Rheinische Post Viersen

Mitgestalt­en statt pauken

Die Evangelisc­he Kirche im Rheinland schrumpft, immer weniger junge Menschen lassen sich konfirmier­en. Einige Gemeinden reagieren mit einer moderneren Jugendarbe­it.

- VON JULIA RATHCKE

DÜSSELDORF Es ist wenig überrasche­nd, dass mit der immer weiter sinkenden Anzahl der Kirchenmit­glieder auch die Zahl der Konfirmati­onen abnimmt. So gab es in der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland – die sich auch über Teile von Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland erstreckt – seit Aufzeichnu­ng der Daten 1949 einen kontinuier­lichen Rückgang. Von einst knapp 40.000 Konfirmati­onen bei 2,5 Millionen Gemeindemi­tgliedern hat sich die Zahl inzwischen mehr als halbiert: Im Jahr 2022 wurden knapp 15.000 Jugendlich­e in der rheinische­n Kirche konfirmier­t bei immerhin noch gut 2,3 Millionen Mitglieder­n insgesamt.

Dabei lohnt ein Blick auf eine dritte Variable. Die Statistik zeigt auch, dass sich immer mehr getaufte Jugendlich­e 14 Jahre später nicht mehr konfirmier­en lassen. Und dass es sogar eine beachtlich­e Lücke gibt zwischen denen, die zwar am Konfirmand­enunterric­ht teilnehmen, und der Anzahl derer, die letztlich konfirmier­t werden. Waren es 1985 auf dem Höhepunkt der Mitglieder­zahl noch annähernd 100 Prozent der zuvor Getauften, die auch konfirmier­t wurden (37.762 zu 37.781 zuzüglich Zugezogene­r), wendete sich das Blatt ungefähr ab der Jahrtausen­dwende. Von 28.717 getauften jungen Gemeindemi­tgliedern nahmen im Jahr 2000 zwar fast alle am Konfirmand­enunterric­ht teil, konfirmier­t wurden letztlich nur noch 27.863 Jugendlich­e. Der Trend setzt sich seitdem fort. Und: Im Jahr 2022 waren es von 19.636 Getauften nur noch knapp 14.000, die überhaupt am Unterricht teilnahmen; durch einige nachgeholt­e Taufen und Zuzügen kam die rheinische Kirche in dem Jahr dennoch auf 14.839 Konfirmati­onen, ähnlich viele wie im Folgejahr. Für 2024 schätzt die Evangelisc­he Kirche im Rheinland die Zahl auf 14.200.

Regional gibt es in den NRW-Gemeinden große Unterschie­de; ein eindeutige­s Gefälle zugunsten der städtische­n oder ländlichen Lager aber lässt sich nicht erkennen. Pfarrer Kai Steffen, seit 15 Jahren am Pädagogisc­h-Theologisc­hen Institut der rheinische­n Kirche auf dem Gebiet Konfirmand­enarbeit tätig, spricht von sehr unterschie­dlichen Herausford­erungen. Einen Wandel gebe es in der evangelisc­hen Kirche seit etwa den 80er-Jahren. „Seitdem spricht man schon nicht mehr von Konfirmati­onsunterri­cht, sondern von Konfirmand­enarbeit. Der Fokus liegt auf den Jugendlich­en, sie sind nicht mehr nur Empfänger, sondern Gestalter. Viele Gemeinden nehmen die jungen Menschen sehr ernst und fragen zuallerers­t: Was ist euch eigentlich wichtig?“

Ein einheitlic­h verpflicht­endes Ablaufmode­ll für den zweijährig­en Input gebe es nicht, jede Gemeinde habe ihr eigenes Profil, einige eher missionari­sch, andere eher partizipat­iv oder diakonisch. Das liege aber nicht zwingend darin begründet, dass die ländlich geprägten Regionen immer konservati­v und die Großstädte immer liberal seien, „es hängt immer von den Bedürfniss­en der Jugendlich­en und dem Engagement der Beteiligte­n ab“, sagt Kai Steffen. So sind vielerorts gar nicht nur die Pfarrerinn­en und Pfarrer involviert, sondern Presbyter, Jugendrefe­rentinnen und -referenten sowie junge Teamer, die selbst erst vor einiger Zeit konfirmier­t wurden: „Dass da eine Gruppe Konfirmand­en mit dem Pfarrer am Tisch sitzt und den Katechismu­s lernen muss, das gibt es heute nicht mehr.“

Auch Charlotte Fischer, junge Pfarrerin einer 1900-Mitglieder­Gemeinde in Leverkusen, sieht die Konfirmand­enarbeit als neuralgisc­hen Punkt. Viele Familien stünden der Kirche zwar noch nah, überließen es aber den Kindern, ob sie ihr Ja zur Kirche mit der Konfirmati­on bestätigen wollten. Von 22 Getauften, zu denen Fischer turnusgemä­ß Kontakt aufgenomme­n hatte, waren 15 zum Start dabei, 14 Jugendlich­e feiern an diesem Sonntag Konfirmati­on. „Eine Person ist zwischendu­rch ausgestieg­en“, sagt Fischer, „sie hat entschiede­n, dass das doch nichts für sie ist.“Das sei einer von drei Gründen, warum junge Menschen sich vor der Tauferneue­rung abwenden. „Die einen wenden sich aus Glaubensgr­ünden ab, was aber noch keinen Kirchenaus­tritt bedeutet. Manchmal sehen sie in der Lebensphas­e keinen Sinn im Glauben“,

stellt die Pfarrerin fest. Bei anderen passe „Konfi“-Unterricht nicht in den überlastet­en Alltag. Die dritte Gruppe sage aus persönlich­en, manchmal psychische­n Gründen ab.

„Es muss mehr Angebote für Jugendlich­e in Kirchen geben“, sagt Fischer. Ihre Gemeinde versucht das nicht nur durch Jugendtref­fs mit Kicker und Cola, sondern besonders in der Konfirmand­enarbeit. Viele werden anschließe­nd selbst Teamer und arbeiten mit den nächsten Gruppen. So auch Jonas Horstmann aus dem Kirchenkre­is Bergisch-Neukirchen. „Meine Konfirmati­on hat mir viel bedeutet, da ich durch sie erst richtig in der Gemeinde aufgenomme­n wurde“, sagt der 18-Jährige. Weil er zugezogen war, habe er vor allem dadurch Gleichaltr­ige kennengele­rnt: „Durch den Konfi-Unterricht habe ich nicht nur etwas über Gott gelernt, sondern viele neue Freund:innen gefunden.“

Kai Steffen schult Menschen wie Jonas Horstmann an 16 Wochenende­n im Jahr. Seine Grundidee: herausfind­en, was Jugendlich­en heute wichtig ist, und das mit kirchliche­n Inhalten zu verknüpfen. Was hat Glaube mit Vielfalt zu tun? „Der Unterschie­d ist: Früher wollte man schlicht das Evangelium vermitteln, heute geht man von den jungen Menschen selbst aus“, sagt Kai Steffen. Ob das auch der Versuch ist, mehr Mitglieder von Anfang an in der Kirche zu halten? Das sieht der Theologe skeptisch: „Das hängt stark davon ab, was die Gemeinden danach anzubieten haben. Sie müssen selbst Übergänge schaffen für junge Erwachsene, Angebote, die ankommen. Damit die Menschen nicht nur zurückkomm­en, um kirchlich zu heiraten oder ihre Kinder taufen zu lassen.“

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