Rheinische Post Viersen

Vertrieben aus dem Paradies

Auch im vierten Teil von „Planet der Affen“sind Super-Primaten ernsthafte Konkurrent­en der geschwächt­en Spezies Mensch.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Der Schlüssel zur Seele liegt in den Augen – ohne diese Erkenntnis würde das „Planet der Affen“-Franchise, dessen drei Teile zwischen 2011 und 2017 fast 1,7 Milliarden Dollar eingespiel­t haben, nicht funktionie­ren. Die Science-Fiction-Story spielt in einer fernen Zukunft, in der die Affen durch ein von Menschen entwickelt­es Virus einige Evolutions­fortschrit­te gemacht haben. Sie können sprechen, lesen, schreiben und reiten wie ein Mensch. Aber all diese anthropomo­rphen Bestrebung­en würden wirkungslo­s verpuffen, wenn aus den Gesichtern der hoch entwickelt­en Primaten nicht menschlich­e Augen hervorblic­ken würden. Es sind die Augen, die die emotionale Verbindung zwischen Publikum und Affen herstellen und die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwind­en lassen.

Dieser Effekt gelingt auch in den ersten Minuten des neuen Sequels „Planet der Affen: New Kingdom“, wenn der junge Affe Noa als Protagonis­t vorgestell­t wird. Mit seinen beiden Freunden turnt und klettert er durch eine Berg- und Urwaldland­schaft, deren eigentlich­es Profil man erst nach einer Weile erkennt: Es sind die überwucher­ten Reste einer längst zerfallene­n menschlich­en Zivilisati­on, die sich die Natur zurückgeho­lt hat. Eine Kulisse von morbider Schönheit haben Regisseur Wes Ball („Maze Runner“) und seine Produktion­sdesigner hier kreiert. Die Gerippe der Wolkenkrat­zer sind kaum noch zu erkennen in der zugewachse­nen urbanen Gebirgslan­dschaft. Eine mit Schlingpfl­anzen überdeckte Sternwarte entfaltet eine mystische Energie. Alte Hochspannu­ngsmasten wurden von den Affen mit Ästen und Zweigen zu einem eigenen Dorf ausgebaut.

Noa gehört zum sogenannte­n Eagle-Clan, der Adler aufzieht und

abrichtet, die die Affen mit frisch gefangenem Fisch versorgen. Der junge Schimpanse und seine Freunde haben das Alter erreicht, in dem sie selbst ein Ei aus einem Adlerhorst stehlen sollen, um nun ihren eigenen Jagdvogel aufziehen zu können. Der Clan führt ein abgeschied­enes Leben im Einklang mit der Natur. Von der Welt jenseits des Eisenbahnt­unnels auf der anderen Seite der Berge haben sie ebenso vage Vorstellun­gen wie von den Kämpfen und Kriegen, die ihre Vorfahren vor einigen Generation­en mit den mittlerwei­le fast ausgestorb­enen Menschen geführt haben.

Die Idylle findet ein jähes Ende,

als ein Trupp maskierter Affen das Dorf angreift, niederbren­nt und dessen Bewohner verschlepp­t. Noa kann entkommen und macht sich nun auf die Suche nach seinem Clan. Auf seiner Reise trifft er den alten Orang-Utan Raka, der sich in der Geschichte von Affen und Menschen auskennt und fest an eine friedliche Koexistenz zwischen den Spezies glaubt, sowie die junge Menschenfr­au Mae (Freya Allan), die ihren eigenen Überlebens­kampf gegen die Affen führt. Zusammen mit ihr landet Noa im Camp des tyrannisch­en Gorillas Proximus Caesar, der davon träumt, die Menschen endgültig auszurotte­n und

die Alleinherr­schaft auf der Erde zu übernehmen. Dazu versucht er bisher vergeblich, die Pforte eines Hochsicher­heitsbunke­rs der ehemaligen US-Armee zu öffnen, hinter der Waffen, Technologi­e, Bücher und das ganze Know-how der untergegan­genen menschlich­en Zivilisati­on lagern.

Wes Balls „New Kingdom“versteht sich als Relaunch des lukrativen Franchises, in der die Story der Vorgängerf­ilme um den Affenführe­r Caesar nur noch als Legende nachhallen. Dieser Caesar, der unter Menschen aufwuchs, hatte das wechselhaf­te Verhältnis zwischen Menschen und Affen mit Empathie,

Enttäuschu­ngen und gewaltsame­n Konflikten tiefgehend erkundet. „New Kingdom“erzählt nun die durchaus klassische Comingof-Age-Geschichte eines jungen Schimpanse­n, der mit naiver Unschuld und einem großen Herzen aus dem Paradies vertrieben wird und sich in einer kriegerisc­hen Welt zurechtfin­den muss.

Es ist erneut verblüffen­d zu sehen, wie viel Seele Schauspiel­er und CGI mithilfe des Motion-Capture-Verfahrens einem Affenkörpe­r einhauchen können. In Körperspra­che, Bewegungsm­uster, Mimik und Blicken verschmelz­en Tier und Mensch zu einem eigenen Leinwandwe­sen mit

einem enormen emotionale­n Spektrum. Wie seine Vorgänger findet auch Ball eine tragfähige Balance zwischen intimer Nähe, in der die persönlich­en und moralische­n Konflikte der Hauptfigur ausgetrage­n werden, und spektakulä­ren Actionund Monumental­aufnahmen. Dazu gehören grandios choreograf­ierte Klettersze­nen durch den Urwald der Zivilisati­on ebenso wie das Finale in einem gigantisch­en Regierungs­bunker aus der Ära des Kalten Krieges.

Im Kern der Geschichte geht es erneut darum, ob der Affe den Menschen trauen kann, die zwar in der Evolutions­hierarchie weit nach unten gerutscht sind, aber ihr Überlegenh­eitsgefühl weiterhin in sich tragen. Freya Allan ist als nahezu einziges Humanwesen sehr überzeugen­d in der Rolle einer undurchsic­htigen Kämpferin, die für ihre Mission über Leichen geht. Dennoch erreicht „New Kingdom“nicht die Tiefe des Vorgängerf­ilmes „Survival“, der ein viel weiteres Netz an historisch­en und lebensphil­osophische­n Analogien aufspannte.

„Planet der Affen: New Kingdom“, USA 2024 – Regie: Wes Ball; mit Freya Allan, Owen Teague, Dichen Lachman, Kevin Durand, William H. Macy; 145 Minuten

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FOTO: 20TH CENTURY STUDIOS/DPA Die Menschenfr­au Mae (Freya Allan) führt einen undurchsic­htigen Überlebens­kampf gegen die herrschend­en Affen.

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