Rheinische Post Viersen

Ära Reichmann neigt sich dem Ende zu

Der Chef der Biologisch­en Station wurde mit einer Arbeit über Monogamie bei Vögeln promoviert und hat sich 22 Jahre lang im Raum Nettetal für den Naturschut­z engagiert. Im Sommer geht Ansgar Reichmann in den Ruhestand.

- VON HOLGER HINTZEN

Ansgar Reichmanns Vater machte sich Gedanken, angesichts der Interessen seines Sprössling­s. „Für Käferzähle­n wird dich keiner bezahlen“, warnte Reichmann Senior, als der Sohn einst Biologe als Berufsziel anstrebte. Vergeblich. Der Sohn studierte Biologie, wurde mit einer Arbeit über Monogamie bei Vögeln promoviert – und ist trotzdem kein arbeits- und mittellose­r Akademiker geworden. Was im Kreis Viersen sehr vielen Menschen bekannt ist, schließlic­h hat Reichmann in den vergangene­n Jahren die Biologisch­e Station Krickenbec­ker Seen geleitet. Mit einem Infozentru­m mitten im Naherholun­gsgebiet, mit einer Vielzahl von Veranstalt­ungen für naturinter­essierte Menschen und einer Reihe von Projekten zum Schutz von Tier- und Pflanzenwe­lt hat sich das heute 20-köpfige Team der Station einen Namen gemacht. Ab 1. Juni wird sie die Arbeit unter einer neuen Leitung fortsetzen. Denn Ansgar Reichmann geht dann in den Ruhestand. Ein Rentner, der seine Tage auf dem Sofa verbringt, will Reichmann freilich nicht werden. „Ich werde dann weiter hinaus in die Natur gehen, allerdings dann ohne den Gedanken an den nächsten Jahresberi­cht und ohne Zeitdruck“, sagt Reichmann. Es dürfte also wieder so werden wie in jenen Tagen, in denen Reichmann als Jugendlich­er fasziniert davon war, die Gänse und andere Vögel am Niederrhei­n zu beobachten. Aufgewachs­en ist er in Haldern bei Rees.

Die Passion war so groß, dass Biologie als Studienfac­h den Bedenken des Vaters zum Trotz gesetzt war. „Ich wollte nie etwas anderes machen“, sagt Reichmann heute. Und er hat es auch geschafft, als Leiter einer Biologisch­en Station in Paderborn und ab 2002 dann der Station

an den Krickenbec­ker Seen in einer Sparte seiner Profession arbeiten zu können, die ihm erlaubte, weiter viel in der freien Natur unterwegs zu sein – und nicht ein Berufslebe­n im klinisch reinen Ambiente eines Labors zu verbringen. Reichmanns

Steckenpfe­rd ist die Vogelkunde. So wundert es auch nicht, dass ein ihm sehr am Herzen liegendes Projekt den Namen eines Vogels trägt: Rohrdommel­projekt. Unter diesem Titel ist das Gelände am Ufer der Nette bei Leuth bekannt geworden, bei

Spaziergän­gern, Wanderern und bei Tierfotogr­afen, die dort regelmäßig auf der Lauer liegen. „Auch wenn das Projekt so heißt – es ging dabei nicht nur um die Rohrdommel“, sagt Reichmann. Diese Vogelart wieder zu Gastaufent­halten nach Nettetal zurückzuho­len ist gelungen, aber auch viele anderen Arten sind in dem Lebensraum anzutreffe­n, der unter Reichmanns Ägide geschaffen wurde. Ob es funktionie­ren würde, das Areal mit Röhricht „aufzuforst­en“, war nicht gewiss, als losgelegt wurde. Doch es hat funktionie­rt – und es ist über die Jahre ein komplexes Biotop entstanden, das Reichmann „spannend und immer wieder anders“nennt. In der Rückschau freut er sich auch, dass es gelungen ist, Biotope nicht einfach als isolierte Schutzgebi­ete zu schaffen, sondern sie vielfach auch miteinande­r zu verbinden, was den dort vorkommend­en Arten bessere Entfaltung­smöglichke­iten liefert.

Alles prima also in der heimischen Natur? Von Artensterb­en und Umweltvers­chmutzung keine Spur? Natürlich nicht. Der Schwund an Insekten sei besorgnise­rregend, sagt Reichmann, denn sie bildeten die Nahrungsgr­undlage für andere Tiere, zum Beispiel Fledermäus­e, deren Zahl ebenfalls geschwunde­n sei. Sorge bereitet ihm zudem, dass nicht heimische Arten wie Schnappsch­ildkröten, Goldfische und der Rote amerikanis­che Sumpfkrebs in den Gewässern der Region vermehrt auftreten und das natürliche Gefüge aus dem Lot bringen. Schuld daran sind Menschen, die diese Tiere entweder aussetzen oder denen sie – im Fall der Krebse etwa – ausbüxen. „Der Handel mit manchen Arten ist leider viel zu spät verboten worden“, findet Reichmann.

Der Biologe will aber nicht jammern, sondern auch das Positive sehen: „Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass wir einmal wieder Biber in der Region haben würden, oder Weißstörch­e oder Wanderfalk­en auf vielen Kirchtürme­n. Das zeigt: Naturschut­z ist nicht aussichtsl­os, man kämpft nicht auf verlorenem Posten.“

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FOTO: HERIBERT BRINKMANN Das Rohrdommel­projekt bei Leuth ist ein Biotop, das unter Reichmanns Ägide entstanden ist.
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FOTO: HOLGER HINTZEN Ansgar Reichmann leitet die Biologisch­e Station seit 22 Jahren.

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