Vertrieben aus dem Paradies
Auch im vierten Teil von „Planet der Affen“sind Super-Primaten ernsthafte Konkurrenten der geschwächten Spezies Mensch.
Der Schlüssel zur Seele liegt in den Augen – ohne diese Erkenntnis würde das „Planet der Affen“-Franchise, dessen drei Teile zwischen 2011 und 2017 fast 1,7 Milliarden Dollar eingespielt haben, nicht funktionieren. Die Science-Fiction-Story spielt in einer fernen Zukunft, in der die Affen durch ein von Menschen entwickeltes Virus einige Evolutionsfortschritte gemacht haben. Sie können sprechen, lesen, schreiben und reiten wie ein Mensch. Aber all diese anthropomorphen Bestrebungen würden wirkungslos verpuffen, wenn aus den Gesichtern der hoch entwickelten Primaten nicht menschliche Augen hervorblicken würden. Es sind die Augen, die die emotionale Verbindung zwischen Publikum und Affen herstellen und die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwinden lassen.
Dieser Effekt gelingt auch in den ersten Minuten des neuen Sequels „Planet der Affen: New Kingdom“, wenn der junge Affe Noa als Protagonist vorgestellt wird. Mit seinen beiden Freunden turnt und klettert er durch eine Berg- und Urwaldlandschaft, deren eigentliches Profil man erst nach einer Weile erkennt: Es sind die überwucherten Reste einer längst zerfallenen menschlichen Zivilisation, die sich die Natur zurückgeholt hat. Eine Kulisse von morbider Schönheit haben Regisseur Wes Ball („Maze Runner“) und seine Produktionsdesigner hier kreiert. Die Gerippe der Wolkenkratzer sind kaum noch zu erkennen in der zugewachsenen urbanen Gebirgslandschaft. Eine mit Schlingpflanzen überdeckte Sternwarte entfaltet eine mystische Energie. Alte Hochspannungsmasten wurden von den Affen mit Ästen und Zweigen zu einem eigenen Dorf ausgebaut.
Noa gehört zum sogenannten Eagle-Clan, der Adler aufzieht und
abrichtet, die die Affen mit frisch gefangenem Fisch versorgen. Der junge Schimpanse und seine Freunde haben das Alter erreicht, in dem sie selbst ein Ei aus einem Adlerhorst stehlen sollen, um nun ihren eigenen Jagdvogel aufziehen zu können. Der Clan führt ein abgeschiedenes Leben im Einklang mit der Natur. Von der Welt jenseits des Eisenbahntunnels auf der anderen Seite der Berge haben sie ebenso vage Vorstellungen wie von den Kämpfen und Kriegen, die ihre Vorfahren vor einigen Generationen mit den mittlerweile fast ausgestorbenen Menschen geführt haben.
Die Idylle findet ein jähes Ende,
als ein Trupp maskierter Affen das Dorf angreift, niederbrennt und dessen Bewohner verschleppt. Noa kann entkommen und macht sich nun auf die Suche nach seinem Clan. Auf seiner Reise trifft er den alten Orang-Utan Raka, der sich in der Geschichte von Affen und Menschen auskennt und fest an eine friedliche Koexistenz zwischen den Spezies glaubt, sowie die junge Menschenfrau Mae (Freya Allan), die ihren eigenen Überlebenskampf gegen die Affen führt. Zusammen mit ihr landet Noa im Camp des tyrannischen Gorillas Proximus Caesar, der davon träumt, die Menschen endgültig auszurotten und
die Alleinherrschaft auf der Erde zu übernehmen. Dazu versucht er bisher vergeblich, die Pforte eines Hochsicherheitsbunkers der ehemaligen US-Armee zu öffnen, hinter der Waffen, Technologie, Bücher und das ganze Know-how der untergegangenen menschlichen Zivilisation lagern.
Wes Balls „New Kingdom“versteht sich als Relaunch des lukrativen Franchises, in der die Story der Vorgängerfilme um den Affenführer Caesar nur noch als Legende nachhallen. Dieser Caesar, der unter Menschen aufwuchs, hatte das wechselhafte Verhältnis zwischen Menschen und Affen mit Empathie,
Enttäuschungen und gewaltsamen Konflikten tiefgehend erkundet. „New Kingdom“erzählt nun die durchaus klassische Comingof-Age-Geschichte eines jungen Schimpansen, der mit naiver Unschuld und einem großen Herzen aus dem Paradies vertrieben wird und sich in einer kriegerischen Welt zurechtfinden muss.
Es ist erneut verblüffend zu sehen, wie viel Seele Schauspieler und CGI mithilfe des Motion-Capture-Verfahrens einem Affenkörper einhauchen können. In Körpersprache, Bewegungsmuster, Mimik und Blicken verschmelzen Tier und Mensch zu einem eigenen Leinwandwesen mit
einem enormen emotionalen Spektrum. Wie seine Vorgänger findet auch Ball eine tragfähige Balance zwischen intimer Nähe, in der die persönlichen und moralischen Konflikte der Hauptfigur ausgetragen werden, und spektakulären Actionund Monumentalaufnahmen. Dazu gehören grandios choreografierte Kletterszenen durch den Urwald der Zivilisation ebenso wie das Finale in einem gigantischen Regierungsbunker aus der Ära des Kalten Krieges.
Im Kern der Geschichte geht es erneut darum, ob der Affe den Menschen trauen kann, die zwar in der Evolutionshierarchie weit nach unten gerutscht sind, aber ihr Überlegenheitsgefühl weiterhin in sich tragen. Freya Allan ist als nahezu einziges Humanwesen sehr überzeugend in der Rolle einer undurchsichtigen Kämpferin, die für ihre Mission über Leichen geht. Dennoch erreicht „New Kingdom“nicht die Tiefe des Vorgängerfilmes „Survival“, der ein viel weiteres Netz an historischen und lebensphilosophischen Analogien aufspannte.
„Planet der Affen: New Kingdom“, USA 2024 – Regie: Wes Ball; mit Freya Allan, Owen Teague, Dichen Lachman, Kevin Durand, William H. Macy; 145 Minuten