„Da bin ich ein recht trockener Typ“
Borussias „Fußballgott“zieht Bilanz am Ende seiner aktiven Karriere – und erklärt, wie er die Zukunft gestalten will.
Tony Jantschke, wären Sie am Samstag theoretisch bereit, um noch mal aufzulaufen in Ihrem letzten Heimspiel für Borussia? JANTSCHKE Schwer zu sagen. Ich habe jetzt drei Trainingseinheiten mitgemacht nach meiner Verletzung. Am Ende der Woche muss ich noch mal mit dem Trainer sprechen, wie es aussieht, wie mein Körper reagiert, wie der Plan fürs Spiel ist. Und dann werden wir eine ordentliche Lösung finden.
Die Entscheidung, dass Ihre Karriere im Sommer endet, wurde vor einer Woche verkündet. Wann wurde sie getroffen?
JANTSCHKE Ich habe sie mehr oder weniger gemeinsam mit dem Verein getroffen. Der Gedanke war auch letztes Jahr schon mal da. Irgendwann im Januar saßen wir zusammen, das sind immer kurze und klare Gespräche. Wir haben uns schnell verständigt, dass es das gewesen sein wird am Saisonende. Mein Körper lässt es auch nicht mehr zu. Deshalb haben wir eine gute Lösung gefunden.
Hadern Sie noch mit der Entscheidung?
JANTSCHKE Nein, gar nicht. Ich durfte 16 Jahre lang Profifußballer sein, bin 34 Jahre alt. Eigentlich fühle ich mich noch gut, aber ich hatte einige Wehwehchen, alleine drei Operationen in den letzten zweieinhalb Jahren – einmal am Gesicht, zweimal am Knie –, das war sicherlich nicht förderlich. Zur Wahrheit gehört auch, dass ich nicht mehr so viel gespielt habe. Es ist ein vernünftiger Schritt zu einer vernünftigen Zeit.
Patrick Herrmann ist in der Rekordspieler-Rangliste deutlich weiter nach oben geklettert. Sie stehen bei 301 Einsätzen, fehlt Ihnen da etwas?
JANTSCHKE Ich hatte immer ein paar Ziele, die habe ich größtenteils auch erreicht als Sportler. Dementsprechend bin ich sehr zufrieden, dass ich die 300 Einsätze noch geschafft habe. Klar, es hätten 400 werden können, aber dafür habe ich den Rekord für den Feldspieler, der die meisten Spiele 90 Minuten auf der Bank gesessen hat. Im Prinzip haben mich also Verletzungen und die Trainer um mehr Einsätze gebracht (lacht). Aber das ist alles eher etwas für Statistiker.
Welche Ziele waren das, die Ihnen am meisten bedeutet haben?
JANTSCHKE Ich wollte unter anderem Champions League spielen mit Borussia, das war schon sehr ambitioniert damals. Demzufolge bin ich sehr stolz darauf.
Was war schöner: In Bochum die überstandene Relegation zu feiern oder erstmals die Champions-League-Hymne zu hören?
JANTSCHKE Schwer zu sagen. Aber ohne das eine wäre das andere nicht möglich gewesen. Die Relegation war wirklich nervenaufreibend, ein ganz anderer Druck, als ich ihn danach gespürt habe in all den Jahren. Ich war noch sehr jung, das war
schon nicht ohne. Ich bin sehr froh, dass wir das noch geschafft haben. Dadurch konnten wir das Fundament für zehn sehr, sehr erstaunliche Jahre legen.
Welche echten Freundschaften sind in all der Zeit entstanden?
JANTSCHKE Thomas Kleine, Roman Neustädter, Heimi natürlich, also Christofer Heimeroth – mit denen habe ich noch immer regelmäßig Kontakt und wir treffen uns, je nachdem, wer gerade wo auf der Welt unterwegs ist. Die würde ich als meine Freunde bezeichnen, dann zwei, drei aus dem jetzigen Kader. Fünf, sechs Leute in 16 Jahren, das sind nicht viele, da ist der Fußball nicht anders als die normale Arbeitswelt. Vieles ist oberflächlich, aber man will hauptsächlich in dem jeweiligen Moment eine schöne Zeit haben. Ich habe noch all meine Freunde in der Heimat in Hoyerswerda, deshalb war ich nie so erpicht darauf wie andere, Anschluss zu finden.
Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht, dass Sie alt werden?
JANTSCHKE Die letzten zwei, drei Jahre ging es wieder. Das waren wahrscheinlich schon väterliche Gefühle. Aber so vor fünf Jahren habe ich sehr gespürt, dass es unterschiedliche Generationen sind, vor allem am Social-Media-Verhalten merkt man das. Bei uns stand noch der gute, alte PC mit ICQ – das war’s. Man hatte ein Nokia-Handy mit 160 Zeichen pro SMS, da zählte jedes Wort, weil eine 19 Cent gekostet hat. Das ist heute alles komplexer. Ich bin da oft nicht up to date, deswegen kann ich bei der Hälfte der Themen nicht mitreden.
Ihr Torjubel mit den Händen vor dem Mund ist trotzdem fast ein Meme. Welches Ihrer fünf Bundesliga-Tore war das schönste?
JANTSCHKE Das gegen Köln, logisch. Das erste war auch besonders, aber zu Hause bei einem Sieg im Derby – besser geht es nicht als Verteidiger.
Sie werden nur für einen Profiklub gespielt haben.
JANTSCHKE Es war nie in meinem Kopf, dass das so sein muss. Ich habe
es mir immer offengehalten und klar kommuniziert: Wenn wir alle glauben, dass ich dem Verein weiterhelfen kann, und ich mich wohlfühle, kann es so bleiben. In der Zeit, als ich weniger gespielt habe, habe ich mir auch mal Gedanken gemacht, klar. Ich bin ein riesiger AmerikaFan. Aber es kam nie zu der Konstellation, weil es immer ein Match war zwischen mir und Borussia.
Wie hat sich der Fußball verändert im Laufe Ihrer Karriere?
JANTSCHKE Vor allem im athletischen Bereich sehr, es wird mehr gepresst. Als ich jung war, wurde häufig abwartend im 4-4-2 gespielt. Ich habe mit Heimi mal ein Spiel von früher angeguckt, so ein Abtasten gibt es heute gar nicht mehr. In der ersten Viertelstunde hätten beide Mannschaften in der Kabine bleiben können. Heute ist es offenes Visier, oft Mann gegen Mann, eine andere Dynamik. Aber im Endeffekt bleibt Fußball immer Fußball.
Was waren Ihre besten Leistungen? JANTSCHKE Es ist ja auch eines meiner Merkmale, dass ich immer meinen Job erledigt habe. Wenn ich wenig zugelassen habe und mein Gegner nicht zur Entfaltung kam, war ich gut. Das Pokal-Halbfinale 2012 gegen Bayern war sicherlich eines meiner besten Spiele. Aber ich war zwischenzeitlich Kapitän, immer Stammspieler, wir waren mehrere Jahre unter den besten Abwehrreihen – da hatte ich sicher ein paar gute Leistungen mit drin.
Wurmt es Sie, dass es nie für ein ALänderspiel gereicht hat?
JANTSCHKE Ich war stolz, für Deutschland zu spielen bis zur U21. Aber ich wusste, dass ich in der A-Nationalmannschaft nie eine tragende Rolle gespielt hätte. Viele Spieler werden einmal eingeladen für ein relativ uninteressantes Länderspiel und dann nie wieder – das habe ich für meinen Seelenfrieden nicht gebraucht. Ich habe den Jungs in der Kabine immer gesagt, dass du erst mit zehn Einsätzen ein richtiger Nationalspieler bist. Natürlich wäre ich gerne ein wichtiger Teil gewesen, doch dafür war ich wahrscheinlich nicht gut genug.
Sie kümmern sich künftig um die Top-Talente bei Borussia. Wächst man über die Jahre automatisch in solch eine Rolle hinein oder muss man ein Typ dafür sein?
JANTSCHKE Sicherlich beides. Eine gewisse Autorität musst du haben. Da lassen sich Flaco und ich ganz gut vergleichen: Patrick Herrmann ist eher der lustige und lockere Typ, ich bin eher der grimmige, der dazwischenhaut. Für bestimmte Rollen musst du gemacht sein. Ich glaube, ich konnte schon immer gut meine Meinung vertreten und den Jüngeren helfen, dabei auch hart sein – denn die Bundesliga ist hart, darauf müssen sie sich einstellen. Deshalb sollte ich mich in der neuen Rolle gut einfinden und bin froh, dass der Verein mir das anvertraut.
Ging es in den Gesprächen schnell in diese Richtung?
JANTSCHKE Ich habe ja Sportmanagement studiert, mir fehlt nur noch die Prüfung. Insgesamt habe ich mir alles offengelassen, nur dass ich erst mal im Fußball bleiben will, wusste ich. Ich will meine Trainerlizenzen machen und das Studium abschließen. Im letzten halben Jahr war ich auch schon beim TalenteTraining mit Guido Streichsbier draußen, das hat mir richtig Spaß gemacht. Dadurch ging es in diese Richtung und ich habe dem Verein signalisiert, wie ich mir das vorstellen könnte. Ich freue mich jetzt auf diese neue Herausforderung.
Die Säule, eigene Talente hochzubringen, soll wieder gestärkt werden. Haben Sie schon vielversprechende Jungs gesehen?
JANTSCHKE Auf jeden Fall. Sonst hätte ich es mir wahrscheinlich noch mal überlegt (lacht). Ich glaube, das ist der logische Weg für Borussia. Es wäre vermessen gewesen, zu glauben, dass die erfolgreichen Jahre einfach so fortgeschrieben werden. Oftmals gibt es einen Cut – natürlich darf der nicht zu extrem ausfallen. Borussia hat immer auf junge Spieler gesetzt und muss vor allem jetzt in dieser Delle wieder Eigengewächse hochbringen, neue Werte schaffen. Es sind gute Jungs da, es werden in den nächsten Jahren weitere dazukommen – und mein Job ist es dann, einige von ihnen ins Stadion zu bringen. Ich habe immer gesagt, dass ich eine Aufgabe haben will, bei der ich messbar bin. Das wird spannend.
Tabellarisch ist Borussia wieder in etwa dort angekommen, wo sie war, als Ihre Karriere begonnen hat. Hätten Sie sich diese Saison so ausgemalt?
JANTSCHKE Wenn man sich unsere Abgänge ansieht, konnten wir nicht davon ausgehen, dass wir die mal so eben ersetzen. Yann Sommer, Jonas Hofmann und Marcus Thuram sind alle Meister geworden, Ramy Bensebaini steht im Champions-LeagueFinale, Lars Stindl war jahrelang unser Kapitän: Es war logisch, dass es schwierig werden würde, trotzdem haben wir noch einen guten Kader und uns sicherlich mehr vorgestellt. Vom Kopf her ist das gerade nicht ganz einfach, wenn du dir mehr erhoffst, und dann rücken die Mannschaften unten immer näher. Aber so ist es jetzt, deshalb gilt es, die nötigen Punkte noch zu holen, am besten schon im Heimspiel am Samstag.
Wie viel Raum für Wehmut ist in Ihrem Kopf, wenn Sie an den Abschied denken?
JANTSCHKE Da bin ich ein recht trockener Typ. Ich wusste, dass der Tag irgendwann kommen wird. Jetzt ist er da, er hätte auch letztes Jahr schon kommen können. Ich freue mich auf das Spiel am Samstag und hoffe, dass wir alles klarmachen können. Den Rest werden wir dann sehen, ob ich noch mal im Kader bin, ob mein Körper das mitmacht. Das müssen wir alles realistisch einschätzen. Danach gäbe es ja noch ein Spiel.
50.000 Fans werden ein letztes Mal den Profi Tony Jantschke „Fußballgott“rufen.
JANTSCHKE Das ist schon eine gute und ehrliche Auszeichnung. Ich sehe das als Anerkennung für meine Arbeit. Wenn ich es irgendwann vermisse, muss ich mal vor die Kurve gehen vor dem Spiel.