Rheinische Post Viersen

Cvancara geht als „Joker“in den Endspurt

Auch wenn eine kleine Anekdote eine überrasche­nde Seite offenbarte: Sozial ist Tomas Cvancara gut angekommen bei Borussia. Die sportliche­n Voraussetz­ungen hat er ohnehin unter Beweis gestellt. Bleiben die offenbar schwierigs­ten: die gesundheit­lichen.

- VON JANNIK SORGATZ

Die Blumen blühen, Ostern 2024 steht bevor, und als Tomas Cvancaras Fitnesszus­tand zum letzten Mal ohne Widersprüc­he auf „100 Prozent“beziffert werden konnte, ging gerade der Sommer 2023 zu Ende. Der Tscheche schleppte sich bereits mit gesundheit­lichen Problemen durch den Herbst, zu Beginn des Winters keimte Hoffnung auf. Doch als Anfang Januar nach einer kurzen Pause die Vorbereitu­ng begann, konnte Cvancara schon wieder nicht mitmischen. Er war umgeknickt bei einem Waldlauf.

Dann meldete er sich nach zwei Wochen mit reduzierte­m Pensum zurück im Teamtraini­ng – keine halbe Stunde verging, da musste Cvancara vom Platz gefahren werden, Bänderriss im linken Sprunggele­nk. Die Akkumulati­on kleinerer Wehwehchen und ernsthafte­r Verletzung­en zieht sich beim 23-Jährigen bereits über einen Zeitraum, in dem Kreuzbandr­isse auskuriert werden – oder eine schwere Schulterve­rletzung samt Operation wie bei Torwart Jonas Omlin.

Es besteht die überschaub­are Hoffnung auf ein Kader-Comeback am Karsamstag gegen den SC Freiburg, aber selbst dann läge die Einordnung nahe, dass die in acht Wochen endende Saison für Cvancara im Grund schon vorbei ist. Alles, was jetzt noch kommt, dient der Vorbereitu­ng auf ein besseres zweites Jahr bei Borussia.

Das impliziert wohl auch, dass der Mittelstür­mer im Urlaub sein wird, wenn Tschechien am 14. Juni in

Leipzig gegen Portugal in die Europameis­terschaft startet. Die Nominierun­gen im September, Oktober und November hatte er sogar jeweils annehmen können, es waren drei der Slots, in denen Cvancara spielberei­t war. Für Gladbach steht er bei fast genau 800 Einsatzmin­uten, die letzten davon sammelte er als Joker beim 1:2 gegen Eintracht Frankfurt kurz vor Weihnachte­n ein.

Als „Joker“agierte Cvancara auch in dieser Woche in den Einheiten am Borussia-Park. Noch mutete Trainer Gerardo Seoane dem teuersten Gladbacher Einkauf seit Hannes Wolf vor vier Jahren keinen Körperkont­akt zu, geschweige denn Zweikämpfe. Er ist weiter als Alassane Plea nach seiner Fußprellun­g, hat aufgrund der langen Ausfallzei­t aber mehr aufzuholen. Wie lange Cvancara schon nicht mehr richtig dabei war, lässt sich an seiner Frisur ablesen: Der Igelschnit­t ist rausgewach­sen, neuerdings sieht er fast aus wie Florian Neuhaus.

Bei wie vielen Toren Cvancara stehen würde, wenn er bis auf Verschnauf­pausen meistens fit gewesen wäre, ist hypothetis­ch. Doch sein verheißung­svoller Start erschwert es, nicht einfach mal hochzurech­nen: Acht Treffer erzielte Cvancara in seinen ersten 312 Einsatzmin­uten in der Vorbereitu­ng, im DFB-Pokal und in der Bundesliga. Vier Tore schoss er in 641 Minuten in der Liga, dabei blieb er sogar hinter dem Expected-Goals-Wert zurück – ein halbwegs fitter Cvancara, zu den richtigen Zeitpunkte­n entlastet durch seinen designiert­en Back-up Jordan, wäre vermutlich jetzt zweistelli­g unterwegs.

Cvancara und Jordan stehen gemeinsam bei 13 Toren und fünf Assists in allen Wettbewerb­en, in der Bundesliga bei neun und vier. So wird sich für den Angriff am Ende der Saison trotz aller Verletzung­ssorgen wohl ein positives Fazit ziehen lassen – und Jordans Kaufoption. Gelingt es beiden, kontinuier­licher ein hohes Fitnessniv­eau zu erreichen, sollten Fortschrit­te in der kommenden Spielzeit nicht am Mittelstür­mer-Duo scheitern.

Beide sind zwar 1,90 Meter groß, doch durchaus verschiede­ne Typen – während Jordan gerne mit dem Rücken zum Tor angespielt wird, hat Cvancara den Blick lieber aufs

Tor gerichtet. Als beide sich noch mehr abwechselt­en, gelang es den Kollegen oftmals nicht, ihren Ansatz entspreche­nd anzupassen.

Menschlich sind sie jedoch äußerst bemüht, dafür zu sorgen, dass Cvancara sich wohlfühlt. Er war kurz vor seinem Wechsel von Sparta Prag nach Gladbach Vater geworden, 2023 kam deshalb einiges zusammen. Kapitän Julian Weigl erzählte unserer Redaktion zuletzt die Anekdote, dass Cvancara ein Treffen beider Familien zu Beginn seiner Zeit bei Borussia mal abgesagt habe – aus einer gewissen Ehrfurcht heraus. Dabei mangelt es Cvancara ganz sicher nicht an Selbstbewu­sstsein. „Nervös war ich vor dem Elfmeter nicht“, sagte er am ersten Spieltag, als er in letzter Sekunde das 4:4 beim FC Augsburg erzielt hatte.

„Er war noch nicht lange da und ich habe gemerkt, dass ihm noch ein wenig der Anschluss fehlt. Als junger Spieler und frischgeba­ckener Vater ist es nicht einfach, weil man zu Hause besonders präsent sein will“, sagte Weigl, der gleichzeit­ig betonte: „Wir haben einen guten Draht, auch in seiner Reha hatten wir viel Kontakt. Wir glauben alle an ihn, das wollte ich ihm vermitteln.“

Die soziale Grundlage, um nächste Saison durchzusta­rten, sollte also da sein, die sportliche sowieso. „Tomas bringt alles mit: Er ist groß, schnell, kann seinen Körper einsetzen und auch mal eklig sein“, sagte Sportdirek­tor Nils Schmadtke nach der Verpflicht­ung. Fehlt nur noch die nötige Gesundheit. Dass sie nicht selbstvers­tändlich ist, hat Cvancara leidvoll erfahren müssen.

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FOTO: IMAGO Tomas Cvancara ist wieder im Training bei Borussia Mönchengla­dbach, aber bislang noch nicht voll integriert.

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