sein Gegenstück. Wenn der Beugemuskel des Oberarms aktiviert wird, dann ist das positiv besetzt, denn man nutzt ihn, um etwas an sich zu ziehen oder etwas eng an sich zu drücken.
Da beim traditionellen Einkaufswagen mit Querstange als Griff vornehmlich der Trizeps, bei Wagen mit parallel angebrachten Griffen dagegen der Bizeps eingesetzt wird, scheint es nur einleuchtend, dass sich im letzteren Fall die Supermarktkunden mehr Waren aus den
Regalen greifen und in den Wagen legen. „Es ist schockierend herauszufinden“, sagt Professor Zachary Estes, „dass eine kleine Veränderung der Griffposition so einen großen Einfluss auf das Kaufverhalten hat.“Der Marketingforscher von der Bayles Business School an der City University London hatte zusammen mit seinem Kollegen Matthias Streicher von der Universität Innsbruck das Thema schon jahrelang im Auge, und sie veröffentlichten jetzt im „Journal of Marketing“ ihre Ergebnisse. Zunächst ließen sie sich durch elektromyografische Untersuchungen bestätigen, dass unterschiedliche Griffpositionen auch unterschiedliche Muskeln aktivieren. Und dann führten sie ein Feldexperiment durch.
An drei Wochentagen verteilten Helfer vor einem Supermarkt an die Kunden wahllos Einkaufswagen, die entweder Standard- oder Parallelgriffe aufwiesen. Ohne dass die Kunden dies wussten, wurde an der Kasse notiert, welchen Typ Einkaufswagen
sie benutzt hatten. Zusammen mit der Erfassung der eingekauften Waren hatten die Forscher eine Datenfülle, die das Kaufverhalten von insgesamt 2359 Supermarktkunden widerspiegelte. Und es stellte sich heraus, dass der Durchschnittseinkauf mit einem Standardwagen nur einen Wert von rund 22 Pfund, umgerechnet 26 Euro, hatte, derjenige aber, der mit einem Wagen mit Parallelgriffen getätigt wurde, einen um sieben Pfund (gut acht Euro) höheren Warenwert. „Supermarkt-Shopper“,
konnten die Autoren der Studie konstatieren, „kaufen mehr Produkte ein und geben mehr Geld aus, wenn sie einen Einkaufswagen mit Parallel-Griffen nutzen.“
Mithilfe von Interviews mit Führungskräften aus Industrie und Einzelhandel fanden die Forscher heraus, dass weder Hersteller von Einkaufswagen noch Supermarktbosse davon wussten, dass Parallelgriffe die Kauflust um 25 Prozent steigern können. Während es hier aus Sicht des Handels großes Optimierungspotenzial gibt, bietet die Studie auch dem Konsumenten gerade in der hektischen Zeit des vorweihnachtlichen Einkaufsrummels Hilfestellung. „Wenn Kunden ihre Augaben minimieren wollen“, sagt Professor Estes, „könnten Standardwagen als willkommenes und unerwartetes Hemmnis dienen, um unnötige Käufe aus dem Warenkorb herauszuhalten.“